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In Guatemala kannst du Blut aus den Medien pressen

Fijáte 386 vom 30. Mai 2007, Artikel 1, Seite 1

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In Guatemala kannst du Blut aus den Medien pressen

Frage: Gab es auch Versuche, alternative Medien aufzubauen?

M.M.: Es gab z.B. die "CrónicaNF", eine ausgezeichnete Zeitschrift. Sie wurde jedoch zum Verstummen gebracht, quasi finanziell erstickt. Der damalige Präsident, VGAlvaro ArzúNF, rief seine Unternehmerfreunde an und verbot ihnen, in der "Crónica" zu inserieren. Ausserdem bekam die Redaktion der Zeitschrift Drohungen.

Frage: Trotzdem haben kritische Leute wie du oder VGMagalí Rey RosaNF ihre Plattform in der VGPrensa LibreNF, einer der grossen Tageszeitungen. Werdet ihr einfach missbraucht, um diesen Pluralismus zu rechtfertigen?

M.M.: Prensa Libre druckt meine Artikel genauso ab, wie ich sie ihnen schicke, die ändern mir kein Komma. Aber unsere Kolumnen sind Pinselstriche, um den Anschein dieser Pluralität zu erwecken. Alles was Information ist, hat eine klare, konservative Linie.

Und wenn du die Seite mit den Kolumnen anschaust, ist da meine und daneben sieben andere, die genau das Gegenteil behaupten. Unser Gewicht in diesen Medien ist minimal, aber trotzdem ist es wichtig, dort unsere Stimmen zu erheben. Ich werde meine Kolumne in Prensa Libre nicht freiwillig aufgeben.

Frage: Aber damit spielst du ihr Spiel mit…

M.M.: Nein. Solange ich diesen Spielraum nutzen kann in einem Medium, dass 110'000 LeserInnen erreicht, und solange ich sagen kann, was ich will, ohne dass ich unter Druck gesetzt werde, mache ich das. Wenn sie mir vorzuschreiben beginnen, was ich schreiben darf und was nicht, gehe ich.

Es geht nicht darum, Prensa Libre oder Emisoras Unidas per se zu bekämpfen. Sondern es geht darum, eine Medienvielfalt anzustreben. Wir fordern z.B. von der Regierung, die verbleibenden öffentlichen Frequenzen freien JournalistInnen zur Verfügung zu stellen.

Frage: Ein Projekt war, den Fernsehkanal des Militärs an die Indigenen Organisationen abzugeben. Wurde das umgesetzt?

M.M.: Dieser Kanal wurde der VGAkademie der MayasprachenNF übergeben. Aber das Problem ist, dass sie nicht mit den nötigen Finanzen bestückt wurden, um auf Sendung zu gehen. Einen Fernsehsender zu betreiben ist extrem teuer!

Schon einen eigenen Radiosender aufzubauen ist teuer. Wir haben das in Radio Universidad gemacht, und das Gesetz hat uns da einen bösen Streich gespielt. Es verbot uns nämlich, als öffentliches Radio Werbung auszustrahlen, um so das Überleben des Radios zu sichern.

Und trotzdem ist etwas Unglaubliches geschehen: Unser Ziel war, ein aufklärendes Radioprogramm zu bieten, zu Themen wie VGMenschenrechteNF, Frauen, Indígenas, internationale Nachrichten mit der Idee, dass aufgeklärte Menschen auch handelnde Menschen sind. Und innerhalb von 6 Monaten hatten wir - nach Emisoras Unidas - die zweithöchste Einschaltquote. Es lief alles über Mund-zu-Mund-Propaganda und wir haben bewiesen, dass diese Art von Informationen ein Bedürfnis der Leute befriedigte. Wir waren dermassen erfolgreich, dass die neue Direktion der Universität unser Programm absetzte, weil es zu kritisch war - heute spielt der Sender nur noch klassische und Marimbamusik.

Frage: Welche Rolle spielen in diesem Panorama die Lokalradios und die Radios der Diözesen?

M.M.: Die Kommunalradios, und dazu zähle ich auch die Radios der VGkatholischen KircheNF - einige davon - sind sehr wichtig. Ich glaube, der lokale Charakter dieser Radios - und Fernsehkanäle - ist wichtig, die Leute identifizieren sich damit. Das Problem ist, dass diese Projekte dem massenmedialen Bombardement nicht standhalten können und nicht gegen deren Meinungs(ver)bildung ankommen.

Frage: Lass uns ein wenig über die Qualität der Medienberichterstattung sprechen, die Art und Weise wie z.B. das Thema Gewalt behandelt wird. Welche aufklärende oder erzieherische Rolle übernehmen hier die Medien?

M.M.: Das ist das endlose Thema des "Infospektakels": Das Blut, die Gewalt, die vergewaltigte Frau, das ermordete Kind. In Guatemala kannst du wirklich Blut aus den Medien pressen. Und das Argument ist immer, dass die Leute genau dies wollen. Das bestverkaufte Blatt ist dasjenige mit den meisten Blutstories.

Und hier kommt das ebenfalls endlose Thema der sozialen Verantwortung der JournalistInnen. Bei uns werden über die Medien Stereotype vermittelt: Die Frau, die ins Haus gehört, die Frau, die sich um die Kinder kümmern muss, der Mann, der fremdgeht, weil sich seine Frau für ihn nicht mehr zurechtmacht, der Macho-Mann, der alle Entscheidungen trifft, die zurückgebliebenen Indígenas - das sind die Botschaften, die unsere Medien vermitteln.

Das andere fundamentale Thema ist die Ethik. Unsere Medien sind sich nicht bewusst, welche Verantwortung sie haben. Wenn mir eine Sendung abgesetzt wird, ist das nicht, weil sie qualitativ oder inhaltlich schlecht ist, sondern weil man nicht hören will, was ich sage. Zensur also.

Schauen wir uns die Rolle der Medien in der sozialen Akzeptanz der Frauenmorde an: Es geht nicht nur um Fotos von blutüberströmten Frauen. Sondern es geht gleichzeitig darum zu vermitteln, dass die Frau selber schuld war. Die Titel heissen dann: Weibliches Bandenmitglied gestorben. Prostituierte gestorben. Was soll das? Und WENN sie Bandenmitglied war, oder WENN sie Prostituierte war? Ja und? Guatemala hat die VGTodesstrafeNF in der VGVerfassungNF festgeschrieben. Die Todesstrafe wird normalerweise nach einem langen juristischen Prozess verhängt. Aber hier wird das Bild vermittelt, dass eine Frau den Tod verdient hat, WEIL sie Frau, Bandenmitglied, Prostituierte war. Und deshalb hat sie es verdient, so wie der Kindsmörder die Todesstrafe verdient hat.

Solche Dinge zu thematisieren ist extrem schwierig, du stösst da auf konservative Strukturen innerhalb der Medien. Eine solche Berichterstattung ist völlig im Interesse der Medien. Weshalb sollen sie das ändern wollen, wenn ihnen dieses System nützlich ist?

Dies ist mein Thema und dafür kämpfe ich: Das Recht der Bevölkerung auf Information. Es ist gelogen, zu sagen, in Guatemala existiere dieses Recht, denn es gibt Gruppen, die unsichtbar gemacht werden in den Medien. Über die nie berichtet wird, als ob es sie gar nicht gäbe; die nur erwähnt werden, wenn es dem herrschenden Diskurs dient.

Frage: Im Hinblick auf die Wahlen, welches ist die Rolle der Medien oder was sollte die Rolle der Medien sein?

M.M.: Sie sollten über die politischen Inhalte der Regierungsprogramme berichten. Im Moment berichten sie einzig darüber, welcheR KandidatIn gerade in welcher Ortschaft auf Kampagnen-Tournee ist.

Die KandidatInnen müssen auf Inhalte festgenagelt werden: Was machen sie zur VGLandfrageNF, wenn sie PräsidentIn sind? Wie begegnen sie dem Sicherheitsproblem? Aber diese Fragen stellt unsere Presse nicht. Auf der anderen Seite müssten die Medien den sozialen Organisationen die Plattform bieten, damit diese ihre Vorschläge zu diesen Themen präsentieren können.

Sie müssten den Kontext analysieren, nicht danach fragen, wie viele Tote es gegeben hat, sondern was die Ursache der Gewalt ist. Ein anderes Thema ist das Sichtbarmachen der Frauen als politische Akteurinnen. Die Medien befragen ausschliesslich Männer, den Präsidentschaftskandidaten, den Abgeordneten, aber niemand fragt die indigene Frau, die für ein politisches Amt kandidiert, über ihre Visionen und Vorschläge.

Frage: Was ist dein nächstes Projekt?

M.M.: Wir (eine Gruppe von fünf JournalistInnen) sind daran, ein Online-Radio aufzubauen, mit dem wir unabhängige Berichterstattung machen können. Dazu wollen wir eine Webseite eröffnen, von der sich alle Kommunalradios, die Zugang zum Internet haben, sich ihre Programme runterladen können. Diejenigen die keinen Zugang zum Internet haben, können die Programme auf CD beziehen.

Wir wollen verschiedene Zielgruppen ansprechen: lokale und fortschrittliche kirchliche Kommunalradios, VGMigrantInnenNF, denn mit einem Online-Radio erreichen wir eine Million GuatemaltekInnen, die im Ausland leben, und die sozialen, politischen MeinungsmacherInnen, die Internetzugang haben.

Wir haben bereits das Studio, wo wir unsere Sendungen produzieren können, jetzt müssen wir einfach noch schauen, woher wir das Geld nehmen, um Infrastrukturkosten wie Licht, Miete etc. zu bezahlen. Das Ziel ist, im Jahr 2008 richtig auf Sendung zu gehen.

Im Hinblick auf die Wahlen planen wir für dieses Jahr einen Probebetrieb von Juni bis Dezember. Wenn die Sache dann mal steht, kann man uns auf www.akatin.com hören. Akatin heisst: Unsere Stimme, unser Wort.

Herzlichen Dank für das Gespräch!


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