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Fijáte
 

Fijáte-Archiv 2003

Liste der jeweiligen Leitartikel, bestehend aus der Überschrift und dem zugehörigen ersten Absatz und der Verlinkung zum PDF oder zur HTML-Version des ersten Artikels. Sollte bei der Verlinkung das Schlosssymbol stehen, ist die Ausgabe noch nicht freigegeben und es wird ein Passwort benötigt.

Jahresüberblick

Fijáte 300 (31.12.03) PDF 1. Artikel
   Rückblick auf 4 Jahre Portillo-Regierung
   Der Abschluss des Jahres fällt diesmal in etwa mit dem Abschluss der Regierungszeit von Präsident Alfonso Portillo Cabrera zusammen, der am 14. Januar 2004 den Stab an seinen Nachfolger Oscar Berger übergeben wird. Vier Jahre hatte Portillo Zeit zu realisieren, was er der Realisierung für würdig befand. Der folgende Artikel, der auf einer Publikation von Edwin Pérez des Nachrichtenblattes Incidencia democrática vom 6. November fusst, gibt einen Überblick über das Tun und Lassen des Präsidenten Guatemalas in den letzten vier Jahren. Die Wahl von Alfonso Portillo zum Präsidenten im Jahr 1999 war sowohl für ihn wie auch für die Partei Frente Republicano Guatemalteco (FRG), die ihn als Kandidaten aufstellte, ein leichtes Spiel. Die FRG gewann gleichzeitig die Mehrheit im Kongress, was ihr in den letzten vier Jahren erlaubte, zu tun und zu lassen, wie ihr beliebte. Die Wahl eines Präsidenten, der sich nicht mit dem traditionellen Kapital identifizierte, weckte in vielen GuatemaltekInnen grosse Hoffnungen und Erwartungen, was Portillo in seiner Wahlkampagne (und später als Präsident) auszunutzen und zu manipulieren wusste. Doch die Freude in Guatemala war von kurzer Dauer ­ während die internationale Gemeinschaft etwas länger brauchte, um ihre ersten Zweifel zu äussern. Wenige Monate reichten, um die Situation im Land zu verkomplizieren und in den Jahren zuvor geöffnete Spielräume wieder zu schliessen: Konfrontation, Vorherrschaft und Nicht-Respektieren der Gesetze wurden zu den Markenzeichen der Regierung unter Portillo. Heute, wenige Tage vor dem Abtreten Portillos, können drei Schlüsse gezogen werden. Erstens: Die Regierung FRG hatte nie ein Interesse gezeigt, auf die Forderungen der bedürftigsten Bevölkerungsgruppen einzugehen, auch wenn Portillo in seinen Diskursen immer das Gegenteil behauptete.
   Weder in der Landfrage, noch in der Migrationspolitik, noch in Sachen Erziehung und Gesundheit oder Wohnbauförderung, etc. hat die Regierung Portillo substantive Veränderungen bewirkt. Im Gegenteil: Die sozialen Probleme haben sich zum Teil drastisch verschärft. Zweitens: Weder Portillo noch die FRG zeigten je den Willen, die Friedensabkommen umzusetzen und als Staatsabkommen zu verankern. Die Auflösung des Präsidialen Sicherheitsstabs (EMP) war eines seiner grossen Wahlversprechen, eingelöst hat er es zwei Monate vor der Regierungsübergabe. Dabei wird diese "Auflösung" von vielen AnalytikerInnen bloss als "Verschiebung" bezeichnet, werden doch zahlreiche ehemalige EMP-Angestellte und Aufgaben vom nachfolgenden zivilen Sekretariat für soziale Verwaltungsangelegenheiten übernommen. Gänzlich gegen die Friedensabkommen verstösst die Entschädigung der ehemaligen Zivilpatrouillisten (Ex-PAC) acht Jahre nach ihrer offiziellen Auflösung, während die zivilen Opfer des bewaffneten Konflikts und deren Hinterbliebene bisher leer ausgegangen sind. Drittens: Die Übernahme der Regierung FRG bedeutete für das Land einen signifikanten Rückschritt in Sachen Menschenrechte, Drogenbekämpfung, Bekämpfung des Schmuggels und der Korruption, ebenso wie in Sachen ökonomisches Wachstum und ebnete den Weg für eine erneute Militarisierung der Sicherheit. In der Sicherheitsfrage ist die FRG wohl am meisten gescheitert, war dies doch ihr trojanisches Pferd während der Wahlkampagne 1999. Sicherheit: In den vier Jahren seiner Amtszeit hat Alfonso Portillo viermal den für die Sicherheit zuständigen Innenminister ausgewechselt. Das hatte jedes Mal auch einen Wechsel in der Polizeiführung, im Gefängniswesen und im ganzen Sicherheitskabinett zur Folge, weshalb sich nie eine wirkliche Sicherheitspolitik etablieren konnte.
   Einer dieser Innenminister war Byron Barrientos, der wegen der Unterschlagung von 90 Mio. Quetzales (ca. US$ 11,25 Mio.) angeklagt ist, ein Verbrechen, das immer noch in der Straflosigkeit schwebt, derweil Barrientos bis zum Schluss der Regierungszeit Portillos seinen Sitz im Kongress innehat. Unter den Wechseln im Innenministerium hat auch die Ausbildung der Polizeikräfte gelitten: Im Moment hat Guatemala 21'000 PolizistInnen, von denen ca. 15'000 für die Sicherheit der BürgerInnen zuständig sind. Gemäss der UN-Mission für Guatemala MINUGUA müssten jährlich 2´000 neue PolizistInnen die Polizeiakademie verlassen und den Dienst antreten. Im Moment sind es 900 pro Jahr. Dies ist auf das mangelnde Budget zurückzuführen, mit dem die Polizei wirtschaftet. Rund 1´200 Polizeifahrzeuge (von den insgesamt 2´460) stehen defekt herum und können mangels Geld nicht repariert werden. Ähnlich steht es um die Waffen der Polizeikräfte. Monatlich gehen 80 Anzeigen gegen korrupte PolizistInnen ein, im Vergleich zu monatlich 14 im Jahr 2001. Erinnert sei auch an die Flucht von 79 Gefangenen aus einem Hochsicherheitsgefängnis im Sommer 2002, die mit der Verhaftung oder Ermordung der Anführer dieses Ausbruchs endete. Die Situation in den Gefängnissen hat sich aber deshalb nicht verändert. Aufstände, Waffen- und Drogenhandel bis hin zu Kannibalismus sind an der Tagesordnung. Überfälle, Morde, Entführungen und ähnliche Aktivitäten des organisierten Verbrechens haben zu-

Fijáte 299 (17.12.03) PDF 1. Artikel
   Demokratie als lukratives Geschäft
   Mehr als die Hälfte der BürgermeisterInnen, die bei den Wahlen am 9. November für eine Wiederwahl kandidierten, haben ihr Ziel erreicht, was als Zeichen der Anerkennung ihrer geleisteten Arbeit gewertet werden kann. Gleichzeitig hat es aber in über 30 Gemeinden nach den Wahlen gewalttätige Ausschreitungen, Proteste und Drohungen gegeben. Im Grunde haben diese beiden ,,Expressionen der Demokratie" dieselbe Ursache: Das erhöhte Gemeindebudget. Der folgende Artikel erschien in Inforpress Centroamérica vom 21. November 2003. Guatemala AG? Bei den Wahlen von 1999 gelang 36% der BürgermeisterInnen, die sich zum erneuten Mal nominieren liessen, die Wiederwahl. Bei den Wahlen von diesem Jahr stellten sich 205 BürgermeisterInnen ein wiederholtes Mal der Gunst der WählerInnen. 105 (51%) gelang die Wiederwahl. Am 15. Januar 2004 wird also rund jedeR dritte BürgermeisterIn die (mindestens) zweite Legislaturperiode antreten. Diese Daten sind als ein Erfolg zu werten, zieht man in Betracht, dass es auf nationaler Ebene keinem Präsidenten je gelungen ist, eine Wiederwahl zu erlangen. Wenn man davon ausgeht, dass der Hauptgrund für diese Nicht-Wiederwahl die Unfähigkeit der Präsidenten war, das Land zu regieren, kann man daraus schliessen, dass die steigende Anzahl wiedergewählter BürgermeisterInnen mit der Zufriedenheit der WählerInnen mit deren Arbeit zu tun hat. Zweifellos haben sich die vergangenen Wahlen auch durch eine steigende Zahl von Konflikten ausgezeichnet. In mehr als 30 Gemeinden ­ also in jeder zehnten - haben die BürgerInnen und die KandidatInnen der ,,Verliererparteien" die Wahlergebnisse nicht akzeptiert. In einigen Fällen bekamen die Sieger Todesdrohungen. In verschiedenen Gemeinden wurden die Wahlurnen verbrannt, und an vier Orten müssen die Wahlen wiederholt werden.
   Diese zwei Begebenheiten ­ die Zunahme wiedergewählter BürgermeisterInnen und die Zunahme von gewalttätigen Auseinandersetzungen nach den Wahlen - scheinen gemeinsame Wurzeln zu haben: Die Gemeinderegierungen bekommen mehr öffentliche Gelder zugeteilt. Dies bedeutet, dass einE ehrlicheR BürgermeisterIn mehr Mittel zur Verfügung hat, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, was eine Wiederwahl begünstigt. Mehr finanzielle Mittel zur Verfügung zu haben, bedeutet aber auch, mehr Möglichkeiten zur Korruption zur Verfügung zu haben. KandidatInnen, die in der Gemeindeverwaltung eine Chance sahen, Geld in die eigene Tasche zu wirtschaften, investierten viel Geld in ihre Wahlkampagne mit der Idee, dies nach der Wiederwahl wieder ,,zurückzuerhalten". Ein Gemeindeangstellter aus Izabal erklärte gegenüber Inforpress, dass eine erfolgreiche Kampagne mindestens 150'000 Quetzales (ca. US$ 18´750) kostet. Mit einem monatlichen Gehalt von 3´000 Quetzales (ca. US$ 375), muss einE BürgermeisterIn vier Jahre arbeiten, um dieses Geld zusammenzusparen. Das Zurückerlangen der in die Wahlkampagne investierten Gelder ist deshalb in vielen Gemeinden eine wichtige Ursache der Korruption. Dies betrifft aber nicht nur die BürgermeisterInnen, sondern auch die Kongressabgeordneten. Dieses ,,unternehmerische" Verständnis von Demokratie macht es für eineN KandidatIn schwierig, seine/ihre Wahlniederlage und somit den Verlust des in die Kampagne investierten Geldes zu akzeptieren. In Zunilito, Suchitepéquez, sagte ein Bürger gegenüber Inforpress: ,,Bei uns gewinnt nie ein Kandidat die Wiederwahl, denn bei uns heisst es: ,,Der hat schon gegessen, jetzt soll ein anderer die Gelegenheit zum Essen haben"". Trotzdem ist der aktuelle Bürgermeister von Zunilito, Rudy Edelman Cop, mit überwältigenden 66% wiedergewählt worden. Zusammenstösse zweier Märkte Zwei Aspekte begünstigen die Korruption:
   Das Fehlen einer Kontrolle, einer Begleitung und aktiven Teilnahme seitens der Bevölkerung an den Geschäften der Gemeinde, ein Charakteristikum, das von einigen Analysten ,,Aufstandsbekämpfungsdemokratie" genannt wird und der quasi unverhüllte Aufruf der zentralen Regierung und des privaten Sektors an die BürgermeisterInnen zur Korruption. Der Analyst Boaventura de Sousa Santos nennt die Demokratie ,,ein Spannungsfeld zwischen dem wirtschaftlichen und dem politischen Markt". Auf der einen Seite ist der Markt, auf dem Ideen, Werte und Prinzipien gehandelt werden und wo die Bevölkerung den/die besteN Kandidaten/in auswählt. Auf der anderen Seite ist der Markt, auf dem die verschiedenen Interessensgruppen, um die öffentliche Macht konkurrieren um sich Aufträge zu sichern, ihren Familienangehörigen eine Stelle zu beschaffen oder um Gelder abzuzweigen. Im Moment ist der ,,Ideenmarkt" in der Krise: Die KandidatInnen wechseln ihre Parteien, die Parteien ihre KandidatInnen. Was zählt, ist einzig die Chance, Stimmen zu gewinnen und die Kampagne zu finanzieren. Die Parteien werden nur unmittelbar vor den Wahlen aktiv, es gibt

Fijáte 298 (03.12.03) PDF 1. Artikel
   "Was Rigoberta geschehen ist, ist ein Spiegel unserer täglichen Realität"
   Anlässlich des 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen veröffentlichen wir ­ etwas verspätet zwar ­ das folgende Interview mit Cecilia López Coronado, Koordinatorin der Indígena-Frauenorganisation ,,Nan Ixi'm" ­ ,,Madre Maíz" ­ ,,Mutter Mais", in San Marcos, das wir Anfang November mit ihr geführt haben. Frage: Wer ist und was macht die Organisation ,,Nan Ixi'm"? Cecilia López Coronado: Unsere Organisation ist ganz jung. Wir haben erst seit Juni dieses Jahres ein eigenes Büro, in dem wir zu zweit arbeiten. Ich selber vertrete seit zwei Jahren die Mam-Frauen auf nationaler Ebene im Vorstand der Defensoría de la Mujer Indígena. Während dieser Zeit erhielten wir von der Defensoría sporadisch Geld, um in San Marcos mit den Frauen Kurse durchzuführen. Dabei kam der Wunsch der Frauen hier nach einer konstanteren, kontinuierlichen Arbeit auf. Im Dezember letzten Jahres haben wir uns formal konstituiert und unser eigenes kleines Projekt formuliert, das im Moment von einer norwegischen Organisation finanziert wird. Das Ziel unserer Arbeit ist die Förderung der politischen Einflussnahme der Maya-Frauen auf Departementsebene. Frage: Wie machen Sie das? C.L.C.: Es geht darum, die Maya-Frauen darin zu bestärken, sich auf lokal-politischer Ebene einzubringen. Wir brauchen bewusst den Begriff Maya-Frauen und nicht Mam-Frauen, obwohl diese im Departement San Marcos die Mehrheit bilden. Aber es gibt auch die Sipacapa-Frauen, die eine eigene Gruppe mit eigener Sprache sind. Wir wollen sie nicht ausschliessen, indem wir uns einfach Mam-Frauen nennen. Wir arbeiten in den Gemeinden Comitancillo, Sipacapa, San José Ojetenan und Sibinal. Einmal im Monat gehen wir in diese Gemeinden und machen mit den Frauen Kurse und Diskussionsrunden. Alle unsere Kurse kreisen um das Thema ,,Politische Einflussnahme der Maya-Frauen auf lokaler Ebene".
   Wir haben mit dem Thema Rassismus in Guatemala begonnen. Dann haben wir über das Selbstbewusstsein der Maya-Frauen gesprochen, das in vielen Fällen sehr schwach ist, aufgrund des täglichen Rassismus, dem die Frauen ausgesetzt sind. Weiter haben wir das Gesetz über die Entwicklungsräte behandelt, das Gemeindegesetz und das Dezentralisierungsgesetz. Das sind drei Gesetze, die kürzlich modifiziert wurden und die sehr wichtig sind auf Gemeindeebene. Im Gesetz über die Entwicklungsräte ist explizit die Teilnahme der Frauen bei allen Entscheidungen auf Gemeindeebene festgeschrieben. Deshalb ist es wichtig, dass die Frauen nicht nur diese Gesetze kennen sondern auch in der Lage sind, von ihnen Gebrauch zu machen. Jetzt vor den Wahlen haben wir auch über die teilnehmenden Parteien und die Möglichkeiten der BürgerInnenkomitees gesprochen. Frage: Worin sehen Sie das Haupthindernis für MayaFrauen, auf politischer Ebene Einfluss zu nehmen? C.L.C.: Der guatemaltekische Staat und die guatemaltekische Gesellschaft waren und sind rassistisch. Die Fähigkeiten der Indígenas werden nicht anerkannt. Indígenas waren immer nur Dienstpersonal und billige Arbeitskräfte. Die Situation der Maya-Frauen auf dem Arbeitsmarkt oder an den Universitäten ist noch viel schwieriger. Der Staat sieht in den Mayas ein Hindernis für den Fortschritt. Unsere Sprachen werden als ein Hindernis für eine einwandfreie Kommunikation betrachtet. Unsere Kleidung soll ein Hindernis für die intellektuelle Entwicklung sein. Bis vor kurzem war es Maya-Frauen verboten, in den staatlichen Schulen die Tracht zu tragen. Frage: Sie sprechen jetzt vom Staat. Aber den täglichen Rassismus spüren die Maya-Frauen in und von der Gesellschaft, von ihren Mitmenschen. Deren Einstellung gilt es doch in erster Linie zu verändern! C.L.C.: Ja, aber es ist der Staat, der das alles gesetzlich legitimiert.
   Die Gesellschaft funktioniert nach einem Muster, das vom Staat festgelegt wird. In den Gesetzen werden die Männer gegenüber den Frauen bevorzugt. Auch wenn wir die Beteiligung an den Wahlen anschauen: Es gibt fast ausschliesslich Männer als Kandidaten. Es ist nicht einfach nur eine Laune der Männer, dass sie keine Frauen auf die Listen setzen. Diese Diskriminierung ist tief verwurzelt in unserer Gesellschaft und in unseren Gesetzen. Frage: Können Sie in den Gemeinden, wo sie mit den Frauengruppen arbeiten, diesbezüglich schon Veränderungen feststellen? C.L.C.: Die Frauen erzählen uns, dass sie sich als wertvolle und geschätzte Menschen fühlen. Sie fordern das Recht ein, sich versammeln zu dürfen, sich austauschen zu können, was bisher nur die Männer gemacht ha-

Fijáte 297 (18.11.03) PDF 1. Artikel
   Wahlen 2003: Ergebnisse und Tendenzen
   Am 9. November fanden in Guatemala die Präsidentschafts-, Kongress- und BürgermeisterInnenwahlen statt. Ebenfalls wurden die VertreterInnen für das Zentralamerikanische Parlament, PARLACEN, gewählt. Im Grossen und Ganzen verliefen die Wahlen ohne nennenswerte Zwischenfälle. Zumindest kam es nicht zu den befürchteten Ausschreitungen, die von den ehemaligen Zivilpatrouillisten (Ex-PAC) angedroht worden waren. Gewalttätige Zwischenfälle in rund zwanzig Gemeinden fanden erst nach den Wahlen statt. In zwei Punkten ist man sich bezüglich der Wahlen in Guatemala einig: Die Wahlbeteiligung von rund 58% war im Vergleich zu vergangenen Wahlen überwältigend (1999 waren es rund 46%). Besonders hervorzuheben ist dabei die Beteiligung der Frauen. Dies ist auf die Arbeit verschiedener sozialer Organisationen zurückzuführen, die die Frauen im Vorfeld der Wahlen dazu anhielten, ihre Papiere in Ordnung zu bringen bzw. sich überhaupt welche ausstellen zu lassen. Der zweite Punkt, in dem Einigkeit und Zufriedenheit herrscht, ist die Niederlage von el General Efraín Ríos Montt. Trotz teurer Wahlkampagne, dem Kauf von Stimmen und dem Versuch der Manipulation der Leute durch Einschüchterung und Falschinformation ist es ihm nicht gelungen, die Bevölkerung für sich zu gewinnen. In diesem !Fijáte! werden wir ausschliesslich über die Wahlen berichten und versuchen, neben den zahlenmässigen Ergebnissen auch etwas von der Stimmung dieser fiesta cívica, wie die Wahlen in Guatemala genannt werden, wiederzugeben. Guatemala, 12. Nov. Die Gran Alianza Nacional GANA mit ihrem Kandidaten Oscar Berger (34,48% der Stimmen) und die Unidad Nacional de Esperanza UNE mit Alvaro Colom (26,48%) werden am 28. Dezember in einer Stichwahl gegeneinander antreten, um denjenigen zu bestimmen, der ab dem 15. Januar 2004 die Präsidentschaft in Guatemala übernimmt.
   Die GANA hat ihre Stimmen vor allem in der Hauptstadt, im Departement Guatemala sowie im Osten des Landes, also vorwiegend unter der Ladino-Bevölkerung, gewonnen. Sie wird mit 49 Sitzen von den insgesamt 158 im Kongress vertreten sein. Dementsprechend hat sie nicht, wie die Regierungsparteien in den Jahren zuvor, die notwendige Mehrheit, um im Alleingang Gesetzesänderungen verabschieden zu können. Weiter besetzt die GANA 69 Bürgermeisterämter, u.a. in den Hauptorten der Departements Chimaltenango, San Marcos, Alta- und Bajaverapaz, Chiquimula, Santa Rosa und Petén. Die GANA wird mit 7 Sitzen (von insgesamt 20) im Zentralamerikanischen Parlament PARLACEN vertreten sein. Alvaro Colom von der UNE hat seine Stimmen vornehmlich in den Departements des Südwestens und Teilen des westlichen Hochlandes gewonnen (Escuintla, Sololá, San Marcos, Quetzaltenango, Totonicapán). Escuintla ist der einzige Departementshauptort, in der die UNE den Bürgermeister stellen wird. Insgesamt wird sie in 33 Gemeinden regieren. Im Kongress wird sie mit 33 Abgeordneten vertreten sein und im PARLACEN mit fünf. An dritter Stelle folgt die Frente Republicano Guatemalteco (FRG). Mit 19,21% aller WählerInnenstimmen liegt ihr Präsidentschaftskandidat, Efraín Ríos Montt, weit hinter Berger und Colom zurück. Bedenklich ist dabei jedoch, dass Ríos Montt einmal mehr in den Departements Quiché, Baja Verapaz und Huehuetenango absahnte, Regionen, die stark unter dem Krieg gelitten haben. Mit seiner Niederlage verliert Ríos Montt nun seine Immunität. Gustavo Meoño von der Rigoberta Menchú-Stiftung wird bereits in den nächsten Tagen nach Spanien reisen, um den dort eingeleiteten Prozess gegen Ríos Montt wegen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen voranzutreiben.
   Der Sieg über Ríos Montt darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die FRG mit 42 Sitzen die zweitstärkste Partei im Kongress sein wird. Unter anderem vertreten folgende Personen die FRG im Kongress: Zury Ríos Sosa (die Tochter des Generals), Mario Bolaños (Ex-Gesundheitsminister), Pedro Palma Lau (Ex-Guerillero) und Rosenda Pérez (Anführerin der Ex-PAC im Petén). Auch auf lokaler Ebene ist die FRG weiterhin stark. In 110 (von allen 331) Gemeinden, besetzt die FRG das Bürgermeisteramt, davon sind zwei Departementshauptorte (Totonicapán und Quiché). Auch in Sipacapa, wo das comité cívico Ri Jay (siehe ¡Fijáte 296) an den Wahlen teilnahm, gewann die FRG.. Landesweit haben die comités cívicos in 24 Gemeinden gewonnen, drei davon (Mazatenango, Zacapa und Sololá) in den Departementshauptorten. Nur noch 8.3% der Stimmen erhielt die Partido de Avanzada Nacional, PAN, die in den Departementshauptorten von Quetzaltenango, Jutiapa, Puerto Barrios und Retalhuleu den Bürgermeister stellen wird. Im Kongress wird sie mit 16 Abgeordneten vertreten sein. Die Hauptstadt Guatemala wird die nächsten vier Jahre von Ex-Präsident Alvaro Arzu regiert, der für die Partei Unionistas angetreten ist. Mit Glanz und Gloria wurde Nineth Montenegro von der Alianza Nueva Nación ANN als Kongressabgeordnete wiedergewählt. Die kommende ist bereits ihre dritte Amtsperiode. Mit ihr ziehen fünf weitere ANN-KandidatInnen (u.a. Pablo Monsanto) in den Kongress ein. Auch diese Partei hat ihre WählerInnenbasis ausschliesslich in der Hauptstadt und im Departement Guatemala. Die grosse Verliererin dieser Wahlen ist die URNG die Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas. Mit 2.56% der erhaltenen Stimmen hat sie nicht einmal die 4%Hürde geschafft, das Minimum, um als Partei weiterbeste-

Fijáte 296 (05.11.03) PDF 1. Artikel
   Wahlkampf auf dem Lande
   Immer öfter werden KandidatInnen für das Bürgermeisteramt nicht von Parteien gestellt, sondern von comités cívico. Diese BürgerInnenkomitees schliessen sich auf die Wahlen hin zusammen, gründen eine Organisation, stellen eineN KandidatIn sowie GemeinderätInnen auf und lösen sich nach den Wahlen automatisch wieder auf. 100 Personen (in der Hauptstadt 1000 und auf Departementsebene 500), die ins Wahlregister eingetragen sind und von denen mindestens 50% lesen und schreiben können (auf dem Land, in den Städten müssen 100% AlphabetInnen sein), können ein comité cívico gründen. Wahlkampagne auf dem Lande bedeutet ,,trabajo de hormigas" ­ fleissig arbeiten wie die Ameisen, stets und unter zum Teil widrigen Umständen unterwegs sein, um irgendwo in einer abgelegenen Gemeinde das comité cívico und dessen Regierungsplan vorzustellen. Im folgenden Interview erzählen Vertreter des BürgerInnenkomitées Ri Jay aus Sipacapa, San Marcos, weshalb sie sich entschlossen haben, einen eigenen Kandidaten aufzustellen und wie ihr Regierungsprogramm 2004-2008 aussieht. (Das Interview wurde eigentlich mit dem Bürgermeisterkandidaten Francisco Bautista Sánchez geführt, die Redebeiträge anderer Mitglieder des Komitees sind im Folgenden unter Antwort aufgeführt, da ihre Namen nicht bekannt sind.) Frage: Wann und weshalb wurde das BürgerInnenkomitee Ri Jay gegründet? Antwort: Vor zwei Jahren haben sich Führungspersönlichkeiten aus verschiedenen Dörfern zusammengeschlossen, die eine gemeinsame Vision für die Entwicklung der ganzen Gemeinde erarbeiteten. Die einzelnen Dörfer in der Gemeinde Sipacapa sind sehr unterschiedlich entwickelt. Das hat damit zu tun, dass die Autoritäten nach Lust und Laune an einigen Orten Projekte durchführten und an anderen nicht.
   Die Mitglieder von Ri Jay haben alle im Laufe der Jahre gemerkt, was da gespielt wird, zum Teil durch eigene Erfahrungen, teilweise, weil sie Kurse besuchten und sich weiterbildeten. Ich selber z.B. habe Kurse in der Diözese San Marcos erhalten und höre immer die Sendungen von Radio ,,Voz de la Buena Nueva", wo über Partizipation, Demokratie, die Räte der Alten etc. gesprochen wird. Wir haben die Leute dann zu mehreren Treffen eingeladen. Am Anfang war es etwas schwierig, da einige ihre persönlichen Interessen verfolgten und nicht unser Solidaritätsverständnis teilten. Frage: Was bedeutet Ri Jay? Antwort: Ri Jay bedeutet ,,Haus für alle". Ein Haus, in dem sich die ganze Familie, Männer und Frauen, treffen, und in dem über einen Erfolg oder aber über Probleme gesprochen wird. Unsere Gemeindeverwaltung soll also ein Haus für alle sein, wo die Bedürfnisse angehört werden und Lösungen für die Probleme aller gesucht werden. Frage: Welche Ziele verfolgt das BürgerInnenkomitee? Francisco Bautista Sánchez (Bürgermeisterkandidat): Zum einen geht es uns darum, unser Bürgerrecht einzufordern und an den Wahlen teilzunehmen. Daneben ist es uns aber auch wichtig, das Geschick unserer Gemeinde in die eigenen Hände zu nehmen, mitbestimmen zu können, wo welche Projekte durchgeführt werden. Das ist auch der Grund, weshalb ich die Kandidatur angenommen habe. Die Gemeindeverwaltung soll wirklich ein Ort werden, der allen gehört, Männern und Frauen, Armen und Reichen. Wichtig ist einfach, dass alle diesen Ort respektieren. Ich wünsche mir, dass sich alle BürgerInnen als BesitzerInnen der Gemeindeverwaltung fühlen und wir gemeinsam die Entwicklung unserer Gemeinde bestimmen können. Frage: Wie garantieren Sie der Bevölkerung diese Partizipation? F.B.S.: Indem wir allen das Recht zur Mitsprache gewähren und sie einladen, mitzudenken und mitzuentscheiden.
   Unter dem aktuellen Bürgermeister haben sich die Entwicklungsräte gebildet, die langsam zu funktionieren beginnen. Diese wollen wir stärken und mehr einbeziehen. Wir wollen eine demokratische Gemeindeverwaltung sein, die im Dienste der Bevölkerung steht. Frage: Was verstehen Sie unter Demokratie? F.B.S.: Demokratie bedeutet, dass alle das Recht haben, ihre Meinung zu äussern ohne Angst haben zu müssen und ohne diskriminiert zu werden. Antwort: Demokratie heisst auch Freiheit. Wir sind alle freie BürgerInnen, die das Recht zur Partizipation haben, auf Gemeinde- wie auf Staatsebene. Dank der Demokratie können wir heute an den Wahlen teilnehmen. Die Diktaturen der 80er Jahre hatten uns verboten, uns in Gruppen von 5 oder mehr Personen zusammenzuschliessen. Frage: Sie sprechen zwar von Demokratie und davon, dass alle die gleichen Rechte haben. Wie steht es denn mit der Geschlechterdemokratie in Ri Jay? Weshalb sind keine Frauen auf Ihrer Liste? Antwort: Natürlich wollen wir in Ri Jay allen die Chan-

Fijáte 295 (22.10.03) PDF 1. Artikel
   Die indigene Beteiligung am politischen Geschehen
   Guatemala ist dem Wahlfieber verfallen. Die Strassen und Häuser sind gepflastert mit Plakaten von Kandidaten, die sich aus der Ferne auffallend ähnlich sehen. Die Seifenopern und Unterhaltungssendungen im Fernsehen werden alle paar Minuten von einem Wahlspot unterbrochen, die alle ähnlich tönen. Die populistische Art, in der diese Spots daherkommen, soll über den Mangel an seriösen Wahlprogrammen hinwegtäuschen. Es fehlt an gehaltvollen Informationen und Auseinandersetzungen, die über die Frage ,,Gewinnt er oder gewinnt er nicht?" hinausgehen. Im folgenden Artikel macht sich der Soziologe Ricardo Sáenz de Tejada Gedanken über die politischen Prozesse der letzten Jahre, die Beteiligung der indigenen Bevölkerung daran sowie über den aktuellen Wahlprozess. Der Artikel erschien im Reporte Diario 341 und 342 von Incidencia Democrática. Einleitung: Die politische Beteiligung der Indígenas zu analysieren stellt einen vor eine Reihe von Fragen und vor eine Reihe theoretischer, konzeptueller und methodologischer Leerstellen, die schwer zu füllen sind. Von welchem Zeitraum will man sprechen? Von welchem Moment an kann von einer politischen Beteiligung gesprochen werden? Welche Formen politischer Herrschaft haben sich im Laufe der Jahre in den indigenen Gesellschaften entwickelt? Die Unterdrückung der indigenen Völker seit Anfang des 16. Jahrhunderts auf dem heutigen guatemaltekischen Territorium bedeutete gleichzeitig die Zerstörung der autochthonen Staaten. Es entstanden Indigene Völker und aufgrund mehrerer und komplizierter Prozesse entstanden die verschiedenen indigenen Gemeinschaften. (Hierbei wird von einer Definition ausgegangen, die nicht auf linguistischen Gruppen aufbaut, sondern auf einem Gemeinschaftsleben, das auf territorialen und überregionalen Zusammenschlüssen basiert.
    Die Formen der Machtausübung in den indigenen Gesellschaften waren seit jeher unterschiedlich. Mit dem Beginn der Spanischen Herrschaft übernahm die indigene Nobleza Verantwortung und übte eine Art Vermittlerrolle aus. Zu ihren Aufgaben gehörte das Einziehen der Tribute und Abgaben, die Organisierung der Fronarbeit, das Abfangen von Protesten etc. Im Gegenzug wurde die Nobleza von den Spaniern begünstigt. Sie musste keine Abgaben bezahlen, hatte gewisse Privilegien und entwickelte sich zur höchsten Autorität der indigenen Gemeinschaft. Doch die indigene Nobleza konnte ihren Ruf und ihre Autorität nicht lange aufrechterhalten. Nach und nach wurde sie ersetzt durch die Gruppe der Principales: Ältere Menschen, die eine einflussreiche Familie vertraten oder eine Gruppe, die auf einem bestimmten Gebiet lebte, und die ihre Macht aufgrund des Dienstes, den sie an der Gemeinschaft leisteten, aufbauen und erhalten konnten. Dieses System der traditionellen Machtpositionen oder religiös-zivilen Hierarchie erlaubte die Konstituierung einer internen politischen Ordnung in den indigenen Gemeinschaften. Ihre Entwicklung und ihre soziale Reproduktion waren garantiert. Und obwohl dieses System ein fragiles soziales Gleichgewicht schuf, war es nicht ohne Widersprüche. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kollabierten diese traditionellen Hierarchien. Interessant dabei ist, dass dieser Zusammenbruch parallel mit dem Beginn von politischen Wahlkampagnen in den mehrheitlich von Indígenas bewohnten Gemeinden einhergeht. Ebenso wichtig zu erwähnen ist, dass das Wahlrecht in Guatemala keine lange Tradition hat. Die Verfassung von 1945 verpflichtet alle Männern über 18 Jahren, die lesen und schreiben können, sich ins Wahlregister eintragen zu lassen. Wählen bedeutete für sie Wahlpflicht.
   Für Frauen (egal ob sie lesen und schreiben konnten oder Analphabetinnen waren) sowie für analphabetische Männer war Wählen nur ein Recht und niemand konnte sie dazu zwingen. Mit dem Aufkommen der Parteien auf Gemeindeebene in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Grundlage für eine politische Kultur und Praxis gelegt, die bis in die heutige Zeit gültig ist. Sie charakterisiert sich durch die Gegensätze: (Haupt-)Stadt ­ Land und Bezirkshauptorte ­ Dörfer. Die auf nationaler Ebene arbeitenden politischen Parteien werden in der Hauptstadt gegründet und von dort aus geführt. Eine Analyse über die Zusammensetzung der Führungseliten der Parteien, die im Parlament vertreten sind, ergab, dass 70% der VertreterInnen dieser Leitungsgremien in der Hauptstadt leben. Diese Dynamik ändert sich während der Wahlkampagne, wenn die Parteien versuchen, auch in den Gemeinden präsent zu sein. Auf dem Land spielt sich das politische Leben in den Bezirkshauptorten ab, wo die einzelnen Gruppierungen oder lokalen Parteivertretungen sich aufgrund ausgehandelter Privilegien einer der nationalen Parteien anschliessen. Dabei bieten die nationalen Parteien die legale Struktur und in einigen Fällen eine finanzielle Unterstützung. Umgekehrt gewährleisten die lokalen Parteien die Basis, auf die sich die nationalen Parteien in ihren Kampagnen abstützen und sie verpflichten sich, eine bestimmte Anzahl Wahlstimmen zusammenzubringen und auf lokaler Ebene die Wahlkampagne für die entsprechende Partei zu organi-

Fijáte 294 (08.10.03) PDF 1. Artikel
   Der Erfolg der katholischen charismatischen Erneuerung in Guatemala
   Die Charismatische Erneuerung zählt in Guatemala inzwischen zur erfolgreichsten und mitgliederstärksten Bewegung innerhalb der Katholischen Kirche. Anders allerdings als die protestantische Pfingstbewegung in Guatemala, ist der Erfolg der katholischen Charismatiker bislang weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit geblieben. In dem folgenden Artikel sollen speziell die Auswirkungen der charismatischen Erneuerung auf die innerkirchlichen Strukturen des Katholizismus und die Gründe für ihren Erfolg näher erläutert werden. Der Artikel wurde von Andrea Althoff verfasst, die zur Zeit an einer Dissertation über religiöse Organisationsformen innerhalb der indigenen Bevölkerung arbeitet. In der umfassend angelegten Studie untersucht sie neuere religiöse Entwicklungen in der guatemaltekischen Gesellschaft nach dem Abschluss der Friedensverhandlungen im Dezember 1996. Dabei werden die Charismatische Erneuerung, die Pfingstkirchen sowie traditionelle und neuere religiöse Ausdrucksformen der Mayaspiritualität miteinander verglichen. Für die Studie hielt sich die Autorin über den Zeitraum von einem Jahr überwiegend in verschiedenen indigenen Hochlandgemeinden in Guatemala auf. Die Gründung der Charismatischen Erneuerung und ihre Position in Guatemala Die Charismatische Erneuerung entstand 1967 in den USA im Rahmen eines ökumenischen Austauschs zwischen Katholiken und Protestanten. Ziel der Katholiken war es, ihre in den protestantischen Gemeinden neu gesammelten Erfahrungen, die in erster Linie ein verändertes Verständnis über die Rolle des Heiligen Geistes in der Kirche betrafen, in die Katholische Kirche hineinzutragen. Ein wichtiger Gedanke war und ist bis heute, dass das Herz und die Gefühle genauso stark in der Religion engagiert sein sollen, wie der Kopf und der Intellekt.
   In Guatemala wurde die Charismatische Erneuerung 1973 offiziell von Kardinal Mario Casariegos eingeführt. Bereits in den 70er Jahren wurde die Bewegung vom damaligen Papst, Paul VI, als katholische Erneuerungsbewegung anerkannt. Sein Nachfolger Johannes Paul II hat ein besonders gutes Verhältnis zur charismatischen Erneuerung; er leitete beispielsweise persönlich eine Reihe von charismatischen Versammlungen. Trotz dieser guten Beziehungen zu Rom, ist die Verbindung zwischen der katholischen Amtskirche und der charismatischen Erneuerung ambivalent und oft gespannt. Dies gilt speziell für Guatemala, einem Land, in dem sich gegensätzliche Positionen, wie spirituelle und historisch-rationale theologische Ansätze, stark auf die praktische pastorale Arbeit auswirken. Die verhärteten Positionen sind zum Teil Ergebnis des bewaffneten Konfliktes und der Verfolgung, der besonders die nach befreiungstheologischen Grundsätzen ausgebildeten Katecheten ausgesetzt waren. Priester und Ordenspersonal, die an der christlich-katholischen Soziallehre orientiert sind, werfen den Charismatikern häufig vor, zu sehr auf das individuelle Heil ausgerichtet zu sein und deshalb sozialen und politischen Reformen entgegenzuwirken. Spirituelle und konservative Bewegungen, wie die Charismatische Erneuerung, Opus Dei oder in jüngster Zeit die Legionarios de Cristo (die allerdings in Guatemala keine Rolle spielen), werden aus diesem Grunde von Teilen des Klerus als Instrument gesehen, um konservative Strukturen innerhalb der Kurie und der Gesellschaft zu erhalten und auszubauen. Darüber hinaus war die Charismatische Erneuerung in Guatemala nie, anders als die Katholische Aktion, ein Instrument der Kirchenhierarchie, um den Einfluss der Kirche unter den Laien zu stärken und gleichzeitig soziale Massnahmen zu verwirklichen. Die Charismatische Erneuerung: Eine katholischfundamentalistische Bewegung?
   Die Charismatische Erneuerung vertritt in ihrer Doktrin viele konservative Inhalte, wie zum Beispiel ein konventionelles Familienbild, ein traditionelles Rollenverständnis in Bezug auf die Geschlechter, insbesondere gegenüber Frauen ­ obgleich überwiegend Frauen in ihr vertreten sind. Letzteres kann man unter anderem damit erklären, dass rigide Verhaltensvorschriften oft positive Auswirkungen auf schwierige Familienverhältnisse haben, denn zentrale Probleme, die vorher unlösbar erschienen, können mit Hilfe einer religiös motivierten Grundlage gelöst werden. So wird auf das psychosoziale Verhalten vieler Männer Einfluss genommen, indem sie angehalten werden, mit Alkoholkonsum, Ehebruch und der Gewalt gegenüber ihren Ehefrauen aufzuhören. An diesen Punkten werden noch einmal die Ähnlichkeit zu protestantischen Pfingstkirchen und besonders der Zusammenhang mit christlichen Idealen deutlich, die den Mann als Familienvorstand und Autorität sehen und der Frau die passive Rolle als Hausfrau und Mutter zuweisen. Es wäre jedoch falsch, die Motivation von Frauen für eine Mitgliedschaft ausschliesslich auf ein Interesse zurückzuführen, das sich darauf gründet, die Ehemänner ebenfalls zu einem Beitritt zu bewegen. Häufig ist eine ganze Reihe von Motiven miteinander verwoben, die sogar im Widerspruch zu stehen scheinen. So ist beispielsweise die Charismatische Erneuerung für viele Frau-

Fijáte 293 (10.09.03) PDF 1. Artikel
   Käufliche Gesundheit
   Auch in Guatemala wird über eine Reform des Gesundheitswesens gestritten
   Die 5. WTO-Ministerkonferenz in Cancún, Mexiko, vom 10. bis zum 14. September ist ein wichtiger Meilenstein in der neuen Welthandelsrunde. Nachdem die letzte grosse Welthandelsrunde im Jahr 1994 mit der Gründung der Welthandelsorganisation WTO zu Ende gegangen war, begannen im Jahr 2000 die Verhandlungen zur weiteren Liberalisierung des Agrar- und Dienstleistungshandels. Einer der geplanten Themenschwerpunkte in Cancún ist die Liberalisierung von Dienstleistungen. Die Marschrichtung wird von den Verhandlungen zum General Agreement on Trade in Services (GATS) vorgegeben. Ziel dieses Abkommens ist es, "Handelshemmnisse" abzubauen, um den wettbewerbsfähigsten Dienstleistungsunternehmen einen weitreichenden Zugang zu internationalen Märkten zu verschaffen. Einer der zur Verhandlung stehenden Sektoren ist die Gesundheitsversorgung. Vor 25 Jahren hat die Weltgesundheitsorganisation WHO in Alma Ata beschlossen, das Menschenrecht auf angemessene Gesundheitsversorgung bis zum Jahr 2000 für alle Menschen durchzusetzen. 1965 wurde die Frist bis 2020 verlängert. Seither wurden zwar deutliche Verbesserungen des Gesundheitsstandards der Weltbevölkerung erreicht, doch gerade in den ärmsten Ländern der Erde sind noch immer Millionen von Menschen von diesem Fortschritt ausgeschlossen. Insgesamt ist die Lebenserwartung zwar gestiegen, aber auch die Zahl der Menschen, die in absoluter Armut lebt, hat zugenommen - und Armut macht krank. Wir danken Andreas Boueke, dass wir an dieser Stelle seinen Artikel abdrucken dürfen. Ähnlich wie in den meisten Ländern Lateinamerikas sind auch in Guatemala die Anzeichen einer Privatisierungswelle im Gesundheitsbereich nicht zu übersehen. Um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diesen Prozess zu lenken, haben sich zahlreiche Organisationen in der Nationalen Gesundheitsinstanz zusammengeschlossen.
   Die Koordinatorin des Netzwerks, Lidia Morales, möchte eine weitreichende Privatisierung des Gesundheitssektors verhindern: "Doch wir erleben eine schleichende Privatisierung durch Abnutzung. Weil die Regierung die öffentlichen Dienstleistungen bewusst vernachlässigt, geht das Vertrauen der Bevölkerung verloren. So steigt der Bedarf an privaten Angeboten." Die Zahl der teuren Privatkliniken nimmt ständig zu. Es gibt dort zwar keine Warteschlangen und jedeR Einzelne wird sorgfältig betreut, aber einen solchen Service können sich die meisten GuatemaltekInnen nicht leisten. Der Bauarbeiter Coronado Ramos zum Beispiel muss mit seinem Monatseinkommen von rund zweihundert Euro eine sechsköpfige Familie ernähren: "Wir Armen haben nie Geld. Wenn wir krank sind, müssen wir dorthin gehen, wo wir zwar schlecht behandelt werden, aber wo wir zumindest nicht zu zahlen brauchen." Doch auch in dem staatlichen Krankenhaus Roosevelt sind schon längst nicht mehr alle Leistungen umsonst. Zum Beispiel muss die Krankenschwester Gloria in der Notaufnahme immer wieder untätig das Sterben zahlungsunfähiger Unfallopfer beobachten. "Patienten mit Schädeltraumata können wir oft deshalb nicht retten, weil zuerst eine Tomographie gemacht werden muss. Die aber kostet Geld. Das Krankenhaus hat nicht die nötigen Mittel, um den Leuten eine Tomographie zu schenken. So bleibt der Patient/die Patientin ohne Behandlung bis ein Familienmitglied auftaucht und zahlt. Nach etwa sechs Stunden sind viele tot, obwohl der Eingriff nicht so schwierig gewesen wäre." Der Direktor des Hospital Roosevelt, Doktor Joel Sambrano, weiss um die gravierenden Mängel der Betreuung in seinem Krankenhaus. Seiner Meinung nach ist das öffentliche Gesundheitssystem in Guatemala absolut überfordert: "Die Zahl der Menschen, die zu uns kommen, ist enorm.

Fijáte 292 (27.08.03) PDF 1. Artikel
   Maquilas: auf der Suche nach sicheren Nischen
   Die maquilas, wie die Textilfabriken auf Spanisch genannt werden, und die allein in Mittelamerika über 400 Tausend Arbeitsplätze stellen, sind einer der Wirtschaftssektoren, die in den letzten Jahren in diesen Ländern die grössten Erwartungen geweckt haben. Diese Art der Bekleidungsindustrie ist ein strategischer Sektor, über den auf regionaler Ebene im Rahmen der Verhandlungen des Freihandelsabkommens TLC zwischen Zentralamerika und den USA immerhin ein gewisses Einvernehmen herrscht. Dennoch hängt die Zukunft dieses Wirtschaftszweiges von mehr als einer erfolgreichen Verhandlung mit den Vereinigten Staaten ab. Für die in den maquilas Arbeitenden bringen die angestrebten Veränderungen vor allem noch mehr Nachteile mit sich, doch dies spielt in der Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors keine ausschlaggebende Rolle. Inforpress Centroamericana erläutert im folgenden Artikel die Situation. Zu den besorgniserregenden Faktoren, die neben den aktuellen Verhandlungen der Freihandelsabkommen, v.a. mit den USA, ihren Schatten auf den Export von fabrikgefertigter Kleidung werfen können, gehören: die wachsende asiatische Konkurrenz, die Zukunft der nordamerikanischen Wirtschaft, auf deren Markt 95% der weltweit in maquilas produzierten Bekleidung geschickt wird, sowie die Fähigkeit der zentralamerikanischen ProduzentInnen, ihre Geschäfte zu modernisieren, was unvermeidliche Auswirkungen auf die Arbeitsbeziehungen in den Fabriken haben wird. Zusammengefasst: Die Zukunft der zentralamerikanischen maquilas ist unsicher, obwohl sie für die BefürworterInnen der Globalisierung den Stern an ihrem Himmel darstellt. Der Klang von grossen Schritten Während der Abschlussveranstaltung des Zentralamerikanischen Gipfels der maquila-BetreiberInnen, genannt ,,Full Package Summit", der im Juli in San Salvador stattfand, wurde das Freihandelsabkommen TLC (bzw.
   CAFTA auf Englisch) von den ReferentInnen kaum erwähnt. Die Hauptsorge des Sektors ist es, die Textil-Industrie so anzupassen, dass sie in einer mehr und mehr wettbewerbsorientierten, globalisierten Wirtschaft überleben kann. Wichtigstes Ziel ist dabei der USamerikanische Markt, der jedoch auch immer weniger dynamisch ist. Obwohl die AnalystInnen von VESTEX, der Vereinigung der guatemaltekischen maquila-BetreiberInnen, erwarten, dass das TLC einen Anstieg der Bedeutung des Exports und der gefertigten Bekleidung mit sich bringen wird, wird der Mehrwert der Kleidungsstücke nicht in gleichem Masse wachsen, da die notierten Preise aufgrund der starken Konkurrenz aus China und Vietnam täglich fallen. In diesen Ländern werden Gehälter gezahlt, die weit unter den weltweiten Standards liegen. Seit 2000 läuft das Wachstum des Kleidungsexports der Volksrepublik China Hand in Hand mit dem Exporteinbruch für die mexikanischen maquilas. Gleichzeitig beträgt der zentralamerikanische Anteil am Weltmarkt der Bekleidungsindustrie seit 1999 16%, wobei über die Zahlen zur Berechnung des Wirtschaftsvolumens gestritten wird. Die Eingliederung Chinas in die Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2005, die mit dem Inkrafttreten des TLC zusammenfallen wird, stellt die grösste Bedrohung für Zentralamerika dar. China werde die Position übernehmen, die Mexiko derzeit als Handelspartner für die USA darstellt, so Enrique Lacs, Analyst für den guatemaltekischen Privatsektor. Man geht davon aus, dass die 962 Unternehmen in der Region (einschliesslich ProduzentInnen sowohl von Textilien als auch von Accessoires) nicht in der Massenproduktion von Kleidung konkurrieren können.
   Ihre Zukunft hängt unter anderem davon ab, inwieweit sie ihre örtliche Nähe zu den Vereinigten Staaten auszunutzen wissen, wobei sowohl der Service, die Qualität sowie die Agilität der Unternehmen zu verbessern sind, um die Nischen des Marktes in den USA zu erschliessen. Das Problem seien weder die Zölle, die Zugangshindernisse noch der Transport, so Lacs. Das Problem sei der Wettbewerb. Laut Luis Estrada, Direktor von VESTEX, müsse Guatemala seine Produktionskosten um 30% verringern, um auf internationalem Niveau konkurrenzfähig zu bleiben. Obwohl er nicht näher auf die Einsparungsmöglichkeiten eingehen wollte, ist es kein grosses Geheimnis, dass der maquila-Sektor sehr arbeitskraftintensiv ist, und der Grossteil der Kosteneinsparungen im Bereich der Lohnkosten vorgenommen werden müssten. Derzeit besteht selbst in Zentralamerika eine grosse Gehaltsspanne, die zwischen US$11,28 am Tag in Costa Rica und US$ 1,94 in Nicaragua schwankt. Anstatt sich zu verringern, wird der Druck auf die Kosten der Arbeitskraft und die Produktivität also sehr wahrscheinlich deutlich steigen, da die Notwendigkeit bestehen bleiben wird, in einem immer stärker am Wettbewerb orientierten Ambiente Geschäfte zu machen. TLC: auf der Suche nach dem ,,CBI-PLUS" Auch wenn die Verhandlungen des Freihandelsabkommens zwischen Zentralamerika und den USA bis zum Ende des Jahres 2003 abgeschlossen sein sollen, kann sich

Fijáte 291 (13.08.03) PDF 1. Artikel
   Die Stunde Guatemalas schlägt
   Angesichts der hartnäckigen ­ und schliesslich erfolgreichen ­ Versuche von Ríos Montt, an den Präsidentschaftswahlen vom Herbst teilzunehmen, erscheinen derzeit zahlreiche Artikel über den "General" und die Regierungspartei, die diesen bei seinen Machenschaften treu unterstützt, was sich am vergangenen "Schwarzen Donnerstag" in allen Facetten zeigte. Am 27. Juli wurde der folgende Artikel von Carlos Tárano in La Opion veröffentlicht, der die Vorkommnisse in einen umfassenden Kontext setzt. Dezember 1999: Eine nationalistische, hierarchische, im Armeestil geführte Partei, geleitet von einem alten, messianischen Militär, erreicht den Gipfel ihres Ruhmes: 1,2 Millionen GuatemaltekInnen geben ihr die Erlaubnis, das Land während der nächsten vier Jahre zu regieren. Noch niemals zuvor hatte eine politische Partei in der zweiten Wahlrunde mit einer solchen Menge an Stimmen triumphiert. Die Partei des "blauen Händchens" berührte den Himmel: Sie hatte sowohl die Präsidentschaft als auch die absolute Mehrheit im Kongress inne (Einkammersystem mit 113 Abgeordneten). Auf diese Weise öffneten die BürgerInnen die Tore für den Einzug der Willkür. Vier Jahre nach diesen grandiosen Momenten des Ruhmes sucht die Republikanische Front Guatemalas (FRG), Institution, die nach dem Bild des Generals José Efraín Ríos Montt gemacht ist, verzweifelt die beste Taktik, um sich wieder in einem Wahlpanorama zu positionieren, in dem ihr die Meinungsumfragen keinerlei Hoffnung auf eine Wiederwahl machen. Die Presse kritisierend, in den Wahlveranstaltungen mit Steinen werfend, während es gleichzeitig in zahlreichen Orten ausgebuht wird, schlägt das "Händchen" sich den Weg frei, um sich an der Macht zu halten. So geschah es ganz offensichtlich an jenem, inzwischen schon als "Schwarzer Donnerstag" bezeichneten vergangenen 24.
   Juli, als Tausende von FRG-SympathisantInnen, die von Abgeordneten und Leuten aus der Führungsetage organisiert waren, in Guatemala-Stadt Panik verbreiteten, ohne dass die zuständigen Autoritäten auch nur einen Finger rührten, um dies zu vermeiden und dabei sogar den Tod eines Journalisten verursachten. Aber, was ist bloss in den vergangenen vier Jahren geschehen, dass sich die Perspektive so radikal gewendet hat? Diese Frage beantwortet der Wirtschaftswissenschaftler Pablo Rodas Martini von der Vereinigung für Sozialforschung und ­untersuchungen (ASIES) folgendermassen: "In den letzten Jahren musste die FRG nicht auf die Gewalt zurückgreifen, da sie auf Rückhalt in der Bevölkerung zählen konnte. Jetzt, wo ihr die Sympathien entglitten sind, hat sie sich zu einem verletzten Tier gewandelt und schickt ihre Kampfgruppen auf die Strassen. Die faschistische Natur der Partei zeigt sich heute in ihrer ganzen Dimension". In den Wahlversammlungen von Ríos Montt ist es wieder gängig geworden, die ­ wie er selbst und seine Anhänger sie ohne Unterschied nennen ­ "WirtschaftsSuper-Spitze" oder "Oligarchie" zu beschuldigen, für den Grossteil des Leids verantwortlich zu sein, über das sich die GuatemaltekInnen beschweren. Angefangen beim Elend ­ mehr als 60% der 11,3 Mio. EinwohnerInnen leben in extremer Armut ­ über die Steuerflucht, die wirtschaftliche Krise, die Korruption, den Wechselkurs bis hin zum Analphabetismus, werden praktisch alle Probleme "den Reichen" in die Schuhe geschoben, derweil sich die öffentlichen FunktionärInnen jeglicher Verantwortung entziehen. Die FRG hatte 1999 dank ihrer Reden gegen die Reichen fast die absolute Wahlmehrheit erreicht.
   Dafür verwendete sie die Rhetorik eines populistischen Kandidaten, Alfonso Portillo, der in der Universität von Chilpancingo in Mexiko studiert hat, wo er, wie er behauptet, seinen Abschluss als Anwalt erworben hat, obwohl es keine Unterlagen gibt, die dies bestätigen. In Mexiko sah er sich in den 80er Jahren in einen seltsamen, niemals aufgeklärten Vorfall verwickelt, in dem er zwei Studierende ermordete und vor der mexikanischen Justiz floh, bis der Fall verjährt war und er nicht mehr verhaftet werden konnte. Die Macht "Hier lebt der Präsident, aber der, der regiert, lebt gegenüber", sagte man in Mexiko über die extremistische Führung von Plutarco Elías Calles. In Guatemala herrscht derzeit genau die gleiche Situation mit einem Präsidenten ohne Führung und ohne Macht. Die wahre Macht des Staates liegt in den Händen von Ríos Montt, 77-jährig, pensionierter General, zum Evangelismus konvertiert, Putschist und angeklagt, einer der schlimmsten Verbrecher gegen die Menschenrechte in Guatemala zu sein. Im besten Stil der alten lateinamerikanischen Staatsführer gründet Ríos Montt seine Stärke und Attraktivität für die Massen auf das Bild eines Mannes mit eiserner Hand. So wie er es während der 17 Monate seiner tatsächlichen Regierungszeit in 1982-83 erkennen liess, in der er nicht nur die berühmt-berüchtigten Sondergerichtsbarkeits-Tribunale schaffte, um mutmassliche StraftäterInnen von vermummten RichterInnen zum Tode verurteilen zu lassen, sondern auch für das Ausradieren von 440 Dörfern, der Verhaftung und dem Verschwinden von un-

Fijáte 290 (30.07.03) PDF 1. Artikel
   Die Stille ist oft stärker als jedes Wort
   Mit einer ungewöhnlichen Pilgerreise erinnerten Padre Rigoberto Pérez und Mitglieder seiner Kirchengemeinde Ende Februar an den Brandanschlag auf das Pfarrhaus in Nebaj (siehe ¡Fijáte! 280 und 258). Anfang Juni war Padre Rigoberto in der Schweiz und wir hatten Gelegenheit, mit ihm über diese und andere Formen von Protest zu sprechen. Frage: Vor einigen Wochen haben Sie und Angehörige ihrer Kirchengemeinde eine Pilgerreise von Nebaj nach Antigua Guatemala gemacht. Weshalb diese Reise? Rigoberto Pérez: Anlass für diesen Marsch für Frieden und Versöhnung war der erste Jahrestag (21. Februar 2002) des Brandes des Pfarrhauses von Santa Maria Nebaj. Wir begannen diesen Gedenkanlass mit einer Messe morgens um halb vier Uhr. Die Kirche war voll. Zu neunt sind wir dann losmarschiert, Leute aus verschiedenen Gemeinden von Nebaj, alles Ixiles. Wir brauchten sechs Tage, um die ca. 250 Kilometer von Nebaj nach Antigua Guatemala zurückzulegen. Ziel der Reise war, denjenigen zu verzeihen, die das Pfarrhaus in Nebaj angezündet hatten. Gleichzeitig wollten wir uns für die nationale und internationale Solidarität bedanken, die wir bekommen haben. Wir alle ­ auch ich persönlich ­ haben uns entschieden, zu verzeihen, ohne gleichzeitig unserem Gerechtigkeitssinn abzuschwören. Wir fordern nach wie vor eine Aufklärung des Verbrechens und haben eine entsprechende Anzeige bei der guatemaltekischen Justiz eingereicht. Obwohl ich nicht daran glaube, dass die materiell und intellektuell Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, dafür herrscht zuviel Straflosigkeit in Guatemala! Unser Marsch war ein kleines und stilles Ereignis inmitten politischer Wirren: Es war die Zeit der landesweiten LehrerInnenstreiks. Das war einerseits schön, denn alle sozialen Bewegungen waren auf der Strasse, war aber gleichzeitig auch gefährlich, weil die politische Stimmung sehr polarisiert war. Frage:
   Wie wurden Sie von der Bevölkerung in den Dörfern, wo Sie durchgekommen sind, empfangen? R.P.: Wir sind schweigend durch die Dörfer marschiert und haben ein Transparent mitgetragen, auf dem stand, wer wir sind und was wir machen. Es gab Orte, wo uns die Leute kein Essen verkaufen wollten, weil sie Angst hatten, und weil ihre Erinnerung an die Zeit der Repression noch zu frisch ist. In Chichicastenango wollte mich ein Mann angreifen, doch die Gruppe hat mich geschützt. Scheinbar war dieser Mann ein Mitglied der Zivilpatrouillen und hat mich mit einem Anführer des LehrerInnenprotestes verwechselt. Obwohl mich das erstaunt, denn wir hatten unser Kommen über ein lokales Kabelfernsehen und über Radio angekündigt, und die Leute waren informiert. Frage: Was haben Sie mit dem Marsch erreicht? R.P.: In erster Linie haben wir uns selber bestätigt, dass das, was wir machen, richtig ist. Der Brand des Pfarrhauses war mehr als eine Drohung, es war ein Attentat mit dem Ziel, mich zu töten. Natürlich war die Bevölkerung sehr eingeschüchtert. Vor allem diejenigen, die die 80er Jahre erlebt hatten, fühlten sich an die Praktiken der "verbrannten Erde" zurückerinnert. Wir wollten unser Versprechen bestätigen, für einen wirklichen und würdevollen Frieden einzustehen. Gegenüber der Bevölkerung wollten wir zeigen, dass wir mit unserer Arbeit weiter machen und sie auf ihrer Suche nach Gerechtigkeit begleiten. Frage: Das bezieht sich auf die lokale Ebene, was aber haben Sie auf nationaler oder internationaler Ebene erreicht? R.P.: Auf lokaler Ebene war es eine schöne und wichtige Erfahrung. Auf nationaler Ebene ist unsere Aktion wegen der LehrerInnenstreiks etwas untergegangen. Trotzdem machte der Marsch für uns Sinn, denn ich glaube, gerade in so hektischen Zeiten braucht es stille Formen des Protestes. Die Stille ist oft stärker als jedes Wort. Frage:
   Welche anderen gewaltfreien Ausdrucksformen kennt und nutzt die guatemaltekische Bevölkerung, um ihren Protest auszudrücken? R.P.: Im Moment sind gewaltfreie Demonstrationen fast die einzige Ausdrucksform der zivilen Bewegungen. Niemand will in die gewalttätige Vergangenheit zurück, und alle geben sich extrem Mühe, diesen kleinen Spielraum, den uns die Friedensabkommen geöffnet haben, zu bewahren. Auch das Wissen und trotzdem Schweigen, das bewusste Vermeiden von Konfrontation ist eine Form gewaltfreien Protestes. Sicher bleibt viel Schmerz im Verborgenen, doch die Leute sind sich bewusst, wo die Macht sitzt und sind sehr vorsichtig und bedächtig im Provozieren dieser Macht. Frage: Unterschiedliche Formen des gewaltfreien und gewalttätigen Protests haben in letzter Zeit die Ex-PAC angewendet und damit die "Macht" provoziert ­ ohne dass diese übrigens mit Gewalt reagiert hätte! Wie muss man sich heute das Zusammenleben in den Gemeinden vorstellen, in denen sowohl Täter wie Opfer und Hinterbliebene von Opfern wohnen? R.P.: Die PAC folgen einer komplizierten, paramilitärischen Struktur. Mit den PAC wurde die Zivilbevölkerung in den schmutzigen Krieg involviert. Es wäre aber falsch zu sagen, die PAC seien die Täter, denn sie bildeten den Schluss einer Hierarchie, an deren Spitze der Staat und das Militär standen. Die wirklich Verantwortlichen müssen also auf dieser Stufe gesucht werden, obwohl es auch unter den PAC

Fijáte 289 (16.07.03) PDF 1. Artikel
   "Ich gebe dir 24 Stunden..."
   Eine Welle von Morddrohungen und Einschüchterungen gegen diejenigen, die es wagen, die Regierung zu kritisieren, diese der Korruption, der Verletzung von Menschenrechten oder gar der Verwicklung in das organisierte Verbrechen zu beschuldigen, geht in diesen Wochen durch das Land. Im Visier sind dabei besonders jene, die das, was vorgeht, an die Öffentlichkeit bringen. Doch die Situation ist offensichtlich, und Erklärungen liegen nahe. So ist in der Tageszeitung Prensa Libre zu lesen: ,,Jene, die unbedingt ihre Macht behalten wollen, finden in der Presse ein Hindernis für ihre düsteren Absichten. Dies erklärt die persönliche Verfolgung und Bedrohung von JournalistInnen, während auf institutioneller Ebene versucht wird, das Ansehen der Presse und ihrer Angehörigen zu verunglimpfen. Die Liste der verfolgten KollegInnen ist lang. Anhand der Methoden ist zu erkennen, dass sich dahinter die ,,parallelen Mächte" befinden, die unter dem Schleier der Straflosigkeit, die von den Einrichtungen des Staates gewährleistet wird, operieren. Die Drohungen zielen darauf ab einzuschüchtern, zu verängstigen und der Glaubwürdigkeit derer zu schaden, die die Korruption, das organisierte Verbrechen ­ verwurzelt in den Staatsstrukturen ­ , die Straflosigkeit und die verwaltungstechnische Unfähigkeit der Regierungspartei FRG anprangern. Wenn schon der Generalstaatsanwalt verbal die Opfer niedermacht, ist keine gerechte Ermittlung zu erwarten. Es ist besorgniserregend, dass die Fälle, die Ablehnung und Empörung hervorrufen, lediglich die Spitze des Eisbergs darstellen, der von der Regierungspartei genährt wird. Verletzt durch den steten Verlust an Ansehen versucht sie, diese Situation mit schwarzen Kampagnen gegen alle ihre Gegner umzudrehen und kann dabei auf einen mächtigen Apparat regierungsgesinnter Medien zählen." Inforpress fühlt diesem Aspekt noch mehr auf den Zahn:
   ,,Die in jeglicher Hinsicht zu verurteilende Attacke (gegen Zamora, s.u., die Red.) spiegelt ein ,,ziemlich gewöhnliches" Ereignis wider, in dem sich die bestialische Seite des Zentauren dem Tageslicht zeigt. Und dies auf Kosten der scheinbaren Legitimität eines politischen Systems, dazu fähig, die sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen des nationalen Lebens zu regulieren. Die Krise der Repräsentationsbefugnis der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) fällt zusammen mit Bewegungen und Rissen in den realen Machtsektoren des Landes. Ein Grossteil dieser Turbulenzen steht in Verbindung mit den Auseinandersetzungen darüber, wer die privilegierten Plätze des unterirdischen Lebens in Guatemala wird einnehmen können. Veränderungen in den Regeln der Macht und der Akkumulation auf internationaler Ebene, die Unsicherheit in Bezug auf die zukünftige Interpretation der Vergangenheit und Konflikte in der Oligarchie selbst nähren diese unterirdischen Flammen, die nur schwierig zu zügeln sind, besonders in einem Wahljahr." Am 24. Juni drangen zwölf Schwerbewaffnete, die sich als Angehörige der Staatsanwaltschaft ausgebend an den Wachposten des Stadtviertels vorbeimogelten, in das Wohnhaus von José Rubén Zamora und seiner Familie ein, schlugen, knebelten und bedrohten alle Anwesenden zwei Stunden lang. Mit dem Rat an Zamora, er solle auf seine Familie aufpassen und nicht mit einer Anzeige ,,die da oben" belästigen sowie mit drei entwendeten Kreditkarten und Waffen aus der häuslichen Sammlung, verschwanden sie schliesslich. Zamora ist Journalist und Präsident des Verlagsrates der Tageszeitung elPeriódico. Er selbst sieht eine mögliche Verbindung der Tat mit seiner am Tag zuvor in der Zeitung veröffentlichten Kolumne unter dem Titel: ,,Ríos Montt, einige Stichpunkte".
   Darin benennt Zamora den Kongresspräsidenten als den fundamentalen Bestandteil der parallelen Machtstrukturen, der in den letzten 20 Jahren das Land regiert habe und der Kopf des organisierten Verbrechens sei. Auf nationaler und internationaler Ebene wird der Übergriff auf Zamora scharf verurteilt und der Staat zu einer gründlichen Ermittlung aufgefordert. So erklärten u.a. Gonzalo Marroquín, Direktor der guatemaltekischen Tageszeitung Prensa Libre und Vertreter der Interamerikanischen Pressevereinigung (SIP), Mario Polanco von der Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM), die Sprecherin der UN-Mission MINUGUA, Seda Pumpyanskaya sowie Eduardo Bertoni, Gesandter für Meinungsfreiheit der Organisation der Amerikanischen Staaten (OEA) Zamora ihre Solidarität. "Ihn auszuziehen und gefesselt seiner Familie vorzuführen sind Aktionen mit klarem Einschüchterungscharakter. Sie wollten eine grosse Wirkung erzielen, und das haben sie geschafft," meint Menschenrechtsombudsmann Sergio Morales. Zudem erklärt er, dass die für diese Tat seiner Meinung nach verantwortlichen klandestinen Gruppen eine parallele Gesellschaft darstellten, ,,zusammengesetzt aus Personen aller Sektoren: UnternehmerInnen, Militärs, StaatsfunktionärInnen, Sicherheitsagenten und Angehörige der Justiz. Manche haben es gewagt, die Grösse der Netze zu bestimmen und reden von Zellen mit zwischen 2´000 und 20´000 Personen." In Guatemala könnten um die sechs oder sieben solcher Netzte existieren, so der Ombudsmann. Carmen Aída Ibarra von der Myrna-Mack-Stiftung ist davon überzeugt, dass Zamora das Opfer eines systematischen Musters der Gewalt gegen Menschenrechts-

Fijáte 288 (02.06.03) PDF 1. Artikel
   Migration in Guatemala
   Dieser thematische ¡Fijáte! ist dem Thema Migration gewidmet. Im einleitenden Artikel erläutert Aldo Mario René Tobar Gramajo die strukturellen Ursachen und Dimensionen der Migration in Guatemala. Aldo lehrt an der Universität San Carlos und beschäftigt sich derzeit mit Promotions-Studien am mexikanischen Colegio de la Frontera Sur zum Thema "Ländliche Migration und Verschlechterung der Naturressourcen im Hochland Guatemalas". Kathrin Zeiske erläutert unter dem Titel "Kaffeeernte und Hausarbeit" die Bedeutung der Migration in den Süden Mexikos. Mit den "Auswirkungen der temporären Emigration..." beschäftigt sich Philipp Burtzlaff in seinem Artikel und beschreibt die entsprechende Situation in der Sierra de Los Cuchumatanes. Inga Rahmsdorf beschreibt in ihrem Bericht "Transmigration in die USA" die Umstände an der Grenze Guatemala-Mexiko, mit der sich die MigrantInnen konfrontiert sehen. Im Rahmen des Süd-Nord-Projekts ,,Flucht und Migration an Aussengrenzen von Wirtschaftsblöcken: Ein Vergleich der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Situation" des ASAProgramms ("Arbeit und Studium in Afrika, Asien, Lateinamerika") der InWEnt GmbH waren Kathrin, Philipp und Inga im Herbst 2002 in der Grenzregion Mexiko-Guatemala, um dort verschiedenste Institutionen und Organisationen im Feld der Migration kennen zu lernen und MigrantInnen in ihren Lebens- und Arbeitszusammenhängen zu interviewen. Wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bei den vier AutorInnen für ihre Beiträge bedanken, die sie extra für diesen ¡Fijáte! verfassten. Wir haben diese tw. geringfügig kürzen müssen, nicht zu vermeidende Wiederholungen werden dem Verständnis dienen.
   Strukturelle Ursachen und Dimensionen der Migration in Guatemala
   Immer öfter und stärker schenkt die guatemaltekische Öffentlichkeit ihre Aufmerksamkeit dem Phänomen der internationalen Migration. Dies geschieht nicht nur aufgrund der Berichte über Tote und Überfalle, zu deren Opfern die lateinamerikanischen MigrantInnen in ihrem Bestreben werden, in die Vereinigten Staaten zu gelangen. Seit dem 11. September 2001 übernehmen sie nun vielmehr die Rolle des Sündenbocks, dem alles Böse zugeschrieben werden kann, das die ,,ergebene und friedliebende" nordamerikanische Gesellschaft verwüstet. Was bewegt Millionen von LateinamerikanerInnen dazu, ihre Länder zu verlassen, um den sogenannten ,,amerikanischen" Traum zu suchen? Ist dies eine vorübergehende Mode? Oder vielleicht der Abenteuergeist? Im vorliegenden Artikel wird der Fall Guatemalas vorgestellt, der sich nicht sehr von den übrigen lateinamerikanischen Ländern unterscheidet. Dabei wird aufgezeigt, dass Migration kein Produkt einer spezifischen Konjunktur, sondern ein historisches Phänomen ist, das als solches eine grosse Wirkung auf die guatemaltekische Bevölkerung im Speziellen und auf die lateinamerikanische im Allgemeinen hatte, immer noch hat und weiter haben wird. Strukturelle Ursachen der Migration in Guatemala Guatemala ist ein Land mit einer territorialen Ausdehnung von 108,889 km². Seine Bevölkerung beläuft sich auf 10´029´714 EinwohnerInnen (laut Volkszählung 2003: 11´ 237´196, die Red.). Die Art und Weise, in der sich diese auf das nationale Territorium verteilen ­ 65 % leben auf dem Land ­ hat zur Folge, dass Guatemala als ein Land mit vornehmlich ruraler Gesellschaft gilt (IV. Volkszensus, 1993). Diese starke ländliche Prägung ist das Ergebnis eines historisch bestimmten Prozesses, der in Verbindung mit dem Zugang zu und dem Besitz von Land steht. Hier erweisen sich zwei geschichtliche Momente als grundlegend:

Fijáte 287 (18.06.03) PDF 1. Artikel
   US-Militärhilfe an Lateinamerika
   Seit über einem Jahrhundert unterstützen die Vereinigten Staaten die Sicherheitskräfte und Armeen in Lateinamerika und der Karibik. Ihren Höhepunkt erreichte die US-Militärhilfe während des Kalten Krieges. Auch heute noch besteht eine enge Beziehung zwischen der US- und den lateinamerikanischen Armeen. Was sich seit dem Kalten Krieg hingegen verändert hat, sind die Gründe für diese Unterstützung sowie die Möglichkeiten der Öffentlichkeit, die militärische Zusammenarbeit zu überwachen. Vom 6.­ 9. Mai fand in Chiapas, Mexiko, ein internationales Treffen "Gegen die Militarisierung" statt. Mehr als 900 TeilnehmerInnen berichteten über ihre Erfahrungen und Strategien gegen die schleichende oder galoppierende Militarisierung in ihren Ländern. Der nachfolgende Text ist eine Zusammenfassung einer auf der Webseite des Treffens zu findenden Übersicht über die US-Militärhilfe an Lateinamerika. Der Artikel stammt aus dem Jahr 1999, wobei die konkreten Zahlen irrelevant sind und es vielmehr um die Logik und Strategie geht, unter der diese Militärhilfe stattfindet. Heute läuft die US-Militärhilfe an Lateinamerika und in die Karibik unter unterschiedlichen Namen und Programmen, was es schwierig macht, sich einen Überblick zu verschaffen. Sie wird durch verschiedene Regierungskanäle geschleust, durch zahlreiche Gesetze ermöglicht, durchläuft unterschiedliche bürokratische Prozesse, wird von mehreren Kongressinstanzen überwacht und mit mehr oder weniger Offenheit publik gemacht. Seit den 90er Jahren, als die USA begannen, den Deckmantel ihrer Unterstützung von "Sicherheit" auf "Drogenbekämpfung" umzubenennen, wurden neue Institutionen geschaffen und noch mehr Programme eingeführt, was eine Kontrolle zusätzlich erschwert.
   Grob kann unterschieden werden in "traditionelle Militärhilfe", die durch den Kongress verabschiedet wird und entsprechend klare und strenge Richtlinien umfasst, und in Programme, die vom Verteidigungsministerium, dem Pentagon, ausgeführt und finanziert werden. Diese Unterteilung ist mehr als eine gesetzliche Spitzfindigkeit, sie hat auch einen Einfluss auf die öffentlichen Kontrollmöglichkeiten. Noch bis vor kurzem lief die Militärhilfe fast ausschliesslich über das vom Kongress verabschiedete "Gesetz über die Auslandshilfe", z.B. der Waffenverkauf, die Ausbildung von ausländischem Militär, etc. Das Verteidigungsministerium seinerseits finanzierte die Errichtung von US-Militärbasen, den Unterhalt von Infrastrukturen wie der Escuela de las Américas (an der zahlreiche lateinamerikanische Foltergeneräle ausgebildet wurden), oder die Ausbildung des Comando Sur, einer Eingreiftruppe zur Wahrung der US-amerikanischen Interessen in Lateinamerika. Im Rahmen der "traditionellen Militärhilfe" wird die Unterstützung an Bedingungen und Restriktionen geknüpft. Z.B. an das Zertifizierungsverfahren über Drogen, gemäss dem die Subventionen gekürzt oder gestrichen werden können, wenn ein Land nicht im von den USA angeführten Kampf gegen den Drogenhandel kooperiert. (Guatemala wurde vor kurzem die Zertifizierung entzogen, die Unterstützung jedoch nicht (siehe ¡Fijáte! 277), die Red.) Auch Verstösse gegen die Menschenrechte durch Armeen können dazu führen, dass die Entwicklungs- bzw. Militärhilfe gekürzt wird. Im Gesetz über die Militärhilfe sowie im Waffenausfuhrgesetz gibt es verschiedene Mechanismen und Programme, die den Verkauf, die Schenkung oder Vermietung von in den USA fabrizierten Waffen begünstigen. Das Programm zum Verkauf von Militärgütern ins Ausland (FMS) ist der Hauptkanal, über den die USA Waffen an ausländische Regierungen verkaufen.
   Ein Land, das Waffen über das FMS kauft, muss nicht direkt mit dem Waffenhersteller verhandeln. Das US-Verteidigungsministerium fungiert bei diesen Geschäften als Zwischenhändler und verkauft dabei nicht selten gleich noch seine Dienste für Unterhalt und Ausbildung. Gemäss Schätzungen der US-Regierung haben die lateinamerikanischen und karibischen Länder im Jahr 1998 Waffen, Trainings- und Unterhaltsleistungen im Wert von 163 Mio. US-$ gekauft. Auch der Verkauf von High-tech-Waffen, wie z.B. moderne Jagdflugzeuge, laufen, nachdem im Jahre 1997 ein entsprechendes Waffenausfuhrverbot aufgehoben wurde, über das FMS-Programm. Bei einem anderen Programm, das den direkten Waffenhandel zwischen Hersteller und Käufer ermöglicht, vergibt das Aussenministerium Lizenzen, ohne jedoch weiter zu verfolgen, was mit den unter diesen Lizenzen verkauften Waffen geschieht. Ein weiteres Programm zur ausländischen Militärunterstützung vergibt Kredite und Darlehen, damit über das obengenannte FMS US-amerikanische Waffen gekauft werden können. Während der 80er Jahre wurde der grösste Teil der Militärhilfe an Lateinamerika über dieses Kreditprogramm getätigt. Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmegesetze, mit denen die US-amerikanische Regierung in "unvorhergesehenen Notfällen" Militärhilfe gewähren kann. Laut Gesetz ist die Bekämpfung des Drogenhandels ein möglicher Notfall solcher Art, wofür das Verteidigungministerium jährlich bis zu 75 Mio. US-$ einsetzen kann. Der Kongress hat keine Einflussmöglichkeit auf diesen Fonds, daraus getätigte Ausgaben müssen jedoch 14 Tage im Voraus angemeldet werden. Im Jahre 1998 gingen 600'000 US-$ aus diesem Fonds nach Guatemala, über 41 Mio. nach Kolumbien. Ein weiteres Gesetz regelt den Verkauf bzw. die Schenkung gebrauchter Militärutensilien an ausländische Ar-

Fijáte 286 (04.06.03) PDF 1. Artikel
   Das politische Projekt der Indígenas muss warten
   Juan León Alvarado ist Vertreter der Defensoría Maya, die sich für die Rechte der indigenen Bevölkerung stark macht und hat schon zweimal für die inzwischen aufgelöste Demokratische Front Neues Guatemala (FDNG) für die Wahlen kandidiert. In einem Interview mit der Tageszeitung Prensa Libre versicherte er, dass die Zeit in Guatemala noch nicht reif sei für einen Indígena als Präsidenten, aber dass dieses Ziel mit viel Arbeit und Engagement zu erreichen sei. Frage: Wie sieht das wahlpolitische Szenario für die Indígenas aus? Juan León Alvarado: So wie heute die Parteien daherkommen, die Auswahl ihrer KandidatInnen und der Inhalt ihrer politischen Programme, haben wir das Gefühl, in die Vergangenheit zurückgeworfen worden zu sein. 98% der KandidatInnen für die Präsident- und Vizepräsidentschaft sind NichtIndígenas. Von Gleichstellung kann also nicht die Rede sein. Die Indígenas selber beteiligen sich höchstens auf lokaler Ebene in Gemeinderatsgremien. Mehr nicht. Frage: Werden die Indígenas als WählerInnen verachtet? J. L.: Die PolitikerInnen haben eine Mentalität des Ausschlusses und der Verachtung gegenüber ihrer WählerInnenschaft. Sie benützen die Indígenas während der Wahlkampagne aber ausschliesslich für operative Zwecke. Sie schätzen uns, weil wir so viel Ausdauer haben, nicht müde werden beim Verteilen von Flugblättern und weite Strecken gehen, aber damit hat es sich auch schon. Frage: Wie viele Indígenas gehen wählen? J. L.: Rund 70% der guatemaltekischen Bevölkerung sind Indígenas. Umgerechnet in Wahlstimmen und angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung machen sie etwa die Hälfte aller WählerInnen aus. Die Abgeschiedenheit ihrer Gemeinden ist oft ein Faktor, der sie vom Wählen abhält. Ein anderer ist der wirtschaftliche Aspekt. Viele Indígenas haben keinen Ausweis und sind nicht ins Wahlregister eingetragen.
   Auch wenn nun Computer in den Einkaufszentren aufgestellt werden, damit sich die Leute ins Wahlregister eintragen lassen können ­ für sie ist es wichtiger, ihren Kindern etwas zu essen zu kaufen, als Geld für einen Ausweis auszugeben. Frage: Mit welchen Themen gewinnt man die Stimmen der Indígenas? J.L.: Ein wichtiges Thema ist der Wiederaufbau staatliJ. L.: Da wird etwas verwechselt. Wir Indígenas sind loyal. Wenn wir unser Wort geben, halten wir es. Diese Eigenschaft wird mit Manipulierbarkeit verwechselt. Die Wahlstimme der Indígenas ist manipulierbar, nicht weil wir dumm wären, sondern weil eine unserer Qualitäten ausgenutzt wird. Natürlich ist es schwierig, wenn den Leuten etwas angeboten wird, z. B. einer Gemeinde ein Projekt oder die Lieferung von Düngemittel versprochen wird. Es ist Teil unserer Arbeit, den Leuten das Bewusstsein zu vermitteln, ihre Stimme nicht gegen ein Geschenk zu verkaufen. Wir mussten auch immer wieder die Erfahrung machen, dass uns die PolitikerInnen während der Wahlkampagne etwas versprachen und danach nicht einhielten. Frage: Was halten Sie von der Kandidatur von Rigoberto Quemé Chay? J. L.: In meinen Kreisen ist er sehr akzeptiert. Seine Kandidatur wird positiv bewertet als der Beginn indigener Partizipation. Ich würde sagen, 90% der indigenen Organisationen stehen hinter ihm. Wie es mit der Bevölkerung an sich steht, kann ich nicht sagen. Rigoberto steht viel Arbeit bevor. Ich habe zweimal an Wahlprozessen teilgenommen und weiss, dass zwischen der Illusion und der politischen Realität ein breites Feld liegt. In unserem Land muss sich jemand bedauerlicherweise einer reichen Partei ,,verkaufen" oder viel Geld besitzen, um gegen die traditionellen Sektoren anzukomcher Institutionen. Die öffentliche Politik muss verändert werden, die Leute müssen wieder Vertrauen in ihre politischen VertreterInnen haben können.
   Zu sagen, eine Regierung könne alle Probleme lösen, ist pure Demagogie, weil die existierenden Institutionen diese Kapazität nicht haben. Es müssen Mechanismen geschaffen werden, welche die Beteiligung der Indígenas garantieren, ohne dabei in Apartheid zu verfallen. Wenn ich Kandidat wäre, wäre das der einzige Punkt in meinem Regierungsprogramm. Frage: Was hat es mit der vermeintlichen Manipulierbarkeit der indigenen WählerInnenstimmen auf sich?

Fijáte 285 (21.05.03) PDF 1. Artikel
   Entscheidende Woche für die Zukunft des Landes
   Die Presse im Land kündigte eine entscheidende Woche für Guatemala an. Am Montag, 12. Mai, startete die vierte Verhandlungsrunde des Freihandelsabkommens CAFTA (Central American Free Trade Agreement) zwischen Zentralamerika und den Vereinigten Staaten mit Veranstaltungsort in Guatemala. Zudem war für die darauffolgenden Tage der Aufruf zum offiziellen Präsidentschaftswahlkampf im November vorgesehen. Und ­ last but not least ­ standen am 13. und 14. Mai die Beurteilung und Revision der im letzten Jahr in Washington D.C., USA, der Regierung auferlegten Hausaufgaben durch die Spenderländer an, deren Ergebnisse Mitte der Woche beim Treffen der Konsultivgruppe die Art und Weise ihrer zukünftigen Kooperation und Unterstützung Guatemalas entscheiden werden. Wir übernehmen im folgenden einen Artikel von Erwin Pérez, der am 12. Mai von der Nachrichtenagentur Incidencia Democrática veröffentlicht wurde. In Bezug auf die Wirtschaftsverhandlungen fordert die Zivilgesellschaft mehr Informationen darüber, was und wie die Regierung verhandelt und es wurden Demonstrationen gegen das Freihandelsabkommen CAFTA angekündigt. Währenddessen gibt das Höchste Wahlgericht (TSE) diversen Details den letzten Schliff, um den Wahlkampf amtsgemäss zu eröffnen, der im Grunde genommen schon seit Monaten über das nationale Territorium zieht, wobei die Optionen der BürgerInnen noch gar nicht klar definiert sind. Hinsichtlich der Konsultivgruppe lohnt es sich, daran zu erinnern, dass bei dieser Gelegenheit die Delegierten sowohl der Internationalen Gemeinschaft als auch der Regierung jeweils ihre Sicht der Dinge bezüglich der im letzten Jahr in Washington aufgestellten neun Abkommen darlegen werden. Die letzten Vorbereitungen sind nur noch Formsache, die Diskussionsinhalte wurden bereits festgelegt. Dennoch stellt dieser kosmetische Teil die beste Waffe für die Regierung dar.
   Die VertreterInnen der Regierungspartei FRG (Republikanische Front Guatemalas) putzen sich heraus, um in buntem Geschenkpapier die kleinen Aktionen zu präsentieren, die zur Rechtfertigung der erlangten Vereinbarungen realisiert wurden. Die Tatsache, dass lediglich die neun Punkte von Washington in die Tagesordnung mit aufgenommen wurden, stellt einen Vorteil für die Regierung dar, bedeutet jedoch gleichzeitig eine Schwäche für den Prozess als Ganzes, denn die Diskussion wird sich auf diese Themen fokussieren und andere wichtige aussen vorlassen. Es ist also voraussehbar, dass die Regierungsmitglieder sich bemühen werden, ein höchst positives Panorama aufzuweisen, währenddessen die Gewerkschaftsbewegung CNSP eine massive Mobilisierung für den 14. Mai ankündigt. Die Abgeordneten der Regierung werden nicht an Mühen geizen, ein Land fern der Krise vorzuführen, obwohl sie den Rückstand eingestehen, die einige Punkte einbüssen. Aber diesbezüglich beschuldigen sie die Opposition, das Vorankommen der von der Regierungspartei eingereichten Vorschläge zu lähmen. Und dies besonders in der Legislativ-Agenda, der gegenüber eine allgemein negative Einstellung von fast allen Oppositionsparteien zu erkennen ist. Diese lehnen beinahe systematisch jegliche Initiative ab, die von der FRG ausgeht,, und zwar mit Haltungen, die ihre parteilichen Interessen noch vor den nationalen garantieren, was von jedem Standpunkt aus kritisierbar ist. Dennoch und trotz allen Schmuckes, den die Regierung dem Land und dem Friedensprozess anlegen will, ergeben sich weiterhin in der Realität Guatemalas keinerlei Anzeichen für die Lösung der Probleme, die Anlass für den Krieg gaben.
   Einmal abgesehen von der (nicht zu Unrecht) pessimistischen Einschätzung, die die Regierung ihren VerleumderInnen vorwirft, ist es tatsächlich so, dass die signifikanten Erfolge der Friedensabkommen in den ersten Jahren nach ihrer Unterzeichnung 1996 zu verzeichnen waren. Wir GuatemaltekInnen sind nicht mehr im Krieg, aber dieser ist ersetzt worden durch die undifferenzierte und in alarmierender Weise stattfindende Gewalt. Die Verfolgungen und Amtseinschüchterungen von staatlichen Behörden haben sich verändert. Aber in den letzten fünfzehn Monaten sind die Ermordungen, Hausfriedensbrüche, aussergerichtlichen Hinrichtungen und Einschüchterungsversuche gegen Justizangestellte, BäuerInnenführerInnen und JournalistInnen zur täglichen Nachricht geworden. So sehr man positive Elemente finden möchte, immer stolpert man über Hindernisse, die konkrete Fortschritte behindern. Folgendes Beispiel: Die Exekutive ergriff die Initiative, um mittels eines Regierungsabkommens den Sicherheitsrat zu gründen, was im Prinzip positiv zu bewerten ist; zudem erfüllt die FRG damit die Friedensverträge. Doch bleibt sie dabei auf halber Strecke stecken, denn die Erwartungen der Zivilgesellschaft waren jene, dass die Schaffung dieses Sicherheitsrates auf einem Legislativabkommen basiere, wobei das Anforderungsprofil und die Funktionen der Mitglieder klar umrissen wären. (Für das Inkrafttreten eines Regierungsabkommens reicht es aus, dass der Präsident es unterschreibt und es im Regierungsorgan publiziert wird, wobei es durch ein erneutes präsidiales Dekret wieder ausser Kraft gesetzt werden kann. Ein Legislativabkommen muss indes vom Kongress akzeptiert werden, die Red.) In Anbetracht der sich nähernden Präsidentschaftswahlen bestehen gewisse Vorbehalte, an diesem Sicherheitsrat teilzunehmen, da er nicht über die notwendigen Voraussetzungen für ein angemessenes

Fijáte 284 (07.05.03) PDF 1. Artikel
   Guatemaltekische Gewerkschaften: Raus zum 1. Mai!
   Im Zusammenhang mit Guatemala vom 1. Mai zu sprechen bedeutet, von Kampf und Widerstand zu sprechen, von (meist nichterfüllten) Forderungen, von nicht bezahlten Löhnen. Es bedeutet, von Gewerkschaften zu sprechen, die trotz enormen politischen und ökonomischen Widrigkeiten nicht müde werden, weiterzukämpfen. Zugegeben, im Vergleich zu den 70er- und 80er- Jahren hat die guatemaltekische Gewerkschaftsbewegung in den letzten Jahren an Kraft verloren und ihre traditionellen 1. Mai-Demonstrationen waren oft nicht mehr als ein kümmerliches Grüppchen, das Parolen gegen die längst vollzogene Privatisierung skandierte. Doch ist in den letzten Monaten eine Bewegung gewachsen und erstarkt, die den klassischen ArbeiterInnenkampf etwas breiter fasst und sich im Protest gegen die Globalisierung organisiert und vernetzt, und in deren Sog auch die Gewerkschaften wieder Aufwind bekommen. Im Folgenden eine Zusammenfassung des 1. Mai-Kommuniqués, das in Zusammenarbeit von UGT (Guatemaltekische ArbeiterInnenunion), CNSP (Nationale Volks- und Gewerkschaftkoordination) und der UNSITURAGUA (Gewerkschaftseinheit der ArbeiterInnen Guatemalas) verfasst und von der guatemaltekischen Gewerkschaftsbewegung CGTG veröffentlicht wurde. Die heutige Arbeitssituation: Obwohl in Guatemala heute die Arbeitsrechte in der Verfassung, im Arbeitsgesetz und in ratifizierten internationalen Abkommen verankert sind, existieren sie in der Praxis nicht. LandarbeiterInnen auf den Fincas und MaquilaarbeiterInnen in den Städten werden entlassen, sobald sie sich gewerkschaftlich organisieren. Angestellte des öffentlichen Dienstes, vor allem in den Gemeindebehörden, sind von den Parteien abhängig und werden, falls sie sich nicht ducken, verfolgt, nicht ernst genommen, beschissen oder entlassen.
   Das unter der PAN-Regierung von Alvaro Arzú erlassene Anti-Streik-Gesetz verletzt die Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Die FRG ihrerseits hat ein Gesetz erlassen, das es den öffentlichen Angestellten verbietet, Verhandlungen über Gehaltserhöhungen zu führen. Arbeitslosigkeit: Arbeitslosigkeit ist die Konsequenz einer fehlenden Beschäftigungspolitik der Regierung. Rund 76% der erwerbstätigen Bevölkerung arbeitet im informellen Sektor. Die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit zwingen unsere Bevölkerung in die Knie: Verzweiflung und das Auseinanderreissen der Familie, die Abwanderung in die Städte oder die Migration in den Norden sind die Folgen davon. Arbeitslose Jugendliche schliessen sich den maras (kriminelle Jugendbanden) an und kommen in Kontakt mit Gewalt, Alkoholismus, Prostitution und Drogenkonsum. Zusammengefasst bedeutet das eine Verminderung der Lebensqualität in unserem Land. Löhne: Es gibt keine staatliche Politik, die die Kaufkraft unserer Löhne erhalten oder stärken würde. Die ausgehandelten Mindestlöhne werden in der Praxis zu Maximallöhnen, die in vielen Fällen in der Privatwirtschaft nicht ausbezahlt werden. Die staatlichen Kontrollmechanismen, um diese Abkommen zu überprüfen, funktionieren nicht. Land: Trotz Friedensabkommen und all der Propaganda, die um sie gemacht werden, ist kein Ausweg in Sicht, um das historische Landproblem zu lösen. Die Schaffung von "Kommissionen auf höchster Ebene" war nichts anderes als eine Verzögerungstaktik, die nichts bewirkt hat ausser Frustration und Demotivierung innerhalb der LandarbeiterInnenbewegung. Frau und Arbeit: Wir unterstützen die Bemühungen der Frauen, auf dem Arbeitsmarkt Gleichstellung zu erlangen. Wir alle, die an die Würde der Frau glauben, müssen diese Forderung mittragen. Wir sind gegen eine Politik, die zu einer Feminisierung der Armut beiträgt.
   Ebenso unterstützen wir die Arbeitskämpfe der Hausangestellten, der Maquilaarbeiterinnen und der Landarbeiterinnen. Kinderarbeit: Das Drama der guatemaltekischen Kinder zu überwinden, vor allem derer, die auf dem Land oder in marginalisierten Gegenden leben und arbeiten, die gezwungen sind, in Maquilas, auf der Strasse, als SteineklopferInnen, in Feuerwerkswerkstätten etc., zu arbeiten, ist eine der grössten Herausforderungen für den guatemaltekischen Staat.(siehe separater Artikel, die Red.) Arbeitsrechtliche Straflosigkeit: Die zunehmende Repression gegen die Gewerkschaftsbewegung ist beunruhigend. Ebenso die Schwierigkeit, Arbeitskonflikte juristisch auszutragen. In diesem Panorama gibt es keine Aussicht auf Verbesserung, im Gegenteil, Initiativen wie das neue Arbeitsgesetz u.a. gefährden die Prinzipien des Arbeitsrechts. Werden diese Initiativen angenommen, werden wir ArbeiterInnen unsere letzten Rechte verlieren, die bisher als unantastbar galten. Die Flexibilisierung der Arbeit, die heute schon Usus

Fijáte 283 (23.04.03) PDF 1. Artikel
   Ein einziger Fall nur!
   An der 59. Session der Menschenrechtskommission der UNO in Genf waren nebst VertreterInnen der guatemaltekischen Regierung auch Mitglieder verschiedener Menschenrechtsorganisationen anwesend, um die Situation der Menschenrechte aus ihrer Perspektive zu schildern. Der Delegation gehörten u.a. María Eugenia Morales de Sierra, stellvertretende Menschenrechtsombudsfrau und Mario Polanco von der Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM) an. Die Fijáte-Redaktion hatte Gelegenheit, mit den beiden zu sprechen. Frage: Mit welchen Vorschlägen und Forderungen seid ihr nach Genf gekommen? María Eugenia Morales de Sierra: Ich wurde vom Menschenrechtsprokurator Sergio Morales hierher geschickt, um als Beobachterin an der UNO-Session teilzunehmen, an der die Situation der Menschenrechte in Guatemala behandelt wird. Meine Aufgabe ist, unseren Vorschlag an die guatemaltekische Regierung über die Schaffung eines Untersuchungsausschusses über illegale paramilitärische Verbände und geheime Sicherheitstrupps auf dieser internationaler Ebene vorzustellen. In der CICIACS, wie die Kommission abgekürzt genannt wird, sollen ja nebst der Organisation Amerikanischer Staaten (OEA) und der guatemaltekischen Regierung auch zwei VertreterInnen der UNO präsent sein. Ein weiterer Grund herzukommen ist, dass das Menschenrechtsprokurat (PDH) ja eine wichtige Rolle übernehmen soll, wenn sich die UNO-Mission für Guatemala (MINUGUA) Ende des Jahres zurückzieht. Dazu brauchen wir jedoch finanzielle Mittel, welche zu beantragen zu den Motiven meiner Reise gehört. Unser Aussenminister, Edgar Gutiérrez, hat die Entsendung eines Repräsentanten oder einer Repräsentantin des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte nach Guatemala gefordert, damit weiterhin eine Verifizierung der Menschenrechtssituation in unserem Land garantiert ist, auch nach dem unmittelbaren Weggang von MINUGUA.
   Seitens der PDH unterstützen und begrüssen wir diese Forderung, wünschen uns aber eine klare Definition dieses Mandats. Mario Polanco: Unsere Delegation nach Genf ist zusammengesetzt aus VertreterInnen von Menschenrechtsorganisationen, der PDH und der katholischen Kirche, die sich seit Menschengedenken für die Menschenrechte in unserem Land einsetzt. Die Heterogenität unserer Delegation, die gleichzeitig eine Homogenität darstellt, da wir gemeinsam und koordiniert an den selben Themen arbeiten, ermöglicht es, unsere Beziehungen auf internationaler Ebene zu verstärken und zu vertiefen. Wie erwähnt kommen wir mit der konkreten Forderung nach der Entsendung einer Vertretung des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte nach Guatemala. Wir sind der Meinung, dass MINUGUA ihren Auftrag erfüllt hat und sich zurückziehen soll. Es ist an der Zeit, dass die PDH und die Menschenrechtsorganisationen dahingehend gestärkt werden, dass sie selber die Einhaltung und Überwachung der Menschenrechte garantieren können. Während dieser Übergangsphase ist in unseren Augen die Präsenz des UNO-Hochkommissariats unumgänglich. Dessen Anwesenheit macht aber nur Sinn, wenn Aufgaben und Kompetenzen klar definiert sind. Seine Aufgabe sollte darin bestehen, die Koordination aller Institutionen und Organisationen, die mit Menschenrechten zu tun haben, sicherzustellen. Aber ­ und das ist der grosse Unterschied zum Mandat von MINUGUA ­ es muss von Anfang an mitbedacht werden, dass dieses Mandat und die privilegierte Position, die daraus resultiert, mittelfristig an die PDH übergeben werden muss. MINUGUA hat sich während ihrer neun Jahre Anwesenheit im Land nie darum bemüht, die PDH oder die sozialen Organisationen zu stärken. Und jetzt, wenige Monate bevor sie sich zurückzieht, will sie in einigen Kursen und Workshops all diese Verantwortung an uns übergeben.
   Ein weiterer Grund unserer Reise ist die CICIACS. Wobei es uns Menschenrechtsorganisationen nicht nur darum geht, die internationale Gemeinschaft über die CICIACS zu informieren, sondern darum, erste konkrete Schritte einzuleiten. Stichwort Finanzen: Es liegt uns viel daran, dass auch europäische Länder die CICIACS finanziell unterstützen, und nicht nur die USA. Frage: Worin seht ihr den Sinn von UNO-Missionen und Kommissionen wie der CICIACS? MINUGUA ist nun seit rund 8 Jahren in Guatemala und man kann beim besten Willen nicht sagen, dass sich die Menschenrechtssituation verbessert hätte. M.P.: MINUGUA hat verschiedene Etappen durchgemacht, wovon einige sehr positiv waren. Die Stärke oder Schwäche von MINUGUA hing immer stark mit ihrem jeweiligen Delegationsleiter zusammen. Unter ihrem ersten Leiter blühte sie auf und konnte dieses Niveau auch unter dem zweiten Leiter halten. Die Folge davon war, dass sich die PDH zurückgezogen hat und sich gedacht hat "Soll sich doch MINUGUA um die Menschenrechtsverletzungen kümmern". Unter dem dritten Missionsleiter, Jean Arnault, fand ein Rückschritt statt. In diese Zeit fiel z.B. der "Fall Mincho", der MINUGUA in ein ziemlich schlechtes Licht rückte. Der Nachfolger von Arnault, Gerd Merrem,

Fijáte 282 (09.04.03) PDF 1. Artikel
   Die europäische Entwicklungszusammenarbeit mit Guatemala
   In den 80er-Jahren begann die europäische Union mit der politischen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Zentralamerika. Ausschlaggebend für diese Kooperation war das europäische Interesse, die verschiedenen Friedensverhandlungen und ­prozesse sowie die Integration Zentralamerikas in den Weltmarkt zu begleiten. Weiter wollte man helfen, die Bevölkerung der Region besser vor Naturkatastrophen zu schützen. Im Falle Guatemalas hat die Zusammenarbeit vor etwa 15 Jahren begonnen. Die Gewährung (oder nicht) internationaler Entwicklungsgelder ist aber gleichzeitig auch ein politisches Druckmittel (Beispiel Strukturanpassungsprogramme). Auch die europäische Gemeinschaft drohte kürzlich der Regierung Portillo mit einer Kürzung der Entwicklungsgelder, falls nicht endlich die in den Friedensabkommen festgelegten strukturellen Reformen durchgeführt würden. Der folgende Artikel über die europäische Kooperation beruht auf einem Referat, das der EU-Abgeordnete Philippe Combescot am 14. Februar 2003 in Quetzaltenango anlässlich der Durchführung des Mesodiálogo Occidente hielt. Historischer Rückblick In der zweiten Hälfte der 80er-Jahre unterstützte die europäische Union die Dialoge in Zentralamerika und begleitete in den einzelnen Ländern die Verhandlungen, die zu den Friedensunterzeichnungen führten. Damals gab es noch keine Zusammenarbeit auf staatlicher Ebene, sondern ausschliesslich mit der Zivilgesellschaft und sie konzentrierte sich auf die von der Gewalt am stärksten betroffene Bevölkerung. Anfang der 90er-Jahre begann die guatemaltekische Regierung, unterstützt von der internationalen Gemeinschaft, eine organisierte Begleitung der entwurzelten und geflohenen Bevölkerung. In Mexiko wurden die staatlichen Flüchtlingsorganisationen CEAR und CTEAR sowie in Guatemala der Friedensfonds FONAPAZ und das Friedenssekretariat SEPAZ geschaffen.
   Diesen politischen Kontext nutzte die europäische Gemeinschaft, um ­ ohne jedoch die Beziehung zur Zivilgesellschaft aufzugeben ­ auch Projekte auf Regierungsebene zu entwickeln. Aufgrund der institutionellen Schwäche des Staates begann man eine neue Generation von ländlichen Entwicklungsprojekten zu lancieren, die in Zentralamerika als ALA-DRI-Projekte bekannt wurden. Diese Projekte wurden z.T. von der Zivilgesellschaft kritisiert, doch muss man dabei den politischen Kontext dieser Zeit im Auge behalten: Es ging darum, in möglichst kurzer Zeit und unabhängig von der jeweiligen Regierung ziemlich viel Geld in die Bereiche Gesundheit, Erziehung und Infrastuktur zu investieren. Weiter entwickelte man einkommensfördernde Projekte für die ärmsten BäuerInnen. Die Schwäche dieser Projekte liegt sicher darin, dass sie Anfang der 90er-Jahre konzipiert wurden und bis noch vor kurzem in der ursprünglichen Art durchgeführt wurden, obwohl sich in den letzten 10 Jahren der politische und institutionelle Kontext sowohl auf staatlicher wie auf zivilgesellschaftlicher Ebene stark verändert hat. Dies zeigt, wie wichtig es ist, die Kooperation den jeweiligen politischen und institutionellen Szenarien anzupassen. Als Mitte der 90er-Jahre die ersten Teilabkommen unterzeichnet wurden und sich ein baldiger Friedensschluss abzeichnete, begann man in Guatemala mit Projekten, welche die Reformen vorantreiben sollten, die für die Umsetzung der Abkommen notwendig waren. So begleitete z.B. die europäische Gemeinschaft die Bildungs- und Gesundheitsreform sowie den Aufbau einer zivilen Nationalpolizei, ein Projekt, das Ende 2002 abgeschlossen wurde. Zentralamerika ist die Region der Welt, die von der europäischen Union am meisten finanzielle Unterstützung pro EinwohnerIn bekommen hat. Wichtig ist auch zu erwähnen, dass es in Guatemala bis 1997 keine EU-Vertretung vor Ort gab.
   Damit wollte man den Regierungen ein klares Signal geben: Solange in eurem Land kein Friede ist, werden wir auf diplomatischer Ebene nicht direkt mit euch verhandeln. Die Anwesenheit europäischer VertreterInnen beschränkte sich also auf die technische Assistenz zur Durchführung der Projekte. Das Fehlen einer diplomatischen Vertretung der europäischen Gemeinschaft hatte jedoch den Nachteil, dass die Projekte zu wenig begleitet und evaluiert werden konnten. Nach der Unterzeichnung des festen und dauerhaften Friedens 1996 eröffnete die europäische Gemeinschaft ihr erstes Büro in Guatemala. In den ersten Jahren der Nachkriegszeit begegnete die internationale Gemeinschaft der Regierung noch mit einigem Goodwill. 1999, im letzten Regierungsjahr der damaligen Regierung (PAN), begann die internationale Gemeinschaft, allen voran MINUGUA, die Umsetzung der Friedenabkommen mit kritischerem Blick zu analysieren. Tatsache ist, dass auf der strukturellen Ebene, wie es die Abkommen vorsehen, sehr wenige Fortschritte zu verzeichnen sind. Auch die sozialen und politischen Akteure in Guatemala kamen bei ihren Analysen zum selben Schluss. Entsprechend konzentrierte sich die Wahlkampagne 1999 stark auf strukturelle Reformen. Die FRG versprach eine Steuerreform, eine Agrarreform, eine makroökonomische Reform, eine Reform der Sicherheitskräfte, die Demilitarisierung der staatlichen Institutionen, etc. Es wäre spannend, die damaligen politischen Versprechen der verschiedenen Parteien noch einmal zu analysieren...

Fijáte 281 (26.03.03) PDF 1. Artikel
   Die Suche nach den verschwundenen und verschleppten Kindern Guatemalas
   Sechs Jahre sind verstrichen seit der offiziellen Beendung von 36 Jahren Staatsrepression und Genozid in Guatemala. Über zwanzig Jahre sind vergangen seit Militärmassaker und berechneter Staatsterrorismus die Achi-Gemeinden in der Gegend von Rabinal in Baja Verapaz zerrissen haben. Heute beginnen Witwen und Überlebende des Massakers nach ihren Kindern und Grosskindern zu suchen, die während des Konflikts verschwunden sind. Der Autor des folgenden Artikels, der Kanadier Aaron Bates, ist Mitglied der Menschenrechtsorganisation Human Right Watch und arbeitet als Praktikant für ADIVIMA (Vereinigung für eine integrale Entwicklung der Gewaltopfer in den Verapaces, Maya Achí) in Rabinal. ADIVIMA, eine Vereinigung, die sich für die Gewaltopfer in Alta und Baja Verapaz einsetzt, ist eine Basisorganisation mit Sitz in Rabinal. Sie engagiert sich in der Erinnerungsarbeit und in der Würdigung der Opfer, kämpft dafür, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet werden und organisiert soziale und ökonomische Hilfeleistungen für Überlebende solcher Verbrechen. Neben dieser Arbeit hilft ADIVIMA, zusammen mit der Nationalen Kommission für die Suche nach verschwundenen Kindern, Kinder zu suchen und zu identifizieren, die entführt wurden oder während der Zeit des Genozids und der Repression adoptiert wurden. Die nationale Wahrheitskommission (CEH) kam 1999 zum Schluss, dass während des bewaffneten Konflikts über 200'000 Personen (meist Mayas) massakriert oder verschleppt, nahezu 1,5 Millionen Menschen zwangsumgesiedelt und mehrere hunderttausend Kinder zu Waisen wurden. Ausserdem stellte sie fest, dass die Regierung Guatemalas (damals wie heute gedeckt von den USA, anderen westlichen Staaten, der Weltbank, globalen Konzernen und Banken) in Rabinal und in andern, vorwiegend von Mayas bewohnten Regionen, Völkermord beging. Am 14.
   November 2002 erschien eine Gruppe von 40 Witwen, begleitet von VertreterInnen von ADIVIMA und der Nationalen Kommission für die Suche nach verschwundenen Kindern, vor den gut polierten Türschwellen der Zona Miliar 21, einer Militärbasis nahe Cobán, Alta Verapaz. Am Eingang der Militärbasis werden BesucherInnen von einer Tafel begrüsst, verziert mit gekreuzten amerikanischen und guatemaltekischen Flaggen, welche an den Tod guatemaltekischer und amerikanischer Fliegerpiloten erinnert, die während gemeinsamen Militärübungen gefallen sind. Als Zeichen dafür, dass sich gewisse Dinge verändert haben seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages 1996, war der amtierende Kommandant der Militärzone 21 bereit, die Delegation zu empfangen. Während des Treffens übergaben die Überlebenden von Rabinal dem Kommandanten der Basis ein Dokument, das belegt, dass sie am 14. Mai 1982 am Rio Negro während der Massaker in Los Encuentros ZeugInnen der Entführung von 44 Menschen waren. Bei den Entführten handelte es sich vor allem um Kinder, aber auch Frauen und ältere Menschen wurden mit Militärhelikopter der Militärzone 21 weggebracht. Vierzig weitere Menschen wurden am selben Tag durch Paramilitärs und Soldaten ermordet. Es ist ein positives Zeichen, dass einige der schwächsten Mitglieder der guatemaltekischen Gesellschaft heute die soziale Kraft haben, sich mit einer Institution zu konfrontieren, die ehemals alles unternahm, um sie zu zerstören. Wie wenig sich gewisse Dinge in Guatemala verändert haben, zeigt aber die Reaktion des Kommandanten auf den Besuch und das ihm überreichte Dokument. Viele schreckliche Sachen seien während des Krieges passiert, sagte er. Das sei die unglückliche Realität der Kriegsführung. Das moderne Militär unternehme heute alles, um mit den Menschen zusammen zu arbeiten. Und so weiter und so fort.
   Die Familien verliessen die Militärbasis mit nichts ausser dem vagen Versprechen, dass das Militär in den Archiven (von welchen behauptet wird, sie würden alle drei Jahre zerstört) nach Informationen über das Massaker in Los Encuentros suchen würde. So weit, so schlecht. Dennoch nahmen die Überlebenden auch das Wissen mit, dass sie ihren früheren Unterdrückern gegenüber getreten sind und ihre Geschichte denjenigen erzählt hatten, die ihre Kinder entführten und ihre Familien folterten. Während der Kriegsjahre engagierten sich gewisse Mitglieder der katholischen Kirche aktiv und mutig im Verstecken von Waisen und von Kindern, die durch Vergewaltigung gezeugt wurden. Vergewaltigung war damals eine weitverbreitete Repressionsform der Armee und von Paramilitärs. So besuchte ADIVIMA und die Überlebenden der Massaker mit ihrer Delegation auch katholische Schwestern in Cantabál und in der Gemeinde Pacux in der Nähe von Rabinal In Pacux (wo die Überlebenden des Rio Negro Massakers heute leben) konnte eine katholische Schwester, die während des Krieges mit Waisen gearbeitet hatte, die Adoption von 32 Kindern durch irische, norwegische und schwedische Familien mit Fotos belegen. Während dieses Treffens wurden möglicherweise vier Kinder aus den um-

Fijáte 280 (12.03.03) PDF 1. Artikel
   Lesbenbefreiung: Teil einer neuen Nation?
   Samantha Sams ist lesbische Feministin und Mutter, Teilzeitforscherin lesbischer Identitäten und Mitbegründerin von Lesbiradas. Als gebürtige Kanadierin ist sie von Herzen Internationalistin, lebt seit über sechs Jahren in Guatemala und engagiert sich in der internationalen Solidaritätsarbeit. Der folgende Artikel über lesbische Identität und die Organisationsformen ist in der Herbstausgabe 2002 des Report on Guatemala von NISGUA erschienen. Wir veröffentlichen ihn anlässlich des 8. März, des Internationalen Frauenrechtstages.
   In der guatemaltekischen Öffentlichkeit existieren Lesben kaum. Und genau so unsichtbar sind Lesben in Guatemalas Geschichtsschreibung, Erziehung und Mythologie. Wenn überhaupt wahrgenommen, werden Lesben als Produkt einer ausländischen Krankheit dargestellt, als Symptom von bourgeoiser Dekadenz oder als verdrehte Perversion der Natur. Sie sind der Gegenpol zur sozial akzeptierten dienstfertigen Frau, deren Sexualität sich nach dem Willen der Männer richtet. Dennoch, trotz feindseliger Umgebung und sozialer Normen zeigen sich autonome lesbische Aktivistinnen in Guatemala immer mehr, widersetzen sich Stereotypen und kämpfen für ihre Rechte und Sichtbarkeit.
   Lesbiradas ist das erste Kollektiv bekennender Lesben in der Geschichte Guatemalas, das den rechtlichen Status einer Nichtregierungsorganisation erhielt. Diese auf Freiwilligenarbeit basierende Organisation kratzt am guatemaltekischen Konservatismus, da sie gegen das Justizsystem kämpft, Allianzen mit der sozialen Bewegung schliesst, die Öffentlichkeit informiert und Verhaltensformen proklamiert, welche Respekt für alle Menschen einfordern. Lesbiradas definiert sich als feministische Organisation und engagiert sich zentral für die Menschenrechte sexuell anders orientierter Menschen. Somit kämpft Lesbiradas in erster Linie für die Rechte der Lesben, sieht sich aber auch als Teil einer breiteren Bewegung, die für die Akzeptanz anderer guatemaltekischer Identitäten entlang von Geschlecht, Ethnie und Klasse, und deren Schutz vor dem Gesetz kämpft.

Fijáte 279 (26.02.03) PDF 1. Artikel
   Die sozialen Bewegungen und die Wahlen
   Miguel Sandoval arbeitet als Berater von CALDH, des Zentrums für juristisches Vorgehen in Menschenrechtsfragen, das u.a. die Klagen führt gegen die für schwere Menschenrechtsverbrechen verantwortlichen guatemaltekischen Politiker und Militärs, von denen viele, wie etwa der grausame Ex-Diktator Ríos Montt, nach wie vor in der guatemaltekischen Politik aktiv sind. Als langjähriges Mitglied der Guerilla URNG war Sandoval Teil der Verhandlungskommission und am Abschluss des Friedensabkommens 1996 beteiligt. 1997 trat er aus der in eine Partei umgewandelten URNG aus, da er zu einem Minderheitenflügel gehörte, der auf die Stärkung der sozialen Bewegungen setzte. So sollte der notwendige Druck erzeugt werden, um die Durchsetzung der ausgehandelten Abkommen zu forcieren. Allerdings setzte sich eine Mehrheit durch, die der Ansicht war, die Realisierung der Abkommen habe in einer Situation des ”sozialen Friedens” höhere Chancen. Seit 1997 hat Miguel Sandoval zahlreiche soziale Kämpfe begleitet und an ihnen teilgenommen.
   Im Folgenden ein Ausschnitt aus einem Interview, das Dario Azzellini mit Miguel Sandoval geführt hat.

Fijáte 278 (12.02.03) PDF 1. Artikel
   Mit Feuer und Flamme das Schweigen beendet
   Als am 1. Januar 1994 zwischen den USA, Kanada und Mexiko das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA in Kraft gesetzt wurde, traten im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas zum ersten Mal die Zapatistas an die Öffentlichkeit und besetzten verschiedene Städte, u.a. San Cristóbal de las Casas. Der "Aufstand der ZapatistInnen" war (und ist) wegweisend für die seither anwachsende Antiglobalisierungsbewegung.
   Am ersten Januar 2003 besetzten die Zapatistas erneut für einen Tag lang San Cristóbal, ein Ereignis, über das in den hiesigen Medien eher spärlich berichtet wurde. Dazu der folgende Artikel von Anne Hild.
   Derweil finden in El Salvador die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und den zentralamerikanischen Staaten statt. Volks- und BäuerInnenorganisationen protestieren dagegen, doch sind die Verhandlungspositionen ihrer jeweiligen Regierungen dermassen schlecht, dass sie kaum Chancen haben, ihre Forderungen durchzubringen.

Fijáte 277 (29.01.03) PDF 1. Artikel
   Sicherheit ist relativ
   Am 23. Dezember 2003 gab es im Hochsicherheitsgefängnis Pavoncito einen grausamen und blutigen Aufstand unter den Gefangenen. Dabei gab es 14 Todesopfer, unter ihnen Julio César Beteta Raymundo, ein Verwandter des für den Mord an Mirna Mack verurteilten Noel de Jesús Beteta, sowie 50 Verletzte. Es dauerte über zwölf Stunden, bis sich die Aufregung im Gefängnis soweit beruhigt hatte, dass die Polizei und die Gefängnisbehörden ein erstes Mal einen Augenschein von dem Massaker nehmen konnten.
   Ursache des Aufstandes war eine 'gefangeneninterne' Revolte, d.h., die in der Knasthierarchie schlechter Gestellten lehnten sich gegen den als autoritär und willkürlich bekannten Beteta und seine Leute auf.
   Das soziale Klima innerhalb der Gefängnisse ist ein Spiegel der Realität ausserhalb der Gefängnismauern. Eingeknastete Angehörige der verschiedenen Banden (Maras) stehen unter Kontrolle ihrer Chefs draussen und so wie die Abrechnungen untereinander draussen stattfinden, laufen sie auch drinnen ab, nach dem Vendetta-Prinzip nämlich. Wer zu keiner Mara gehört, oder keine Angehörigen hat, die für ihn die gefängnisintern erhobenen Bestechungsgelder bezahlen, steht auf der Hierarchiestufe zuunterst und entbehrt jeglicher Privilegien. Doch diesmal scheint es, dass es nicht in erster Linie eine Abrechnung zwischen Maras war, sondern eher eine Art Klassenaufstand unter den Gefangenen.

Fijáte 276 (15.01.03) PDF 1. Artikel
   revolution will not be televised
   Seit 1999 betreibt Kinoki Lumal ein Video-Wanderkino im Südosten Mexikos: Kinoki Lumal hat es sich zur Aufgabe gemacht, die tragbare Kinoleinwand in den abgelegenen Flusstälern von Chiapas zu einem allnächtlichen Fenster zur Welt werden zu lassen. Gemeinsam mit Maya Tzeltal-BäuerInnen arbeitet Kinoki Lumal mit an der audiovisuellen Selbstbestimmung der indigenen Bevölkerung und bemüht sich, ihren Ruf nach Würde und Gerechtigkeit medial zu vervielfältigen.
   Das jüngste Filmprojekt hat Kinoki Lumal zusammen mit dem Komitee für soziale Entwicklung Ajaw Tepepul in Santiago Atitlán, Guatemala, realisiert. Gemeinsam wurde eine Dokumentation über die zentrale Tz'utuhil-Gottheit erarbeitet, über den Nahuál Rilaj Mam, den alten Grossvater, ebenfalls bekannt als Maximón oder San Simón. Der Rilaj Mam ist als eine Gottheit bekannt, die gerne raucht und trinkt und sich immer mal wieder einen Spass mit der Bevölkerung erlaubt. Mit diesem Film sind zwei Vertreter des Kollektivs momentan in Europa unterwegs. In diesem Zusammenhang fand das folgende Interview mit dem mexikanischen Anthropologen Alberto Vallejo und dem österreichischen Philosophen Thomas Waibel von Kinoki Lumal statt.