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Fijáte
 

Fijáte-Archiv 2004

Liste der jeweiligen Leitartikel, bestehend aus der Überschrift und dem zugehörigen ersten Absatz und der Verlinkung zum PDF oder zur HTML-Version des ersten Artikels. Sollte bei der Verlinkung das Schlosssymbol stehen, ist die Ausgabe noch nicht freigegeben und es wird ein Passwort benötigt.

Jahresüberblick

Fijáte 325 (29.12.04) PDF 1. Artikel
   Der 29. Dezember
   Just heute, am 29. Dezember vor acht Jahren, wurde zwischen der aus den vier zur Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) zusammengeschlossenen Guerillagruppen und der Regierung unter Álvaro Arzú unter Schirmherrschaft der Mission der Vereinten Nationen für Guatemala (MINUGUA) und der Kirche nach rund 10 langen Verhandlungsjahren der letzte von 14 Friedensverträgen unterzeichnet, die dem 36 Jahre währenden Bürgerkrieg ein offizielles Ende setzten. Die Koinzidenz mit dem Erscheinungsdatum des vorliegenden ¡Fijáte! legt ein Resümee über die vergangenen acht Jahre nahe. Leider können wir unseren Wunsch nicht erfüllen, individuelle Stellungnahmen von GuatemaltekInnen zu veröffentlichen. Stattdessen greifen wir auf zwei Artikel zum Thema zurück, die in der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift laCuerda erschienen sind.
   Bis wohin ja, bis wohin nicht?
   In Guatemala erscheint dieser 29. Dezember des Jahres 1996 so weit weg, wenn wir mit Personen sprechen, die in passiver Routine stecken oder keine Möglichkeiten haben, ihre BürgerInnenschaft auszuüben. Im Gegensatz dazu hat dasselbe Datum eine starke Bedeutung für diejenigen, die seitdem Räume der Beteiligung einnehmen, die ihnen während Dekaden von willkürlichen Regierungen verwehrt waren. Tausende Frauen und Männer, die an jenem denkwürdigen Tag die Plaza Central in der Hauptstadt füllten, sind die gleichen Menschen, die, allen Enthusiasmus zusammennehmend, trotz der schrecklichen Repressionserlebnisse Vorschläge erarbeiteten und verteidigten, die der sozialen Ungerechtigkeit ein Ende machen sollten. Grundlage dafür waren die Friedensverträge. Die, die ihre Rechte auf Beteiligung in Anspruch genommen haben, haben mittlerweile wertvolle Erfahrungen gesammelt, sind in ihren Erwartungen enttäuscht worden oder suchen andere Wege. In diesen acht Jahren haben die Friedensverträge unzählige sich widersprechende Bewertungen erfahren, abhängig davon, ob sie auf- oder abgewertet werden sollten. Sie wurden demagogisch genutzt, um Stimmen zu gewinnen oder Gelder von der internationalen Gemeinschaft aufzutreiben. Ebenso haben sie als Referenzpunkte für Lösungsforen von tief greifenden Problematiken dieses Landes gedient, das verwüstet war durch Militärdiktaturen und erhebliche soziale Ungleichheiten. Wie auch immer, wenn von der Situation in Guatemala die Rede ist, ist ein obligater Bezugspunkt das Vor oder Nach den Friedensverträgen. Dialoge ohne Resultate Die friedlichen Mechanismen für die Lösung von Konflikten wurden willkommen geheissen, als die Gespräche zwischen Staatsinstitutionen und VertreterInnen der Zivilgesellschaft durch das Verhalten der Regierenden versperrt wur-

Fijáte 324 (15.12.04) PDF 1. Artikel
   Franja Transversal del Norte ­ Entwicklung oder Ausbeutung?
   Mit der Ankündigung und beginnenden Umsetzung der verschiedenen regionalen Infrastrukturprojekte, die im Rahmen des Plan Puebla Panamá (PPP) realisiert werden, ist auch die Ausbesserung und Erweiterung der Strasse, die den Pazifik und den Atlantik im Norden Guatemalas verbindet, als politisches und finanzpolitisches Thema wieder auf dem Tisch. Was die einen als Fortschritt und Entwicklung propagieren, wird vor allem aus Umwelt- und Antiglobalisierungskreisen sehr kritisch hinterfragt. Sowohl Inforpress Centroamericana in seiner Nr. 1587 wie auch die Crítica Global, das Bulletin der Mesa Global de Guatemala haben sich der Franja Transversal del Norte (FTN), wie diese Verbindungsstrasse heisst, angenommen. Wir haben diese beiden Artikel in einem zusammengefasst. Das Projekt Am vergangenen 20. September bestätigte das präsidiale Sekretariat für Planung und Programmierung die wirtschaftliche, technische und soziale Durchführbarkeit des Projekts der Franja Transversal del Norte (FTN). Das Projekt besteht in der Ausbesserung und Erweiterung der bereits existierenden Strasse zwischen der Finca Gracias a Diós im Departement Huehuetenango an der Grenze zu Mexiko und der im Departement Izabal liegenden Stadt Modesto Méndez, an der die Hauptstrasse von der Hauptstadt in den Petén und die Strasse zum Atlantikhafen in Puerto Barrios vorbei führt. Die Strasse mit einer Länge von 263 km soll zweispurig ausgebaut und asphaltiert werden. Laut einer technischen Studie, die vom Ministerium für Infrastruktur und Wohnungsbau (MICIVI) durchgeführt wurde, liegen im Einzugsgebiet der FTN 152 Dörfer, welche 5% der nationalen Bevölkerung (545'000 Personen) und 10% des Territoriums (10'091 km²) umfassen.
   Gemäss MICIVI gehört der Ausbau der FTN zur Mesoamerikanischen Initiative für Verkehrsintegration im Rahmen des Plan Puebla Panamá (PPP) der für Guatemala den Bau oder die Verbesserung von insgesamt 2'171 km Strasse und 16 Brücken vorsieht. Budgetiert ist der Ausbau der FTN mit rund 200 Mio. US-$, gemäss MICIVI müssen die Gelder für dieses Megaprojekt mehrheitlich aus dem Ausland kommen. Ebenfalls wird es eine ausländische Firma sein, die mit der Planung und der Ausführung des Baus beauftragt wird, womit also das Geld auch wieder ins Ausland abfliesst. Im besten Fall werden ein paar guatemaltekische Strassenbauarbeiter einen miserablen Lohn erhalten. Profit und deshalb auch Interesse an dem Projekt haben in erster Linie die bereits in Guatemala ansässigen transnationalen Unternehmen, die multilateralen Banken und Organisationen wie die Interamerikanische Entwicklungsbank, die Weltbank und der Internationale Währungsfond, die seit über 15 Jahren die Entwicklungs- und Finanzpolitik Guatemalas ,,begleiten". Sie propagieren das Argument, die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, um so die Armut zu bekämpfen, in der die Bevölkerung lebt. Ein Blick zurück Ersonnen wurde das Projekt der FTN Ende der 50er Jahre im Rahmen der von den USA dirigierten Konterrevolution. Mit Einverständnis der jeweiligen zivilen und militärischen Regierungen war die FTN weit mehr als ein simples Kolonisierungs-Projekt. Die Idee bestand darin, die Region zu bevölkern und landwirtschaftlich nutzbar zu machen. Begonnen wurde mit der Kolonisierung der Ixcán-Region: Indígenas aus Huehuetenango gründeten mit Unterstützung von MissionarInnen des Maryknoll-Ordens 1969 die Kooperative Ixcán-Grande.
   Die Regierung ihrerseits ,,verteilte" mit Unterstützung der staatlichen US-amerikanischen Entwicklungshilfe (US-AID) Parzellen an landlose BäuerInnen aus dem ganzen Land, auch sie mit dem Ziel, die an Mexiko grenzende Zone zu bevölkern und somit zu ,,sichern". Bald wurde die Region zu einer der am stärksten vom bewaffneten Konflikt betroffenen, das Interesse des Militärs an guten Strassen war entsprechend gross. Derweil wurden die Entwicklungsprojekte eingefroren und die Bevölkerung, die auf die technische und ökonomische Hilfe angewiesen war, wurde ihrem Schicksal und dem Krieg überlassen. Eine andere Art der Kolonisierung begann mit der Vergabe von Lizenzen für Öl-Bohrungen und Minenbau in der Urwaldregion. Rund um diese Industrien bildeten sich Dörfer und Siedlungen. Mit der Unterzeichnung des Abkommens über die Rückkehr der vertriebenen Bevölkerung im Jahre 1993 kehrten Tausende von Familien aus dem mexikanischen Exil in die Region zurück. Auch ihnen wurde Land versprochen. Eine Eigenart der staatlichen Agrarpolitik in Gebieten wie der FTN ist, dass die BesitzerInnen von Parzellen gezwungen sind, das Land zu bearbeiten, was in diesem Gebiet in erster Linie die Rodung des Urwald bedeutet. Tun sie dies nicht, wird ihnen die Parzelle, von der sie oft keinen Titel besitzen, wieder enteignet.

Fijáte 323 (01.12.04) PDF 1. Artikel
   Zehn Jahre Geschichte: Die MINUGUA geht
   Nach zehn Jahren Präsenz in Guatemala hat sich die Mission der Vereinten Nationen zur Überprüfung der Menschenrechte in Guatemala (MINUGUA) in der vergangenen Woche nun endgültig aus dem Land zurückgezogen. Um verschiedene Aspekte dieser Dekade und Herausforderungen für die Zeit ,,danach" zu beleuchten, veröffentlichen wir im Folgenden zum einen zwei Leitartikel aus der Tageszeitung Prensa Libre von Haroldo Shetemul und aus Incidencia Democrática von Javier De León sowie die Ansprache des UNO-Generalsekretärs Kofi Annan anlässlich des Abschieds der Mission aus Guatemala. Während das Knattern der Maschinengewehre davon zeugte, dass der bewaffnete Konflikt noch lange nicht vorbei war, kam 1994 eine internationale Gruppe nach Guatemala. Es handelte sich um die UN-Mission zur Überprüfung der Menschenrechte in Guatemala (MINUGUA). Ihre Aufgabe bestand darin zu überwachen, dass die von Regierung und Guerilla unterschriebene Vereinbarung, die Menschenrechte zu respektieren, erfüllt wurde. Aufgrund der historischen Traumatisierung des Landes, in denen Ermordungen, Folterungen und gewaltsames Verschwinden von Personen an der Tagesordnung waren, trauten nur sehr wenige der ausländischen Instanz Glaubwürdigkeit zu. Es fiel schwer sich vorzustellen, dass die so geschändeten Menschenrechte der GuatemaltekInnen in all ihren Ausmassen respektiert werden könnten, angefangen vom Recht auf Leben über die Freie Meinungsäusserung bis hin zu den sozio-ökonomischen Rechten. Die Arbeit war hart, vornehmlich im Innern des Landes, wo die Armee, die militärischen Beauftragten und die Zivilpatrouillen ihr Bollwerk hatten. Auch wenn die Kämpfe weniger geworden waren, bedeutete dies noch lange nicht die Verminderung des Verletzungsgrades der Menschenrechte. Die Gewalt folgte ihrem Rhythmus und die Hauptopfer waren die Indígenas, die weiterhin als BürgerInnen dritten Ranges betrachtet wurden.
   Dennoch ermöglichte die Tatsache, dass die Mitglieder der MINUGUA AusländerInnen waren, dass sie Untersuchungen durchführen und Berichte über die kritische Situation im Land erstellen konnten. Natürlich erhoben die streng konservativen Sektoren ihre Stimmen und betrachteten die Mission als fremde Einmischung in interne Angelegenheiten des Landes. Zwei Jahre später unterzeichneten die Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) und die Regierung unter Álvaro Arzú die letzten Friedensverträge und setzten damit 34 Jahren bewaffneten Konflikts ein Ende. Die firmierten Vereinbarungen erlaubten bis in die Zukunft die Beobachtung eines Landes, dem ein Programm struktureller Veränderungen bevorstand. Die Absicht bestand darin, die Ursachen, die zu der kriegerischen Konfrontation geführt und demokratische Wege zur Politikausübung verschlossen hatten, zu überwinden. Es strömte die ausländische Hilfe und alles schien bereit, dass Guatemala den Ballast zurückliesse, der das Land im Dunkeln und in der Unterentwicklung gehalten hatte. Doch der Traum währte nicht lange und die Realität legte nahe, dass die Vereinbarungen eine Phantasie gewesen waren. Die folgende Regierung von Alfonso Portillo versuchte alles Mögliche, um die Verträge unkenntlich zu machen, ein Tun, das dem Anschein nach die aktuelle Regierung wiederholt. Mit der Unterzeichnung der Verträge widmete sich MINUGUA der Überprüfung der Befriedung des Landes. Seit 1997 begann sie, sich Berichte hinsichtlich der Probleme anzuhören, auf die die Erfüllung der Friedensverpflichtungen stiess. Somit wandelte sich diese Institution in die Stimme, die darauf insistierte, dass die Vereinbarungen in bestimmten Aspekten Fortschritte machten, in anderen trat sie auf der Stelle. Vielleicht war sie in manchen Momenten zu diplomatisch, um die Dinge beim Namen zu nennen, wenn es einer klareren Position bedurft hätte.
   Und nun ist die Geschichte dieses internationalen Organs, das so eng mit der guatemaltekischen Geschichte der letzten zehn Jahre verbunden ist, vorbei und MINUGUA verlässt das Land. Das Problem besteht weniger darin, dass diese Institution nicht mehr sein wird, denn das wusste man vorher. Der Nachteil ist vielmehr, dass der Kongress die Installation des Menschenrechts-Hochkommissionariats der Vereinten Nationen (ACNUDH) ­ bislang ­ nicht gebilligt hat, das die Arbeit von MINUGUA hätte übernehmen und weiterverfolgen können. Dieser Visionsmangel könnte bedeuten, dass das Land die internationale Unterstützung verliert, die keinen Cent kostet und mithelfen könnte bei einem verstärkten Respekt der Menschenrechte. (Prensa Libre, Haroldo Shetemul) Diese Woche verabschiedete sich auf offiziellem Wege und in einem protokollarischen Akt im Nationalen Kulturpalast die MINUGUA, die während zehn Jahren den Friedensprozess in Guatemala begleitet hat. Der Veranstaltung wohnte Kieran Prendergast, stellvertretender Sekretär in politischen Angelegenheiten der UNO, bei. Mehr als eine Begleitung, fungierte die Mission innerhalb ihres Mandats als Vermittlerin in verschiedensten Situationen, so beispielsweise in Lösungsprozessen von Konflikten und Lynchjustizfällen oder bei der Schaffung der Nationalen Zivilpolizei (PNC), in Angelegenheiten von Besitz und Besetzung von Ländereien, aber in erster Linie in Sachen Menschenrechte und der Verifizierung der Erfüllung der Friedensverträge. Just zeitgleich mit dem Abschied von MINUGUA verkündete Vizepräsident Eduardo Stein die Aussendung der Vorschläge für die Billigung der Untersuchungskommission von Illegalen Körperschaften und klandestinen Apparaten (CICIACS) und den Antrag für die Einrichtung des Menschenrechts-Hochkommissionariats der Vereinten Natio-

Fijáte 322 (17.11.04) PDF 1. Artikel
   Viele Maschinen, in allen Farben und Grössen
   Unter dem Titel "Die Auswirkung der Minen in den Gemeinden San Marcos" realisierte das Meinungsforschungsinstitut Vox latina eine Befragung in San Miguel Ixtahuacán und Sipakapa, zwei der am stärksten vom Goldminenprojekt Marlin des kanadischen Unternehmens Glamis Gold betroffenen Gemeinden in San Marcos. 400 Personen wurden befragt und ­ wen wundert's ­ 96% aller Männer und 94% der Frauen sowie 95% der indigenen und 95% der Ladinobevölkerung lehnen die Minentätigkeit in ihrer Gemeinde ab. 85.75% sind davon überzeugt, dass der Goldabbau die Zerstörung von Umwelt und sozialen Strukturen mit sich bringt, während nur 8.75% eine wirtschaftliche Bereicherung erwarten. Wirklich begrüsst wird das Projekt von bloss 4.5% der davon betroffenen Bevölkerung. Präsident Berger bezeichnet solche Umfragen als eine "ausgezeichnete Übung", ist jedoch seinerseits der Meinung, dass der Goldabbau dem ganzen Land nur Gutes bringe. Er selber könne den BewohnerInnen der beiden Gemeinden auch nicht helfen, wenn sie weiterhin in der Misere leben wollten. Unterdessen haben sich in Kanada und den Vereinigten Staaten rund 70 Organisationen und 60 Einzelpersonen in einem gemeinsamen Schreiben an Präsident Berger gewendet mit der Bitte, die Minentätigkeit in San Marcos vorläufig zu suspendieren und die betroffenen Gemeinden in den Informations- und Entscheidungsprozess einzubeziehen. Wir veröffentlichen im Folgenden den Brief eines italienischen Mitarbeiters der Kirchengemeinde in Sipakapa, welche seit Beginn die GegnerInnen des Minenprojekts begleitet und unterstützt. "Was ich hier in Sipakapa im Überfluss besitze, ist Zeit, was mir am meisten fehlt, ist die Lust zum Schreiben. Manchmal bereitet mir ein leeres Blatt Papier und die Vorstellung, es füllen zu müssen, sogar Angst. Doch dieses Mal werde ich mich überwinden und euch schreiben.
   Wie ihr bereits wisst, hat sich in Sipakapa ein multinationales kanadisches Minenunternehmen niedergelassen, das hier Gold abbauen will. Es gibt einen gewissen Widerstand seitens der Bevölkerung dagegen, aber es ist uns das übliche Pech beschieden, dass nämlich die "kompetenten"Leute in diesem Thema auf der Gegenseite sitzen. Seit Beginn weiss ich, dass wir auf verlorenem Posten kämpfen. Ich fühle mich wie ein Soldat, der darauf wartet, in die Schlacht geschickt zu werden, aus der er nicht mehr zurückkommen wird, oder so wie die letzten gelben Blätter, die noch an den Bäumen hängen und unweigerlich herunterfallen werden. Oder, wie es in dem Lied von Mercedes Sosa heisst: ,,Das Pferd zieht vorwärts, während die Seele zurück will". So wäre es wohl jemandem vorgekommen, der oder die als BeobachterIn das Gespräch von sieben Freunden mitgehört hätte, die über die soziale Situation der sipakapensischen Bevölkerung, die vom Herpes des Goldes befallen ist, gesprochen haben. Doch da ist noch etwas: Die Unterdrückten, weil sie die Opfer und nicht die Gründe der Ungerechtigkeit sind, befinden sich in einer vorteilhaften Situation. Zwar sind sie mit der brutalen Realität konfrontiert, aber gleichzeitig hängen sie einem illusorischen Glauben nach. Die arme Bevölkerung trotzt den Bombardierungen durch die Ideen des Systems ­ Produzieren, Konsumieren, Schlafen ­ und wehrt sich dagegen. Wer Ungerechtigkeit erlebt in einem ungerechten System, der oder die ist vom Leben ausgeschlossen, bzw. er oder sie wird es schwer haben, überhaupt leben zu können. Die Ungerechtigkeit schläfert ein, bremst die Freiheit, verschliesst alle Perspektiven. Der Glaube wird dann zu einer Droge. Frieden, Sicherheit und Liebe verkommen zu Putzlappen.
   Die sieben Freunde, Bauern und Experten in der Landarbeit, Indígenas, Träumer, Rebellen und Verlierer, kamen auf die Idee, gegen dieses multinationale Unternehmen und gegen eine bestimmte Form des Lebens zu kämpfen. Ihnen zuzuhören, in einer kleinen Küche um einen Tisch sitzend, beim Licht einer weissen Kerze und aufgewärmt von einem traditionellen Getränk, war, wie dem Gewissen dieser Welt zuzuhören. Im feuchten Atem dieser Männer spürte ich Hoffnung, in ihren Augen habe ich den Glauben an das Leben gesehen und hinter ihren rauhen, aber gut kalibrierten Worten habe ich den Willen zu einer präzisen Aktion herausgehört. Derweil bewegen sich Maschinen verschiedenen Typs, unterschiedlicher Grösse und Farbe über den sipakapensischen Boden. Sie graben, transportieren, verschieben, mahlen, bohren, verschlingen die Weichteile der Berge und bringen, nach einem mit Zyanid angereicherten Verdauungsprozess, Exkremente namens GOLD ans Tageslicht. Zu eurer Information noch eine unleugbare Tatsache: Die Minentätigkeit trägt nichts zum wirtschaftlichen Wachstum des Landes bei. Dies mag eine Erkenntnis sein, die viele überrascht, die glauben, der Reichtum des Bodens würde automatisch "Fortschritt" mit sich bringen. Wer sich die Mühe macht, eine antikapitalistische Analyse über die Anhäufung von Kapital zu machen, merkt schnell, wo der Ursprung der Ungleichheit liegt: Die Demokratische Republik Kongo (ehemals Zaire), Bolivien, Sierra Leone, Peru waren nicht per se arme Länder, sondern sie verarmten im Verlauf der Jahre durch die blutsaugenden Tätigkeiten der transnationalen Minenunternehmen. Eine grosse Auslandsverschuldung verwüstet, erstickt seit Jahren diese ärmsten Länder der Welt. Dies sind die Früchte, welche diese Unternehmen hinterliessen, die nie etwas in

Fijáte 321 (03.11.04) PDF 1. Artikel
   ,,Und trotzdem, die Linke existiert weiter..."
   Vom 8. bis 10. Oktober fand in Quetzaltenango das ,,Nationale Treffen für Frieden und Demokratie in Guatemala" statt. Teilgenommen haben über 160 Personen, die sich selber als ,,progressiv, demokratisch und links" definieren. Sie trafen sich, um einen Konsens zu finden und eine Plattform zu definieren für den Aufbau einer Gesellschaft, die sich auf Gleichheit, Gerechtigkeit und Frieden stützt. Erklärtes Ziel der OrganisatorInnen war eine Annäherung und Vertrauensbildung zwischen progressiven und demokratischen Kreisen, die Schaffung eines Raums für Analyse, Dialog, Debatte und Reflexion über die aktuelle Situation und die Rolle demokratischer Gruppierungen sowie die Diskussion über eine mögliche gemeinsame Agenda der verschiedenen sozialen Sektoren gegenüber der offiziellen nationalen Politik, sprich, der Regierung. Explizit ausgeschlossen aus den formulierten Zielen war die Frage über die mögliche Gründung einer neuen linken Partei.
   ,,Die Linke war und ist heute mehr denn je ein pluralistisches Gebilde mit verschiedenen ideologischen Strömungen. Die Unterschiede, die früher zwischen der revolutionären und der demokratischen Linken gemacht wurden, sind heute obsolet. Vielmehr geht es mittlerweile um die Unterscheidung zwischen der institutionellen Linken (die sich am Wahlkampf beteiligt und politische Macht aspiriert) und der sozialen Linken (die sich auf soziale Mobilisierungen konzentriert mit der Absicht, die Machtverhältnisse zugunsten der Interessen der Bevölkerung zu verändern). Anstatt die Definition der Linken in Guatemala aufgrund dieser Kriterien zu bestimmen, wird sie doch meistens in Bezug auf ihr Verhältnis zur URNG (Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas) ausgelegt. Meiner Meinung nach müssen in Vorschlägen und Visionen einer guatemaltekischen Linken nicht nur die Beziehung zur URNG reflektiert, sondern auch die Erfahrungen aller je in Guatemala existierenden linken Organisationen einbezogen werden." (Carlos Figueroa Ibarra, in der Einleitung seines Vortrags beim ,,Nationalen Treffen", www.encuentroporguatemala.org) Beim Treffen in Quetzaltenango waren sie alle vertreten: Mitglieder der Parteien URNG und der ANN (Allianz Neue Nation) (eine der HauptinitiantInnen des Treffens war die ANN-Abgeordnete Nineth Montenegro), RepräsentantInnen der sozialen Linken, aber auch ,,gemässigte", wie VertreterInnen des BürgerInnenkomitees Xel-Ju oder Mitglieder der christdemokratischen und der sozialdemokratischen Parteien sowie der katholischen und evangelischen Kirche. Anwesend waren auch VertreterInnen aus Brasilien, Ecuador, Panama und El Salvador, die über die Erfahrungen der Linken in ihren Ländern sprachen.
   Marcos Rodríguez aus El Salvador berichtete über die Schwierigkeiten, welche die FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional) im Nachkriegskontext von El Salvador zu bewältigen hatte: ,,Es war extrem schwierig, mit politischen Differenzen umzugehen. Die Beziehung zwischen sozialen Bewegungen und einer politischen Partei ist keine arithmetische Summe, sondern der Aufbau anderer Formen von Zusammenarbeit." Und: ,,Die Armen, die Frauen und die Indígenas haben es nicht nötig, dass die Linke für sie spricht.

Fijáte 320 (20.10.04) PDF 1. Artikel
   Land, Gender und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in Guatemala
   Die in manchen Regionen oftmals in grossem Ausmass und beständig herrschenden Phänomene des Hungers und der Unterernährung sind in Guatemala weder neu noch unabhängig von den strukturellen und politischen Rahmenbedingungen. Der Kampf der BäuerInnen um eine gerechte Landverteilung war in diesem Zusammenhang nicht nur eine der wesentlichen Ursachen für den bewaffneten internen Konflikt, sondern kostet noch heute manches Menschenleben, zieht die derzeitige Regierung unter Oscar Berger doch offensichtlch meistens den Weg der Gewalt vor, um von BäuerInnen besetzte Fincas zu räumen und den Dialog mit diesen zu brechen. Irma Alicia Velásquez Nimatuj erörtert im folgenden die Problematik und die besondere Benachteiligung von Frauen in diesem Zusammenhang, mit der sie sich als promovierende Anthropologin seit langer Zeit intensiv auseinandersetzt Der vorliegende Text beruht auf einem Vortrag, den die Angehörige des Volkes der Maya-K´iché Anfang Oktober bei einem u.a. von FIAN International veranstalteten Seminar zum Thema "Recht auf Nahrung von Landfrauen in Lateinamerika" gehalten hat. "Ich möchte von vornherein klarstellen, aus welcher Perspektive ich spreche. Ich bin keine ,,indigene Frau", ich bin eine Frau, die Anthropologin und indigen ist. Ich begleite im Rahmen der Anthropologie indigene ländliche Gemeinden und Personen. Seit langer Zeit arbeite ich zum Thema Land. Zu Beginn meines Vortrages möchte ich den generellen Rahmen skizzieren, innerhalb dessen sich der Kampf um die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte in Guatemala abspielt. Speziell der indigenen Völker. Anschliessend werde ich mich relativ allgemein darauf beziehen, wie die Landsituation in Guatemala aussieht. Zum Schluss möchte ich drei Fallstudien von Mam-BäuerInnen vorstellen, die ich begleitet habe.
   Eine entstand in San Marcos zusammen mit der Coordinadora Marquense und zwei mit der BäuerInnenorganisation CONIC in Retalhuleu. Was ich mit diesen Studien zeigen möchte ist die Erkenntnis, dass sich die Bauern und Bäuerinnen nicht immer als Opfer sehen. Sie sehen sich nicht immer als die am stärksten Ausgegrenzten, die am meisten leiden, sondern im Gegenteil: Was wir bei diesen Fällen der politischen Begleitung vorgefunden haben ist die Tatsache, dass die Betroffenen versuchen, die Opferrolle zu durchbrechen, in die sie der Staat aber auch die internationale Gemeinschaft gedrängt haben. Was uns eben die compañera Eulalia (Eulalia Elena Silvestre Hernández vom BäuerInnenbündnis Alianza de Mujeres Rurales, die Red.) über ihre Erfahrungen erzählt hat, ist ein solches interessantes Beispiel: Es sind just diese Freiräume, die sie ausnutzen: Sie sind vor dem Krieg geflohen, kommen schliesslich aus dem Exil in Mexiko zurück. Aber wie kehren sie zurück? Sie haben Lebenspläne, Beschäftigungspläne! Und sie versuchen, Gemeinden in Schwung zu bringen, noch mitten im Krieg. Genau das haben wir in vielen Regionen vorgefunden, in anderen Regionen, wo die Konzentration von Land sehr gross ist. Um nun den ersten Aspekt aufzugreifen: Der Kampf um die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte in Guatemala betrifft für gewöhnlich am stärksten die indigenen Völker. Und das deswegen, weil zwischen 60 und 70% der guatemaltekischen Bevölkerung indigen sind. Darunter werden drei Völker gefasst: das Volk der Garífuna, das der Xinca und das der Maya. Da ich die anderen beiden und ihre Kämpfe zu wenig kenne, beziehe ich mich hier auf die Maya und innerhalb dieser werde ich von dem Volk der Mam sprechen. Der Kampf um die wirtschaftlichen Rechte ist sehr alt.
   Es ist ein Kampf, der sich im Laufe des 20sten Jahrhunderts verstärkt hat, gerade ab 1950 an Aktivismus gewonnen hat und in Zusammenhang mit dem zivilen Krieg stand, mit dem wir konfrontiert waren. Dieser Krieg brachte die Stimme der Maya nicht zum Schweigen, obwohl es genau diese waren, die von dem Konflikt am heftigsten getroffen wurden, 83% der Toten waren Maya. Es ist ebenfalls zu konstatieren, dass mit Aufnahme der Friedensgespräche von Seiten des Volkes der Maya eine deutliche Forderung gestellt wurde, an den Verhandlungs- und Diskussionstischen teilzunehmen, doch dieser wurde nicht entsprochen. Es gab lediglich eine indirekte Beteiligung der indigenen Bevölkerung und ebendies hat viele Schwierigkeiten mit sich gebracht. Es hat vornehmlich in spezifischen Abkommen Probleme verursacht, wie zum Beispiel bei der Vereinbarung zur Identität und der Rechte der Indigenen Völker. Denn es wurde eine Vereinbarung für die indigenen Völker verhandelt, ohne dass diese anwesend waren. Auch das Abkommen über die sozio-ökonomischen Rechte: Es wurde über das Thema Land geredet, ohne dass die Indígenas direkt daran beteiligt wurden. Bei der Diskussion über das Abkommen zur Wiederansiedlung waren sie auch nicht dabei. All dies hat zu einer Serie von Lücken, einer Serie von Streitfragen geführt, mit denen wir uns heute auseinander zu setzen haben. Allein, weil die Stimmen und die Lösungsvorschläge der am meisten Geschlagenen und Bedürftigsten nicht gehört wurden. Wir stellen also fest, dass die ökonomischen, politischen und sozialen Rechte der indigenen Völker ab 1995 an Stärke gewinnen, vor allem ab Mai jenes Jahres, als das Abkommen zur Identität und der Rechte der Indígenas firmiert wird. Zum ersten Mal in 500 Jahren werden die indi-

Fijáte 319 (22.09.04) PDF 1. Artikel
   Die Verteuerung des Stroms: Erhellende Erläuterungen über ein dunkles Geschäft
   Die Privatisierung des service publique ist seit Beginn der 80er-Jahre eine immer gerne angewendete Praxis der jeweiligen Regierung in ihrer Bestrebung, ein ,,Entwicklungsmodell" entsprechend der Strukturanpassungsprogramme à la Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank durchzusetzen. Die von diesen Institutionen ,,empfohlene" Wirtschaftspolitik fördert die Dezentralisierung der staatlichen Institutionen und eine Liberalisierung für ausländische Investitionen mit dem Argument, dadurch den Service für die Bevölkerung effizienter zu gestalten. Die Folge davon sind Privatisierungsprozesse, wie sie Sektoren wie der Transport, Wasserversorgung, Telekommunikation und Stromversorgung im Laufe der letzten 15 Jahre durchliefen. Der folgende Artikel untersucht diese Entwicklung am Beispiel der Stromversorgung Guatemalas, ein Sektor, der in letzter Zeit für seine Ineffizienz und überhöhten Preise in die Kritik der Öffentlichkeit geraten ist. Der Artikel beruht u.a. auf Informationen der Mesa Global de Guatemala. Die Mesa Global ist eine ,,politisch-soziale Bewegung, die sich mit der neoliberalen Globalisierung und ihrer Auswirkung auf das Land" auseinandersetzt (www.mesaglobal.net). Im Verlauf des Jahres 2004 haben die rund 1'900'000 StromkonsumentInnen happige Preiserhöhungen verkraften müssen. Je nach Art des Verbrauchs (privat oder industriell) und Zulieferer, betrugen die Erhöhungen zwischen 6 Centavos (pro Kilowattstunde, bei einem Verbrauch bis zu 100 kWh pro Monat) und 75 Centavos pro kWh (bei einem Verbrauch bis zu 300 kWh), bei einem Dollarkurs von ca. 1:8. Für die ca. 900'000 StromkonsumentInnen (also die Hälfte), die von einem sogenannten ,,Sozialtarif" profitieren, betrug die Preiserhöhung rund 26%. Darauf wird noch die Mehrwertsteuer von 12% geschlagen, dazu kommen die Kosten, die das Verteilerunternehmen berechnet, um überhaupt zu verteilen.
   Pro Monat und Anschluss sind das ca. Q 7,40 (mal die 1'900'000 KonsumentInnen). Die Verteilerunternehmen verrechnen ausserdem nochmals Q 0,28 pro verbrauchter kWh für ihre Leistung. Weiter werden zwischen Q 7 und Q 9 für die öffentliche Beleuchtung berechnet, unabhängig davon, ob eine solche in einem bestimmten Wohnviertel oder in einer Strasse vorhanden ist oder nicht. Unabhängig auch davon, dass das Verfassungsgericht diese Rechnungsstellung als illegitim verurteilt hat, weil die Unternehmen, im Gegenzug dafür, dass sie ihre Strommasten auf öffentlichem Grund aufstellen, die Beleuchtung zur Verfügung stellen müssen. Konkret heisst das, wie protestierende BürgerInnen aus Jalapa öffentlich vorrechneten, dass sie von einer früher monatlich Q 60 bis 70 teuren Stromrechnung heute auf eine zwischen Q 225 bis 250 kommen ­ für den gleichen Service, regelmässige Stromausfälle inbegriffen. Auf der anderen Seite kostet die Herstellung einer Kilowattstunde rund Q 0,12. Dies bedeutet einen saftigen Gewinn für die Guatemaltekischen Energie-Werke (EEGSA) und die jeweiligen Strom-Verteiler für den Osten (DEOCSA) und Westen (DEORSA) des Landes (beide im Besitz der spanischen Transnationalen Unión FENOSA). Die Verteuerung der Energie wird mit den ansteigenden Preisen für Öl und mit den Wechselkursen begründet. Interessant an der Sache ist, dass die ganze Infrastruktur schon über 70 Jahre alt ist, seither kaum verbessert wurde und entsprechend längst amortisiert ist. Im Landesinnern ging die Empörung der Bevölkerung über die gestiegenen Stromkosten soweit, dass in einer Gemeinde die Person, die den Stromzähler ablesen sollte, von der Bevölkerung an einen Posten gebunden und geschlagen wurde. Das Menschenrechtsprokurat reichte gegen die seit dem 1. Mai 2004 geltende Preiserhöhung Klage beim Verfassungsgericht ein.
   Der Klage wurde stattgegeben, doch die Stromverteiler beharren auf ihrem neuen Rechnungssystem, bis von der Nationalen Energiekommission (CNEE) weitere Anweisungen gegeben würden. Diese reichte jedoch sofort einen Rekurs gegen den Gerichtsentscheid ein. Historischer Rückblick Die erste Konzession für Stromgewinnung in Guatemala wurde 1894 vergeben. Es ging damals um ein Wasserkraftwerk am Montagua-Fluss, mit dem die Hauptstadt, Antigua Guatemala, Chimaltenango, Amatitlán, Palín und Escuintla mit Strom versorgt wurden. Gebaut wurde das Kraftwerk von der deutschen Siemens & Halske. 1918 übernahm ein nordamerikanisches Konsortium, vertreten durch Electric Bond & Share Co. die Mehrheit der Aktien, baute zusätzliche Kraftwerke und dehnte die Stromversorgung auf weitere Landesteile aus. Während der Revolution wurden die beiden Dampfkraftwerke La Laguna am Amatitlánsee in Betrieb genommen. 1967 übernahm der Staat die Aktien und Besitztümer der Guatemaltekischen Energiewerke AG (EEGSA). Die

Fijáte 318 (08.09.04) PDF 1. Artikel
   Die Medien in der (Selbst-)Kritik
   Ein anonymer Brief, der in der ersten Augustwoche per E-Mail unter JournalistInnen und sozialen Organisationen kursierte, wirft der nationalen Presse Selbstzensur und Verschleierung von Information über Korruptionsfälle in der aktuellen Regierung vor. Die offensichtlich aus JournalistInnenkreisen stammenden BeschwerdeführerInnen drücken eine wachsende Besorgnis hinsichtlich der Beobachtung aus, dass die Medien parteiisch agierten und ihre Recherchen auf Korruptionsfälle der vorhergehenden Regierung und sozialen Organisationen konzentrierten derweil sie die aktuelle Staatsführung von ihrer Kritik verschonten. Die Studie ,,Die Demokratie in Lateinamerika" vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (PNUD) (siehe ¡Fijáte! 310) bestätigt laut dem Autor des vorliegenden Artikels, Matthew Creelman, in gewisser Weise diesen Verdacht, indem sie darauf hinweist, dass ,,der grosse Einfluss der Medien eine Restriktion für den Demokratie-Prozess gewesen ist". Erschienen ist der nachfolgende Artikel in Inforpress Centroamericana. Ein neuer Journalismus? Seit der Wahlkampagne im Jahr 2003 hat sich der E-MailVerkehr zu einem wichtigen Mittel der Meinungs- und Informationsweitergabe über Themen von öffentlichem Interesse entwikkelt. Auch wenn die Anonymität der Informationsquellen deren Nützlichkeit für die journalistische Arbeit in Zweifel zieht, beziehen sich durchaus inzwischen einige nationale Medien in ihren Artikeln auf diese anonym ,,gefilterten" Quellen. Insbesondere beruht die Rubrik ,,El Peladero" in der Tageszeitung elPeriódico vornehmlich auf Tratsch und nicht bestätigten Informationen.
   In dem Anfang August per E-Mail verschickten anonymen Brief wird nicht nur auf mutmassliche Komplizenschaft zwischen Besitzenden und DirektorInnen der grössten Massenmedien und FunktionärInnen der amtierenden Regierung hingewiesen, sondern es werden auch konkrete Korruptionsfälle mit einigen dieser AmtsinhaberInnen in Verbindung gebracht. Ausschnitte aus dem anonymen Brief: ,,Verehrte Freunde, wir haben uns dazu entschieden, euch darüber zu informieren, was innerhalb der schriftlichen, TV- und Radio-Medien vor sich geht. Als ReporterInnen sind wir dafür zuständig, verschiedene Quellen abzudecken, in denen wir täglich die Nachrichten vorfinden, die wir versuchen, der allgemeinen Bevölkerung zukommen zu lassen. Doch es gibt JournalistInnen unter uns, die damit konfrontiert sind, dass ihre Recherchen und Berichte von den Redaktionsleitungen unserer Presseorgane verändert oder ignoriert werden, vor allem, wenn es sich um die Aufdeckung von Korruptionsfällen geht, in die amtierende Regierungsleute involviert sind. Wir, das sind JournalistInnen der Tageszeitungen Siglo XXI, Prensa Libre, Diario, La Hora, Nuestro Diario, Al Día, elPeriódico, den TV-Sendern Guatevisión, Telediario, Notisiete, La Sonora sowie den Radiosendern Emisoras Unidas und Radio Punto. Mit diesem Schreiben erheben wir Anzeige: Erstens: Tagtäglich wird unsere professionelle, akademische und physische Integrität durch folgende Faktoren bedroht: Als JournalistInnen sind wir in den letzten zehn Monaten ZeugInnen davon geworden, wie ökonomische Interessen die Wahrheit verdecken, wie diese Interessen unsere Kommunikationsmedien kaputt machen und wie sie sich einmischen, um zu verhindern, dass die GuatemaltekInnen die ganze Wahrheit erfahren. Anfangs glaubten wir, dass es sich um einen Effekt der Wahlen handelt, der sich wieder legt, sobald die neue Regierung Fuss gefasst hat.
   Aber in den letzten sieben Monaten haben wir gesehen, dass dieses Phänomen inzwischen unvorstellbare, von einem Ende weit entfernte Ausmasse angenommen hat. Die Beschneidung der Wahrheit geschieht jeden Tag aufs Neue in unseren Arbeitsstätten. Die Besitzenden der Medien nehmen durch die Redaktionsleitung parteiische Positionen zu Gunsten der aktuellen Regierung ein. Alle Nachrichten gelangen am Ende des Tages in die Redaktionsbüros und werden haargenau überprüft. Und die Artikel, in denen von irgendeinem Regierungsmitglied in negativer Form die Rede ist, werden gekürzt oder gleich archiviert. Als ReporterInnen glauben wir, dass die GuatemaltekInnen das Recht darauf haben, die Wahrheit über die täglichen Vorkommnisse zu erfahren und dass es nicht das Recht der Eigentümer der Medien ist, uns diese Freiheit zu nehmen. Wir glauben, dass jedeR, der/die gegen das Gesetz verstösst, ein Verbrechen begeht oder direkt oder indirekt in Korruptionsfälle verwickelt ist, angezeigt werden muss. Wir sind zudem der Auffassung, dass die Presse stets aufmerksam diejenigen Aktionen verfolgen muss, die die Bevölkerung generell begünstigen oder benachteiligen. Wir als KommunikatorInnen dürfen nicht für oder gegen einen bestimmten Sektor Partei ergreifen. Einige PressekollegInnen sind vom Honig der wirtschaftlichen Macht verführt worden und haben sich darauf eingelassen, sich in UntertanInnen und RegierungsfunktionärInnen zu verwandeln, um die Wahrheit zu verdecken. Zweitens: Wir haben eine Informationskampagne bei den verschiedenen Instanzen auf Regierungs-, Nichtregierungs- und internationaler Ebene begonnen, um auf unsere Arbeitssituation aufmerksam zu machen.

Fijáte 317 (25.08.04) PDF 1. Artikel
   "Es gibt nichts Spektakuläres zu erzählen"
   Seit 1997 bereitet das Centro de Acción Legal en Derechos Humanos (CALDH) in Guatemala gerichtliche Klagen gegen die von Mitgliedern der Regierungen von Romeo Lucas García (1978 ­ 1982) und Efraín Ríos Montt (1982 ­ 1983) begangenen Kriegsverbrechen vor. An den Klagen beteiligen sich 22 Gemeinden aus vier Departements. Anfang 2000 bat CALDH verschiedene internationale Organisationen, die in Guatemala im Bereich Menschenrechte und Personenbegleitung (Acompañamiento) tätig sind oder waren, um Unterstützung bei der Begleitung der ZeugInnen dieser Klagen. Verschiedene Begleit- und Solidaritätsorganisationen aus Europa und Nordamerika schlossen sich daraufhin in einer Koordination zusammen und schufen somit die organisatorische Grundlage für ACOGUATE, dem internationalen Begleitprojekt, das die Arbeit von CALDH und den an den Klagen beteiligten Gemeinden unterstützt. Von Februar bis Mai war Edi Liechti in einem Einsatz von ACOGUATE und erzählt im folgenden Interview von seinen Eindrücken und der, wie er es immer wieder betonte, "unspektakulären" Arbeit als internationaler Begleiter. Frage: Wie viele Acompañantes (BegleiterInnen) sind für ACOGUATE im Einsatz? Edi Liechti: Während der Ausbildung, die wir vor dem Einsatz in Guatemala erhielten, waren wir zu fünft. Jeden Monat, wenn wir uns alle in der Hauptstadt zur Berichterstattung trafen, kamen 2-3 neue dazu. Insgesamt waren wir während meiner Zeit zwölf Personen, verteilt auf die verschiedenen Gemeinden, die an den Klagen beteiligt sind. Ich selber war in Rabinal, wo im Idealfall jeweils vier BegleiterInnen stationiert sind, die in Zweiergruppen verschiedene Gebiete und Gemeinden abdecken. Während der drei Monate war dies aber nur 14 Tage lang der Fall, nach meinem Weggang war sogar eine Zeit lang eine Person allein, weil es vorübergehend zu wenig Personal gab. ter? Frage:
   Was war deine Aufgabe als internationaler Begleiauch persönlich begleitet, wenn sie reisen mussten, z.B. um ihre Aussagen zu machen? E.L.: Wenn sie ihre Aussagen machten, wurden sie meist von AnwältInnen von CALDH begleitet. Wir waren bei grösseren Sachen dabei, haben sie zum Beispiel begleitet nach Huehuetenango zur Jahresversammlung aller an den Klagen beteiligten ZeugInnen. Wenn die Leute z.B. in die Hauptstadt fuhren, war es ihnen freigestellt, ob sie sich begleiten lassen wollten oder nicht. Es gab solche, die waren nur in Begleitung unterwegs, andere wollten das nicht, weil sie meinten, noch mehr aufzufallen, wenn sie in Begleitung einer ausländischen Person reisen. Frage: Gab während deines Einsatzes Momente, wo es ohne deine Anwesenheit hätte gefährlich werden können für eineN ZeugIn? E.L.: Nicht in dem Sinne, dass jemand umgebracht worden wäre, ich habe eine ruhige Zeit in Rabinal erlebt. In einem Vorort von Rabinal gab es tatsächlich Drohungen gegen ZeugInnen, was grosse Angst auslöste. Jemand, der in Untersuchungshaft sass, liess durchsickern, dass nach seiner Freilassung ein paar Köpfe rollen würden und es kursierten auch die Namen der Personen, deren Köpfe rollen sollten. Wir gingen diesen Drohungen nach, nahmen ein Protokoll auf, aber es war unmöglich, den Namen der Person herauszufinden, welche die Drohungen aussprach oder die der Leute, die sie verbreiteten. Die viel reellere ,,Gefahr" besteht darin, dass die ZeugInnen abspringen, dass sie müde werden und alles hinschmeissen, wenn keine Internationalen mehr kommen. Frage: Wie war die Zusammenarbeit mit anderen Menschenrechtsorganisationen in Rabinal? E.L.: Wir haben nur mit CALDH zusammengearbeitet. CALDH hat in Rabinal ein Büro, wo wir auch gewohnt
   E.L.: Meine Aufgabe war es, alle ZeugInnen mindestens einmal in der Woche zu besuchen, ihnen zuzuhören, Informationen auszutauschen und, wäre dies der Fall gewesen, genau zu dokumentieren, wenn sie Drohungen bekommen hätten. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist die moralische Unterstützung der Leute. Konnten wir einmal eine Woche nicht vorbeigehen, weil wir z.B. in der Hauptstadt waren, vermissten sie uns, fragten, wo wir gewesen seien und erzählten, dass sie auf uns gewartet hätten. Unsere Besuche sind zu einem festen Bestandteil ihres Lebens geworden und geben ihnen viel Kraft dabei, die ZeugInnenaussagen aufrecht zu erhalten und weiter zu machen. So etwas durchzuziehen kostet ja nicht nur Geld, dieses wird ihnen übrigens ersetzt, sondern es braucht auch sehr viel Zeit, all die Reiserei und die Sitzungen. Unsere Aufgabe ist die Begleitung, die Sicherheit. Alle Leute wissen, dass immer jemand von uns kommt, dass wir über alles sofort informiert werden, was den ZeugInnen angetan würde. Frage: Habt ihr neben den Besuchen zu Hause die Leute

Fijáte 316 (11.08.04) PDF 1. Artikel
   Nicht eine Tote mehr! Kampagne gegen Frauenmorde in Guatemala
   Tagtäglich werden in Guatemala Frauen und Mädchen auf grausame Weise ermordet. Der Femizid (Ermordung von Frauen wegen ihres Frau-Seins) ist eine Form des Terrors, dem Guatemaltekinnen seit 2001 verstärkt ausgesetzt sind. Durch Ciudad Júarez im mexikanischen Norden ist in Europa das systematische Morden von vorwiegend jungen Frauen bekannt geworden. Doch auch die Länder Zentralamerikas sind von dieser Form der Gewalt gegen Frauen betroffen. In Guatemala übersteigen die Zahlen der Frauenmorde inzwischen diejenigen von Mexiko. Die aktuelle mediale Berichterstattung über das Phänomen "Gewalt" ist geprägt von möglichst schauererregenden Bildern, tendenziösen Versuchen, die Ursprünge und Hintergründe des zunehmenden Mordens zu erklären und Anschuldigungen an die Regierung, hauptverantwortlich für das "Übel" zu sein. Spezielles und besonders sensationalistisches Augenmerk wird den mehr und mehr bekannt gewordenen Frauenmorden geschenkt. Diese haben im Vergleich zu den ebenfalls zunehmenden Morden an Männern eine klar sexuelle Konnotation, die meisten der Frauen wurden vor ihrem Tod vergewaltigt und gefoltert, sexistische Ausdrücke wurden ihnen in die Haut geritzt oder auf am Körper der toten Frauen angebrachte Zettel geschrieben. In den vergangenen 24 Monaten wurde durchschnittlich eine Frau pro Tag ermordet, Tendenz steigend. Die meisten dieser Morde geschehen in der Hauptstadt. Wirklich zuverlässige Statistiken gibt es nicht, weder über die Anzahl der Morde noch über ihre Hintergründe. Während die Zahlenaufstellungen von Menschenrechtso der Frauenorganisationen aufgrund unterschiedlicher Quellen variieren, hat Vizepräsident Eduardo Stein eine ganz eigene Art, Statistiken zu fälschen. "Im Vergleich zum letzten Jahr ist die Anzahl der Gewalttaten stabil geblieben. Das einzige Problem sind die Frauenmorde", sagte Stein Ende Juli gegenüber der Tageszeitung SigloXXI.
   Damit gibt er klar zum Ausdruck, dass es für ihn unterschiedlich wertvolle Leben, bzw. Tode gibt, und Frauenmorde klammert er lieber aus, wenn es um das Erstellen einer Statistik geht. Ernsthafte Untersuchungen seitens der Behörden oder der Polizei gibt es nicht, dafür umso mehr hanebüchene Erklärungsversuche über die Urheberschaft bzw. über die Gründe der Frauenmorde. Abrechnung unter Banden oder systematischer Femizid? Lieblingstäter Nr. 1 sowohl der guatemaltekischen Behörden wie auch der Presse und der Bevölkerung sind die maras, die kriminellen Jugendbanden. Der "Beweis": Ein Teil der ermordeten Frauen trägt Tatoo's, ein Markenzeichen, durch das sich in Guatemala die meisten Mitglieder von Jugendbanden auszeichnen. Bei den Gründen gibt es dann aber bereits Unterschiede: Während die einen von Abrechnungen zwischen verschiedenen maras sprechen, bei denen die Frauen und Freundinnen der Bandenmitglieder die Opfer sind, erklären es andere damit, dass Frauen immer häufiger selbst aktive Mitglieder von maras sind, die sich in die "dunkle Welt" der Drogen und somit in Gefahr begeben. Eine Weiterführung der mara-These ist, dass diese wohl die ausführenden Täter sind, dahinter jedoch das organisierte Verbrechen und die Drogenkartelle stecken. Das Ziel: die Destabilisierung der Regierung, die in den letzten Monaten ein paar spektakuläre Fänge in der Drogen- und Mafiaszene gemacht hat. Die guatemaltekische Kriminalpolizei untermauert diese These mit ihrer Statistik, gemäss der 40% der ermordeten Frauen etwas mit den maras zu tun gehabt hätten, weitere 30% in den Drogenhandel verwickelt, 20% der Morde die Folgen eines Liebesdramas und 10% so genannte Zufälle gewesen seien. Die offiziellen Daten der Polizei sprechen jedoch eine andere Sprache:
   15% der ermordeten Frauen seien selber Mitglieder oder Angehörige von Mitgliedern von Jugendbanden, 4% seien in den Drogenhandel involviert, während 44% der Morde auf innerfamiliäre Gewalt zurückzuführen seien. Die restlichen 37% vermag die Polizei nicht eindeutig zu klassifizieren. Diese Zahlen bestärken das Argument der Frauenorganisationen, dass es sich bei den Frauenmorden um ein geschlechtspezifisches Phänomen, also um Femizid, handelt. Auch Giovanna Lemus vom Netzwerk gegen Gewalt gegen Frauen teilt diese Ansicht. Häusliche Gewalt habe es schon immer gegeben, neu sei, dass die Behörden endlich eine Statistik darüber führten, gleichzeitig aber zu verhindern versuchten, dass diese öffentlich werde. Weiter kritisiert Lemus die Medien und die Kirche wegen ihrer Doppelmoral, mit der Frauen, die sich für ihre Rechte einsetzen, als verrückte Feministinnen, Huren oder Abtreiberinnen abgestempelt würden. Laura Asturias, Herausgeberin der feministischen

Fijáte 315 (28.07.04) PDF 1. Artikel
   Internationale Zusammenarbeit: Medizin oder Droge?
   · Die Internationale (Entwicklungs-) Zusammenarbeit geniesst einen fast unantastbaren Ruf, gäbe es da nicht Gerüchte über dahinterstehende wirtschaftliche Interessen der Länder, welche diese Gelder zur Verfügung stellen. · Seit der Unterzeichnung der Friedensabkommen im Dezember 1996, sind mehr als 1 Milliarde US-$ im Rahmen der Internationalen Zusammenarbeit nach Guatemala geflossen. In letzter Zeit ist diese Unterstützung jedoch rückgängig. · Trotz all dieser Millionen, hat sich an den grundlegenden Problemen, die zum bewaffneten Konflikt führten, nichts verändert, soziale Probleme und gewalttätig ausgetragene Konflikte nehmen stetig zu. In diesem Kontext veröffentlichte Inforpress Centroamericana eine dreiteilige Serie, in der es um Fragen geht wie: "Welchen Einfluss hatte der Zufluss von Entwicklungsgeldern auf Guatemala?", "War die Internationale Zusammenarbeit ein Erfolg oder ein Misserfolg?", "Ist der Antrieb für Entwicklungshilfe Menschenliebe oder sind es wirtschaftliche Interessen?", "Ist die Internationale Zusammenarbeit Opium für die Linke?" und schliesslich "Ist sie Medizin oder Droge?" Für den vorliegenden thematischen "Fijáte!" haben wir diese Artikelserie, erschienen in den Inforpress Centroamericana 1562/-63 und -66, übersetzt und bearbeitet. Ganz im Zeichen des Sommerlochs hat dieser "Fijáte!" nur vier Seiten, frei nach dem Motto "Weniger ist manchmal mehr". Schöne Sommerzeit! Ziel nicht erreicht Im Informe Global de Desarollo Humano 2003, dem Entwicklungsbericht 2003 des UNO-Entwicklungsprogramms UNDP heisst es, dass die offizielle Entwicklungshilfe weltweit zurück gegangen sei. Und zwar in den Jahren zwischen 1999 und 2001 von 0.33% auf 0.22% der durchschnittlichen Bruttoinlandprodukte der Geberländer. Dies ist einiges unter dem sich 1969 selbst gesteckten Ziel von 0.7%.
   Wenn die Mitglieder des Entwicklunghilfekomitees (Comité de Asistencia para el Desarollo - CAD) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, die 21 grössten Geberländer der Welt*, das Ziel der 0.7% einhalten bzw. erreichen würden, wären die offiziellen Entwicklungshilfegelder drei Mal höher als im Moment, nämlich 165 Milliarden US-$. Das UNDP stellt zwar für die Jahre 2001 und 2002 eine generelle Zunahme der Entwicklungshilfegelder fest. Das permanente Nichteinhalten des sich selber gesteckten Ziels von 0.7% des Bruttoinlandprodukts für Entwicklungszusammenarbeit wirft jedoch die Frage auf, ob diese Länder wirklich etwas gegen die Armut und zur Unterstützung der Entwicklungsländer zu tun bereit sind oder ob ihre wirtschaftlichen Interessen nicht über ihren altruistischen stehen. Die "Doppelmoral" der OECD und ihrer Mitgliedsländer wird auch ersichtlich, wenn wir uns die Zahlen etwas genauer ansehen. Im Jahr 2002 haben die CAD-Länder innerhalb der eigenen Landesgrenzen Landwirtschaftssubventionen in Höhe von 311 Milliarden US-$ vergeben, während die Entwicklungshilfegelder sechs Mal weniger, nämlich 52 Millarden US-$ ausmachten. Altruismus oder Interesse? Von den verfolgten Zielen her gesehen können die Länder, die in der Internationalen Zusammenarbeit engagiert sind, in drei Gruppen aufgeteilt werden: 1. Diejenigen Länder, welche in den so genannten Entwicklungsländern die Bedingungen für privatwirtschaftliche Beziehungen, den Handel und die globalisierte Produktion verbessern wollen. 2. Diejenigen Länder, welche in den so genannten Entwicklungsländern eine Stabilisierung bzw. eine Demokratisierung fördern wollen und 3. jene Länder, die sich solidarisch mit den Armen und Marginalisierten zeigen und Transformationsprozesse unterstützen wollen.
   In der Vergangenheit waren diese drei Typen von Entwicklungshilfe klarer zu trennen gewesen, doch durch die Globalisierung und die verstärkten Beziehungen zwischen den verschiedenen Ländern wird es immer schwieriger zu unterscheiden, ob wirtschafliche Interessen hinter der "Hilfe" stecken oder nicht. In diesem Zusammenhang gibt die schwedische Botschafterin in Guatemala, Maria Leissner, gegenüber Inforpress zu, dass Internationale Zusammenarbeit (IZ) nie aus reiner Menschenliebe getätigt wird, dass immer gewisse, mehr oder weniger wirtschaftlich be-

Fijáte 314 (14.07.04) PDF 1. Artikel
   (K)ein schöner Land in dieser Zeit? Teil II
   Nach der Darstellung des Vorschlags zur Integralen Agrarreform des Nationalen Dachverbandes der BäuerInnenorganisationen, CNOC, im letzten ¡Fijáte! berichten Leocadio Juracán und Salvador Cruz, Mitglieder des Politischen Rates der CNOC, sowie Helmer Velásquez, Führungsmitglied der CONGCOOP, dem Dachverband der Nichtregierungsorganisationen und Kooperativen, im Folgenden von der aktuellen Situation im Land aus Sicht der BäuerInnen. Dabei erläutern sie Aktionsmöglichkeiten, politische Einstellungen und Einschätzugen hinsichtlich der Agrar- und Fiskalpolitik des Staates von Seiten ihrer Organisationen und schildern zudem die konkreten Lebensumstände der vornehmlich indigenen BäuerInnen. Frage: Welche Massnahmen oder Instrumente gibt es neben dem von Ihnen erbetenen Druck von internationaler Seite auf die guatemaltekische Regierung und den FincaBesetzungen im Land selbst, die die BäuerInnen in der Hand haben, um die Regierung davon zu überzeugen, dass es eine "gute Idee" wäre, endlich die nötigen Reformen in der Agrarfrage zu implementieren? Leocadio Juracán (CNOC): Unser Vorschlag soll im nächsten Jahr im erwähnten III. BäuerInnenkongress gebilligt werden. Gleichzeitig treffen wir jetzt bereits Massnahmen, damit unser Vorschlag auch von Seiten der Gesellschaft akzeptiert wird. In diesem Zusammenhang sind wir auf der einen Seite dabei, eine soziale Allianz zu schaffen mit anderen sozialen Bewegungen im Land, anderen BäuerInnengruppen, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Forschungszentren, die sich alle in der Diskussion um das Thema Land vereinen. Auf der politischen Seite sind wir gegenüber den politischen Parteien zweifellos im Nachteil. Denn die derzeit stärksten politischen Kräfte im Kongress identifizieren sich hinsichtlich des Reformvorschlags zum Kataster eher mit dem Vorschlag der Agrarkammer.
   Die einzigen, die gewisse Sympathien gegenüber unserem Entwurf bekunden könnten, sind die Parteien Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) und die Allianz Neue Nation (ANN), aber die stellen eine Minderheit im Kongress. Frage: Haben diese sich denn bereits öffentlich geäussert? L.J.: Nicht so offen nach dem Motto: ,,Wir unterstützen den Landreformvorschlag der CNOC". Helmer Velásquez (CONGCOOP): Sie reden vom ,,Recht auf Land". L.J.: Wir sind derzeit dabei, gewisse, auch formale Annäherungen zu diesen politischen Parteien zu starten, ihnen den Reforminhalt zu präsentieren und sie um Rückendeckung zu bitten. Anschliessend erst können wir einschätzen, wie sie letztendlich zu unserem Vorschlag stehen. Frage: Hinsichtlich Ihrer Initiative, Allianzen in der Zivilgesellschaft zu suchen: Wie nehmen Sie das Klima wahr, schliesslich gibt es noch andere Interessensgruppen wie die Lehrerschaft, die Busfahrer, es gibt so viele Gruppen, die ihre eigenen Interessen verfolgen, mit eigenen Problemen konfrontiert sind und ihre Forderungen der Regierung unterbreiten. Besteht eine Solidarität zwischen diesen Gruppen und läuft es im Endeffekt auf den strategischen Versuch hinaus, durch gemeinsame Aktionen mit mehr Masse aufzuwarten und die Zivilgesellschaft an sich zu repräsentieren? Überwiegt dabei das gemeinsame Interesse oder dominieren doch die individuellen Anliegen? L.J.: Es gibt zahlreiche Sektoren, die zum Thema der Agrarreform arbeiten, der BäuerInnensektor, der Indígena-Sektor. Der Gewerkschaftssektor unterstützt das Ganze dabei eher. Und dann sind da die Nichtregierungsorganisationen wie die Plataforma Agraria, die CONGCOOP, die ganz offen den Vorschlag unterstützen und sogar in Bezug auf die fachlichen Fragen uns zur Seite stehen. Es gibt also durchaus Sektoren, die sich mit unserem Vorschlag identifizieren.
   Daneben gibt es jedoch auch noch einige Gruppieren, bei denen wir noch Überzeugungsarbeit leisten müssen. Wobei wir auch klarstellen müssen, dass der Vorschlag nicht auf CNOC-eigene Interessen beschränkt ist, sondern nationale Bedeutung hat. Salvador Cruz (CNOC): Uns ist als CNOC ganz klar, dass wir es alleine nicht schaffen würden. Erst die Einheit verschafft Stärke. Viele Jahre lang hat jeder Sektor für seine eigenen Entschädigungen gekämpft. Frage: Aber besteht denn diese Allianz bereits? S.C.: Ich habe den Eindruck, dass wir mit unseren Bemühungen auf einem guten Weg sind und die ersten gemeinsamen Artikulationen erarbeiten. L.J.: Es sind schon einige gemeinsame, punktuelle Aktionen veranstaltet worden. Eine weitere ist die Nationale Demonstration vom 8. Juni (siehe ¡Fijáte! 313, das Interview fand im Vorfeld statt ­ die Red.). Bei dieser Veranstaltung auf nationaler Ebene werden sich diverse Sektoren zusammentun, die BäuerInnen, Indígenas, Gewerkschaften, um gemeinsam die Regierung aufzufordern, die Finca-Räumungen zu stoppen, den Festnahmen von BäuerInnen Einhalt zu gebieten, also ein erster Versuch, auf dieser Ebene eine nationale Allianz aufzubauen.

Fijáte 313 (30.06.04) PDF 1. Artikel
   (K)ein schöner Land in dieser Zeit? Teil I
   Zahlreiche, von Gewalt geprägte Finca-Räumungen, die Kaffeekrise, Verletzungen von Arbeitsrechten, Hunger - nur einige Aspekte, die nicht nur in der heutigen Zeit mit dem Thema Land und der Tatsache einer fehlenden Agrarpolitik in Guatemala in Verbindung stehen. Vier Wochen lang reisten drei Vertreter des Nationalen Dachverbandes der BäuerInnenorganisationen - CNOC - und vom Dachverband der Nichtregierungsorganisationen und Kooperativen - CONGCOOP durch Europa, um die Problematik bei hiesigen Regierungen und der Zivilgesellschaft einzubringen und politische Unterstützung zu ersuchen. Im folgenden Interview stellen Leocadio Juracán und Salvador Cruz Mitglieder des Politischen Rates der CNOC,sowie Helmer Velásquez, Führungsmitglied der CONGCOOP den CNOC-Vorschlag zur Integralen Agrarreform und dessen Hintergründe vor. Frage: Wie kann man sich die Organisation des CNOC vorstellen? Leocadio Juracán.: Ich gehöre bspw. zu einer lokalen Basisorganisation, dem BäuerInnenkomitee des Hochlandes, CCDA. Dieses gehört wiederum zum Indigenen- und BäuerInnenrat Kutz Bal B'ey, und dieser ist Mitglied bei der CNOC, dem Nationalen Dachverband der BäuerInnenorganisationen. Die jeweiligen Organisationen erfüllen unterschiedliche Verantwortlichkeiten auf den verschiedenen Ebenen, der departamentalen, der regionalen, bis hin zur nationalen. Ähnliches gilt für unseren compañero Helmer von der CONGCOOP, dem Dachverband der Nichtregierungsorganisationen, der eher auf regionaler Ebene tätig ist, und auch zum CNOC gehört. Frage: Was ist der Anlass ihrer Reise durch Europa? Helmer Velásquez: Wir verfolgen zwei Ziele mit unserer Tour. Zum einen wollen wir unseren Vorschlag zur Agrarreform vorstellen und präsentieren, was diesem zufolge mittelund langfristig ansteht.
   Der zweite Aspekt ist eine sehr konkrete Massnahme, und zwar das Treffen der Konsultivgruppe in Guatemala, das voraussichtlich im ersten Halbjahr des nächsten Jahres stattfinden wird. Diesbezüglich bitten wir die europäischen Regierungen um ihre politische Unterstützung, damit der Punkt der Agrarreform auf die Tagesordnung der Konsultivgruppe gesetzt wird. Ausserdem bitten wir die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gruppen in Europa, dass sie uns in diesem Sinne mit Hilfe ihrer Regierungen unterstützen. Eine weitere Bitte an die europäischen Regierungen besteht in der Aufnahme von VertreterInnen der Zivilgesellschaft in die Konsultivgruppe. Dies hatten bei dem vorherigen Konsultivgruppentreffen nur Schweden und Holland gemacht. Das sind unsere konkreten Vorhaben. Im Allgemeinen wollen wir in Europa mittels unserer Reise hinsichtlich des Agrarthemas in Guatemala sensibilisieren und dabei vor allem auf die aktuelle Situation der Fincaräumungen und dem Fehlen einer Agrarpolitik aufmerksam machen. Frage: Was passiert diesbezüglich denn im Land selber, von Seiten der CNOC und ihrer Mitgliedsorganisationen? H.V.: Wir sind, gemeinsam mit FIAN (FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk, Internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht sich zu ernähren die Red.) Teil der internationalen Kampagne zur Landreform. Auf nationaler Ebene verfolgen wir verschiedene Aktionen zum gleichen Thema. Die nationale Mobilisierung vom 8. Juni (vgl. ¡Fijáte! 312), im August wird ein Treffen mit Jugendlichen stattfinden. Im ersten Halbjahr 2005 streben wir ein Treffen auf lateinamerikanischer Ebene an und am Ende des Halbjahres organisieren wir den III. Nationalen BäuerInnenkongress. Auf diesem werden wir unseren Agrarreformvorschlag zur Verabschiedung von Seiten der Basisorganisationen vorstellen.
   Derzeit finden Workshops und kleinere Kongresse auf interner CNOC- Ebene statt, auf denen der Inhalt des Vorschlags den Mitgliedsorganisationen erläutert, mit ihnen diskutiert und weiter erarbeitet wird. Frage: Welchen Zeitrahmen hat man dabei im Auge? H.V. Wir haben einen kritischen Fahrplan für die Reform aufgestellt, der 10 Jahre für die Realisierung veranschlagt, wenn jetzt mit der Umsetzung begonnen wird. Dabei gibt es eine Reihe von sofortigen Massnahmen, die sich auf den Rahmen der Friedensabkommen stützen und andere, die langfristig angegangen werden sollen. Leocadio Juracán: Seit Unterzeichnung der Friedensabkommen war die CNOC gekennzeichnet als BäuerInnenbewegung, die Vorschläge einreicht. In diesem Rahmen haben wir einen Diskussionsprozess initiiert über unseren Standpunkt u.a. zu den Themen Armut, Migration, Arbeitslosigkeit und dem Phänomen des Hungers, welches wir während des bewaffneten Konflikts nicht in dieser Form wahrgenommen haben. Aber in Zeiten des Friedens taucht die Problematik des Hungers auf, was in gewisser Weise paradox ist hinsichtlich der Perspektive, die die Firmierung der Abkommen aufzeigte. Sechs, sieben Jahre nach den Abkommen stellt sich heraus, dass die Ursachen, die den bewaffneten Konflikt in Guatemala auslösten, in keiner Weise gelöst sind. Dies war der Anlass für die CNOC für den Agrarreformvorschlag. Wir sind der Ansicht, dass es in Guatemala keine ländliche Entwicklung geben kann, so-

Fijáte 312 (16.06.04) PDF 1. Artikel
   Wieviel Geld für wen?
   Fragen rund um den Staatshaushalt haben in den letzten Wochen die guatemaltekischen PolitikerInnen und die Öffentlichkeit beschäftigt. Nach welchen Kriterien wird ein Etat erstellt, welche Steuern können oder dürfen erhöht werden, um der Staatsrechnung auch auf der Einnahmeseite etwas zuzuführen? Und nach den jüngsten Korruptionsskandalen wird immer häufiger auch die Frage laut, wer denn die Einhaltung des Budgets überwacht und überprüft. Ein Aspekt, der in dieser ganzen Diskussion bisher völlig aussen vor blieb, ist die Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit beim Aufstellen von Etats und beim Verteilen von Staatsgeldern. Wie unterschiedlich profitieren Männer und Frauen von den Geldern, die den einzelnen Budgetposten zugewiesen werden? Wie werden im Etat spezifische Bedürfnisse und Situationen von Frauen berücksichtigt? Und schliesslich: Wem kommen die Haushaltsposten zu Gute, denen die meisten Gelder zugeteilt werden? Ein Budget, das solche Aspekte berücksichtigt, wird im Fachjargon "Genderbudget" genannt. Die Nationale guatemaltekische Frauenunion (UNAMG) präsentierte kürzlich eine Studie mit dem Titel Mirando el presupuesto público con perspectiva de género: educación, salud y vivienda" ("Das Staatsbudget aus der Genderperspektive: Erziehung, Gesundheit und Wohnen") aus der wir für den vorliegenden ¡Fijáte! die Einleitung und Teile des ersten Kapitels übersetzten. Einleitung Die guatemaltekische Frauenbewegung erzielte grosse Erfolge, was die Anpassung der nationalen Gesetzgebung und der öffentlichen Politik an die Gleichstellung der Geschlechter betrifft. Dies schlug sich z.B. in der Berücksichtigung der Geschlechterperspektive in den Friedensabkommen nieder oder in der Unterzeichnung und Ratifizierung von internationalen Abkommen über die wirtschaftliche, politische und soziale Gleichstellung der Frau durch den guatemaltekischen Staat.
   Zweifellos ist die Diskrepanz zwischen den eingegangenen Versprechen und ihrer Umsetzung immens. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die übernommenen Verpflichtungen nur ernsthaft umgesetzt werden können, wenn auch im Staatsbudget genügend Geld dafür zur Verfügung gestellt wird. Das Ziel der von der UNAMG herausgegebenen Studie ist es, einen Beitrag zu leisten zum Verständnis der politischen und technischen Elemente der Budgeterstellung in der Hoffnung, den Weg zu ebnen für die Berücksichtigung der Genderperspektive im Staatshaushalt. Das Anerkennen der Problematik wäre auch ein erster Schritt in Richtung Vernetzung mit anderen sozialen AkteurInnen sowie mit staatlichen Funktionären und Funktionärinnen. Die Studie ist Teil eines Prozesses zu dem auch der Diplomkurs "Steuerpolitik aus der Geschlechterperspektive" gehört, der sich an VertreterInnen der Zivilgesellschaft sowie an FunktionärInnen richtet und von der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (FLACSO) und UNAMG durchgeführt wurde. HerausgeberInnen der Studie sind Walda Barrios-Klee und Wilson Romero. Kapitel 1: Einleitende Erklärungen In der Finanzpolitik sind die Absichten sowie Ziel und Zweck ebenso wichtig wie die Mittel und Instrumente. Diese rein technischen Aspekten basieren auf Interessen, Machtverteilung und Wertvorstellungen. Mit anderen Worten: In der Finanzpolitik ist "Macht" nicht nur ein Element unter anderen, sondern der Ausgangspunkt für alle Entscheidungen, die getroffen werden. Entsprechend sind die Auswirkungen dieser Entscheidungen nicht neutral auf die Geschlechter, sozialen Schichten oder ethnischen Gruppen. Eine erste Konsequenz davon sehen wir in den unterschiedlich definierten Zielen der Steuer- und Haushaltspolitik.
   Für die einen bedeutet Finanzpolitik die Festlegung von Steuern und öffentlichen Ausgaben, um die Schwankungen der Wirtschaftszyklen aufzufangen und um eine wachsende Wirtschaft mit mehr Arbeitsplätzen und weniger Inflation zu fördern. Die Friedensabkommen definieren ein Konzept, das diesem diametral gegenübersteht: Die Finanzpolitik ist das Schlüsselwerkzeug, mit dem der Staat die in der Verfassung festgelegten Verpflichtungen umsetzen kann, speziell diejenigen im Bereich der sozialen Entwicklung und dem Wohlergehen aller. Weiter heisst es in den Friedensabkommen, dass die Budgetpolitik den Notwendigkeiten der sozioökonomischen Entwicklung, den Investitionen in Gesundheitswesen, Bildung, Wohnen, ländliche Entwicklung, Arbeitsschaffung, Dezentralisierung etc. entsprechen soll. Es wird betont, dass die Steuerpolitik gerecht, progressiv und abhängig von der Zahlungsfähigkeit der einzelnen ausgelegt werden soll. In Übereinstimmung zu den Friedensabkommen heisst es im Steuerpakt für eine Zukunft des Friedens und der Entwicklung: "Die Finanzpolitik muss integral, kohärent und koordiniert sein mit dem Rest der öffentlichen Politik. Sie muss global entworfen und verwaltet werden, mit einer langfristigen Vision, ausgerichtet auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung". Eine zweite Konsequenz sind die direkten oder indirekten Auswirkungen auf die Steuer- und Haushaltspolitik. Es ist kein Zufall, dass Guatemala eines der Länder mit den niedrigsten Steuereinnahmen ist. Ebenso wenig ist es zufällig, dass über die Mehrwertsteuer das meiste Geld in die Staatskasse fliesst. Die Steuerpolitik ist bei der Berück-

Fijáte 311 (02.06.04) PDF 1. Artikel
   "Hoffen wir erst einmal, die Bewilligung für die Exhumierung zu bekommen"
   Zu den wohl schwierigsten sozialen Konflikten in Guatemala gehören solche, die im Rahmen der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte ausbrechen, z.B. wenn Hinterbliebene von Kriegsopfern Exhumierungen von Massengräbern anstreben. Noch heute leben die sog. Täter oft im selben Ort wie die Opfer bzw. deren Familienangehörigen. In den Jahren seit der schrecklichen Tat wird das Zusammenleben dieser beiden Gruppen geprägt von Repression, (wirtschaftlicher) Abhängigkeit ­ und Angst. Angst auch seitens der Täter, die damit rechnen müssen, dass nach einer erfolgten Exhumierung Klage gegen sie erhoben wird. Entsprechend versuchen sie mit allen Mitteln, eine Exhumierung zu verhindern. In den Gemeinden La Vega und Santa Catarina, im Ixcán, ersuchen 80 Familien die Exhumierung von Massengräbern, die sich auf dem Gelände der Militärzone 22 (Cantabal) befinden. Unterstützt werden sie dabei von der Koordination der nationalen Indígena- und BäuerInnenorganisationen (CONIC) und der Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM). Die Reaktion auf diese Bestrebungen erfolgte prompt: Kurz nachdem im März diesen Jahres VertreterInnen der GAM in die Gemeinden kamen, um den Exhumierungsprozess voranzutreiben, bekamen einzelne RepräsentantInnen der Familienangehörigen Drohungen. In der Folge kam es zu einem Mediationsverfahren, an dem alle direkt beteiligten und an einer Lösung interessierten Parteien teilnehmen. Im Folgenden erzählt Mario Polanco von der GAM von den Möglichkeiten und Schwierigkeiten eines solchen Verfahrens. Die Verhandlungen sind zum Zeitpunkt des Interviews in vollem Gange, definitive Ergebnisse stehen noch aus. Frage: Was ist in den Gemeinden La Vega und Santa Catarina in den 80er Jahren geschehen? Mario Polanco: Als sich der bewaffnete Konflikt verschärfte, wurde der bereits vor den 80er Jahren im Ixcán existierende Militärposten zu einer Militärbasis vergrössert.
   Da aber das Militär nicht über das notwendige Land verfügte, um die Kaserne zu bauen, wurde dieses einfach einer Gruppe von BäuerInnen enteignet. Man weiss nicht, was mit diesen Familien geschehen ist, ob sie vertrieben oder schlichtweg ermordet wurden. In den Jahren 1982/83 verfügte das Militär über ein Gebiet von 1150 manzanas (ca. 800 ha), und zwar in einem überaus fruchtbaren Gebiet und nahe der Grenze zu Mexiko. Ausserdem in einer Region, in der die Guerilla des EGP (Ejército Guerillero de los Pobres) überaus aktiv war. Während zwei Jahrzehnten operierte die Basis in der Region, besass den einzigen Flughafen weit und breit und kontrollierte so den ganzen Flugverkehr in und durch diesen Landstrich. Etwa 20 Jahre später, 2002, besetzte eine Gruppe von 80 Familien einen Teil des Militärgeländes, der von der Armee nicht mehr genutzt wurde. Die BäuerInnen unternahmen nichts, damit ihnen das Land überschrieben würde, das Militär seinerseits strebte vorerst keinen Prozess und keine Räumung an. Bis vor einem Jahr. Der juristische Prozess wurde jedoch seitens des Militärs nicht sehr intensiv verfolgt und blieb in der Bürokratie der Gerichte hängen. Bei den aktuellen Verhandlungen konnten wir nun erreichen, dass der Prozess nicht weitergeführt und so eine gewaltsame Räumung verhindert wird. Frage: Wie kam die GAM dazu, sich in dieser Angelegenheit zu engagieren? M.P.: Die GAM unterhält seit 1994 Kontakt zur Menschenrechtsvereinigung des Ixcán. Diese Organisation vermutete, dass sich sog. geheime Friedhöfe auf dem Gelände der Militärbasis befinden. Sie informierten die Familien, die das Land besetzt halten und in der CONIC organisiert sind über die Möglichkeit, Unterstützung von der GAM bei den Exhumierungen zu bekommen.
   Wir hatten im letzten September zum ersten Mal Kontakt mit den Leuten und sobald wir feststellten, dass da tatsächlich Gräber liegen und auch sahen, dass wir finanziell und zeitlich in der Lage sind, diesen Prozess zu begleiten, unternahmen wir im Januar 2004 die ersten Schritte, um die Exhumierungen einzuleiten. Frage: Weiss man denn, wer die Personen sind, die in diesen geheimen Gräbern liegen? M.P.: Wir wissen nicht mit Gewissheit, um wessen Überreste es sich handelt, möglicherweise um Angehörige der Leute, die die Exhumierung fordern, aber im schlimmsten Fall finden wir bei den Ausgrabungen gar nichts. Ich möchte deshalb den Mund nicht zu voll nehmen, hoffen wir erst einmal, die Bewilligung für die Exhumierung zu bekommen! Frage: Ist vorgesehen, nach den erfolgten Exhumierungen Prozesse gegen die Täter anzustreben? M.P.: Diese Entscheidung müssen die Hinterbliebenen treffen, dazu wollen wir sie als GAM nicht drängen. Ausserdem liegen noch sehr wenig Beweise über die Identität der Verantwortlichen vor, da wir zu wenig über die Befehlshierarchie in dieser Militärbasis wissen. Nicht dass

Fijáte 310 (19.05.04) PDF 1. Artikel
   Abgesang auf die goldene Ära der braunen Bohne
   Wachsende Armut in Guatemala durch Kaffeeproduktion in Vietnam
   Kaffee ist das wichtigste landwirtschaftliche Produkt im Handel zwischen den reichen Industrieländern und den Ländern des Südens. Die USA und Europa importieren über zwei Drittel des weltweit erzeugten Kaffees. Die fünf grössten deutschen Kaffeekonzerne (Tschibo, Jacobs, Aldi, Melitta, Dalmayr) verdienen prächtig. Sie kontrollieren 85 Prozent des nationalen Kaffeehandels. Bei einem Jahresumsatz von rund vier Milliarden Euro sind ihre Gewinne bestens gesichert. In Guatemala hingegen, einem Land mit langer Tradition im Kaffeeanbau, bedroht die Krise der niedrigen Preise auf dem Weltmarkt die Existenzgrundlage Zehntausender Kleinbauernfamilien. Der folgende Artikel wurde uns freundlicherweise von Andreas Boueke zur Verfügung gestellt. Erst nachmittags, wenn die Kaffeesträucher etwas Schatten spenden, wird die Hitze erträglich. Noch arbeiten Hunderttausende Männer, Frauen und Kinder während der Erntezeit auf den Kaffeefeldern Guatemalas. Sie tragen Plastikkörbe vor den Hüften, die sie sorgsam und geschickt mit roten, reifen Kaffeekirschen füllen. Wenn jedoch die eine oder andere Kirsche beim Pflücken auf die Erde fällt, wird sie liegengelassen. Der Kaffeepreis ist heute so niedrig, dass es nicht mehr lohnt, sich für eine Kirsche bis zum Boden zu bücken. Vor fünf Jahren kostete ein Pfund Rohkaffee auf dem Weltmarkt noch knapp 1,50 US-Dollar. Heute sind es nur 50 $Cent. Von dieser Preiskrise werden die KleinbäuerInnen in Guatemala besonders hart getroffen. Einer von ihnen ist Maximo Itzep Hernandez. Er besitzt rund fünfzig ertragreiche Kaffeesträucher. "Viele Leute vernachlässigen ihre Pflanzen, weil der Kaffee heutzutage so wenig wert ist. Aber ich habe kein Geld, um andere Setzlinge anzupflanzen. Wir müssen darauf hoffen, dass der Preis wieder steigt. Wir können unsere Pflanzen doch nicht einfach abschlagen?
    Aber voraussichtlich wird der Preis in den nächsten Jahren nicht deutlich steigen. Für Länder wie Guatemala wird die Kaffeekrise ein Dauerzustand bleiben, denn auf dem Weltmarkt ist ein neuer Konkurrent angetreten: Vietnam. In dem asiatischen Land sind die klimatischen und landschaftlichen Bedingungen besonders günstig. Zudem sehen die Weltbank und andere internationale Entwicklungsorganisationen im Kaffee eine Alternative zum Mohnanbau für die Produktion der Droge Opium, der bei vietnamesischen KleinbäuerInnen besonders populär ist. So kam es zu einer massiven Förderung des Kaffeesektors. Innerhalb von zehn Jahren hat Vietnam seine Produktion vervierfacht und liefert heute zwanzig Prozent des Angebots auf dem Weltmarkt. Dadurch wurde der Preis nachhaltig gedrückt, so dass auch die vietnamesischen KleinbäuerInnen nicht mehr vom Kaffeeanbau leben können. Die britische Hilfsorganisation OXFAM bezeichnet ihr Einkommen als "Vorstufe zum Verhungern". Als Reaktion auf die Krise müssten die KleinbäuerInnen in Guatemala diversifizieren, andere Produkte herstellen. Doch das ist risikoreich. Eine Umstellung kostet viel Geld und man braucht genaue Marktanalysen. Die Leute auf dem Land haben weder das eine noch das andere. So nimmt die Armut in den traditionellen Kaffeeanbaugebieten weiter zu. Der Mönch Antonio Lopez kann das seit Jahren vor den Toren seiner Kirche La Merced in der Kolonialstadt Antigua beobachten: "Den Leuten geht es wirtschaftlich immer schlechter. Wenn ein Vater nicht genug Geld verdient, um das Überleben seiner Kinder zu sichern, dann nehmen seine Alltagsprobleme an Schärfe zu. Es ist furchtbar, wenn er abends zu Bett geht, ohne zu wissen, was seine Familie am nächsten Morgen zum Frühstück essen kann. Soweit sind wir schon gekommen. Die Familien haben nicht mehr genug zu essen. Das ist keine Armut, sondern schlimmer. Das ist Elend.

Fijáte 309 (05.05.04) PDF 1. Artikel
   Frauen in den Maquilas, die Aschenbrödel der Region
   In Zentralamerika arbeiten mehr als 300'000 Menschen, die meisten von ihnen Frauen, zu miserablen Arbeitsbedingunen in Maquilas, Fertigungsfabriken jeglicher Massenwaren, vornehmlich der Kleidungs- und Computerchipbranche. Die generalisierte Ausbeutung und die verbalen und physischen Übergriffe haben ihre Auswirkungen weit über die Fabriktore hinaus. Sie gefährden das Leben der Arbeiterinnen und die Zukunft ihrer Kinder. Die Löhne reichen den Frauen kaum zum Überleben. Schuld daran haben z.T. die Regierungen, welche die landesüblichen Mindestlöhne niedrig halten, um ausländische Investitionen anzuziehen. Ebenso fehlt es an verbindlichen Arbeitsstandards. Schuld haben aber auch die BesitzerInnen internationaler Kleidermarken, deren Gewinn auf dem Rücken der MaquilaarbeiterInnen erwirtschaftet wird. Der folgende Artikel erschien in Inforpress Centroamericana 1552 vom 19. März 2004 und basiert auf einer Studie von Oxfam International. In den Zentralamerikanischen Maquilas gehören Ausbeutung, 10-Stunden-Arbeitstage, niedrige Löhne, ein permanenter Druck, das Verbot von Gewerkschaften, die miserablen infrastrukturellen und sanitären Bedingungen zum täglichen Brot der Angestellten. Weltweit sind vier von fünf Maquilaangestellten Frauen unter 25 Jahren. Der Bericht von Oxfam International zitiert einen Maquilabesitzer, der die ,,Vorteile" junger ArbeiterInnen preist: ,,Wir ziehen junge Frauen vor, weil sie disziplinierter sind als ihre älteren Kolleginnen. Manchmal müssen sie die ganze Nacht durcharbeiten, doch sie haben volles Verständnis für die Notwendigkeit dieser Flexibilität." Eine Arbeiterin der Maquila "Star Fashion" (in koreanischem Besitz), in Guatemala Stadt, erzählt, dass den 800 ArbeiterInnen drei Toiletten zur Verfügung stehen. Gehen die Frauen häufiger als dreimal täglich auf die Toilette, erhalten sie eine schriftliche Verwarnung.
   Während der Arbeit werden sie vom Vorarbeiter per Lautsprecher verbal misshandelt. Während ihrer 40-minütigen Mittagspause müssen sich die Frauen zum Essen auf den Boden setzen, einen Aufenthaltsraum gibt es nicht. Gesetzlich wäre eine einstündige Mittagspause vorgeschrieben. Eine weit verbreitete Diskriminierung ist das doppelmoralische Verhalten der Vorgesetzten, einen Schwangerschaftstest von den Frauen zu verlangen, bevor sie eingestellt werden und sie, kaum sind sie im Betrieb, sexuell zu missbrauchen. Vor allem unverheiratete Frauen sind stark den Übergriffen ihrer Vorgesetzten ausgesetzt. In Nicaragua trifft man eine ähnliche Situation an. Gemäss einer regionalen Studie von Oxfam International, wurden im Jahr 2002 von den MaquilabesitzerInnen 262 Anträge zur Auflösung eines Arbeitsvertrages beim Arbeitsgericht eingereicht, in 77 Fällen wurde als Kündigungsgrund die Schwangerschaft einer Frau angegeben. Die Konsequenzen der Ausbeutung und der Misshandlung übertragen sich auch auf die Kinder der ArbeiterInnen (Was jedoch nicht die Kündigung einer schwangeren Frau rechtfertigen darf! die Red.). Viele ArbeiterInnen haben keine Zeit, sich gross um die Erziehung und das Wohlergehen ihrer Schützlinge zu kümmern. Umgekehrt stellen die wenigsten Maquilas Kinderkrippen zur Verfügung, so dass es oft die älteren Geschwister sind, die sich um die Kleineren kümmern müssen. Der Druck in der internationalen Modebranche wird auf die schwächsten Glieder der Produktionskette, die Arbeiterinnen in den Maquilas abgewälzt. Der Konkurrenzdruck unter den weltbekannten Kleiderherstellern (Gap, H&M, Zara und Nike) und zwischen den grössten Supermärkten (Wal-Mart, Carrefour, El Corte Inglés) ist enorm.
   Bis vor kurzem wurden noch vier Kollektionen jährlich auf den Markt gebracht, doch die schwedische Marke H&M und die spanische Zara haben sich erfolgreich darauf spezialisert, permanent neue Kollektionen zu entwerfen. Gemäss Oxfam International bringt Zara etwa 14-täglich eine neue Kollektion auf den Markt, was natürlich den Produktionsdruck auf die Maquilas und deren Angestellten mulipliziert. ,,Da kann man noch lange über internationale Verhaltenskodexe sprechen, die Diskrepanz zwischen der Rhetorik dieser Unternehmen und der Realtiät ist immens", kritisiert Manuel Muñiz von Oxfam. Die Maquilas sind aber auch ein wichtiger Faktor innerhalb der zentralamerikanischen Wirtschaft. In Guatemala, dem zentralamerikanischen Land mit den meisten Maquilas, deckte die Bekleidungsindustrie im Jahre 2003 28% der nicht-tradtionellen Exportprodukte ab. Die Arbeitsbedingungen haben auch physische Auswirkungen auf die Frauen. Diese reichen von Erschöpfungszuständen und Stress bis zu Kopfschmerzen, Husten oder Allergien, ausgelöst durch die Stofffasern, die Chemikalien, mit denen die Stoffe behandelt werden oder die mangelnde Durchlüftung in den Fabriken. Dazu kommen Nierenprobleme, weil die Frauen nicht auf die Toilette können und Schmerzen im Nacken und im Rücken sowie in den Beinen, bedingt durch die Arbeitshaltung und die immer gleichen Handgriffe, die die Frauen während bis zu 14 Stunden täglich ausüben müssen. Gemäss der Studie von Oxfam International sind die staatlichen Institutionen der zentralamerikanischen Länder bestens informiert über diese Zustände. Die Arbeitsministerien der einzelnen Länder geben jedoch vor, nicht genügend personelle und ökonomische Ressourcen zu haben, um die Arbeitsbedingungen in den Maquilas zu überprüfen und deren BesitzerInnen dazu zu zwingen, sie zu

Fijáte 308 (21.04.04) PDF 1. Artikel
   Das Thema Sicherheit
   Die ersten einhundert Tage der Regierung von Oscar Berger gehen ins Land. Sowohl die Regierung als auch die Zivilgesellschaft sind sehr darauf bedacht, einerseits die eigenen Erfolge, andererseits die Erfüllung der Wahlversprechen kundzutun bzw. zu evaluieren. Ein wesentliches Thema, das historisch sowie aktualpolitisch eine grosse Rolle spielt, ist das der Inneren Sicherheit. Zu diesem gehören neben dem stets vieldiskutierten Militär bzw. Verteidigungsressort auch der Umgang mit (Alltags-)Kriminalität, den Jugendbanden, Drogen, Migration und weitere Aspekte. Aufgrund der beständigen Brisanz ist vorliegender ¡Fijáte! spezifisch diesem Themenkomplex gewidmet und spiegelt Ausschnitte der derzeitigen Diskussion in Guatemala wider. Einführend dazu ein Artikel von Arnoldo Villagrán, der am 29. März 2004 unter dem Titel "Stichworte zur Militärdoktrin" in Incidencia Democrática erschienen ist. Angesichts der Notwendigkeit eines Fortschritts in Sachen Demokratisierung der guatemaltekischen Gesellschaft ist es angebracht, einen Moment inne zu halten, um uns mit der vollständigen Umstrukturierung der Armee auseinander zu setzen, wie sie in den Friedensverträgen festgehalten ist. Wir müssen davon ausgehen, dass Guatemala die Etappe der politischen Transformation noch nicht abgeschlossen hat. Der Übergang wurde stets blockiert und wir wissen noch gar nicht, welches Modell von Armee wir eigentlich gerne hätten. Der Staat hat bislang das Monopol über den Gebrauch von Macht und Gewalt inne gehabt, repräsentiert durch seine Streitkräfte. Deswegen müssen wir diesen Aspekt als zentralen in der Debatte bedenken und festlegen, in welcher Art und Weise diese Macht genutzt werden soll, damit sie eine Funktion innerhalb eines demokratischen Gesellschaftsmodells übernimmt und gleichzeitig als Hegemonialmacht weniger auf ihre Zwangsmechanismen zurückgreift.
   Dies lässt sich jedoch nur erreichen, wenn von einer Staatspolitik ausgegangen wird, die einerseits die Sicherheitsfunktion erfüllen kann und andererseits fähig ist, sich auf die nationalen Interessen als Grundlage zu stützen, um weitreichende Strategien und Politikansätze der Verteidigung und Sicherheit innerhalb eines Nationenprojekts zu entwickeln. Die neue Militärdoktrin wird ein Ergebnis dieser ganzen Debatte sein, aber nicht das einzige, bedenkt man, dass es bislang weder Richtlinien noch politische Ansätze gibt, die als Grundlage für deren Formulierung dienen. Es können keine Aktionspläne für eine Politik erarbeitet werden, solange die Strategien nicht bekannt sind, aus denen sie hervorgehen sollen. Das bedeutet also, dass erst einmal eine Sicherheitspolitik formuliert werden muss, die all das umfasst, was der guatemaltekische Staat zu realisieren gedenkt, um jenen traditionellen und aufkeimenden Bedrohungen entgegenzuwirken, die in der derzeitigen Situation bestehen. Es braucht also als erstes die Erarbeitung einer Sicherheitsagenda, die die Existenz dieser Bedrohungen mit einbezieht, was wiederum eine Voraussetzung ist, um Guatemala in den Prozess der regionalen Integration einzuführen. Diese umfasst sowohl das wirtschaftliche und politische Feld Zentralamerikas als auch die Schaffung eines Gleichgewichts hinsichtlich der Beziehungen mit dem Ausland und der internen Entwicklung. Weitere Punkte, die zu entwickeln anstehen, sind Politikentwürfe zur Verteidigung und Sicherheit. Aus der ersten sollte die Militärpolitik, aus der zweiten die Militärdoktrin hervorgehen. All diese Schritte laufen weder automatisch noch mechanisch ab, sind jedoch unabdingbar, um zu erkennen, welche nationalen, politischen und moralischen Werte die Armee in ihrem Handeln innerhalb eines demokratischen Systems zu leiten haben.
   Ausgeschlossen ist, dass allein die Militärangehörigen ihre Doktrin entwerfen. Dies würde das Risiko in sich bergen, die relative Autonomie, die sie immer noch geniessen, zu verlängern. Diese Autonomie ist eine Folge der "Verschiebungen", die durch die Aufstandsbekämpfungsmassnahmen ausgelöst wurden und die aus dem Militär eine der stabilsten und hartnäckigsten Institutionen machte. Ausserdem bewahrt sich die Armee immer noch ihren Korpsgeist sowie eine nicht geringe Entscheidungsmacht über staatliche Ressourcen. Eine wichtige Anforderung für die Formulierung einer Militärdoktrin ist unterdessen der Einbezug der Zivilgesellschaft, die sich bislang recht zurückhaltend daran beteiligt hat. Ihre Organisationen waren in den Debatten kaum präsent und zeigten wenig überzeugende Vorschlagsfähigkeiten. Es muss bedacht werden, dass neue Militärapparate geschaffen werden und niemand weiss, in welche Richtung der entsprechenden Umstrukturierungsprozess führt. Wir wollen nicht hoffen, dass wir mittel- und langfristig zu autoritären Modellen zurückkehren, die denen aus vorherigen Epochen ähneln. Deswegen dürfen wir nicht erlauben, dass die Streitkräfte genau diese Rückkehr vorbereiten. Die Bedingungen dafür könnten sich in den Bündnissen zwischen politischen, unternehmerischen und militärischen Spitzen ergeben. Aus diesem Grund ist es hinsichtlich der Formulierung einer neuen Militärdoktrin notwendig, dass Armee und Gesellschaft gemeinsam die theoretischen, moralischen und politischen Aspekte dafür definieren, welche Richtung das Militär einschlagen soll. Dies wird der Armee neue Werte, und Prinzipien verleihen, die von der Konstruktion der Demokratischen Gesellschaft, der Respektierung der Verfassung, des Rechtsstaats und der Menschenrechte inspiriert und an der Verteidigung der nationalen Souveränität und Unabhängigkeit, der territorialen Unverletzlichkeit und dem Geist der

Fijáte 307 (07.04.04) PDF 1. Artikel
   "Behinderung ist kein Grund, um vom wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Leben ausgeschlossen zu sein"
   In Guatemala leben rund 17% der Bevölkerung (ca. 1,8 Mio. Personen) mit einer Behinderung. Davon sind 58% Männer und 42% Frauen, 63% leben auf dem Land und 37% in den Städten. 13% wurden mit einer Behinderung geboren, 31% erlitten ihre Behinderung durch Arbeitsunfälle, 51% durch sonstige Unfälle. 5% sind behindert aufgrund von Kriegsverletzungen. 1999 schlossen sich Kriegsverletzte der Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) zur Guatemaltekischen Vereinigung von Personen mit einer Behinderung ,,Manuel Tot" (AGPD) zusammen, um gemeinsam die von der Regierung im Rahmen der Friedensabkommen übernommene Verantwortung gegenüber Kriegsverletzten einzufordern. Das Ziel der AGPD ist die Förderung der wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Entwicklung ihrer Mitglieder. Sie will Einfluss nehmen auf die staatliche Behindertenpolitik und Alternativen präsentieren, um körperlich und/oder psychisch behinderte Personen ins produktive Leben zu integrieren. Die AGPD versteht unter Behinderung: "Ein körperlicher, mentaler, funktionaler Mangel oder die Beeinträchtigung eines oder mehrerer Sinne aufgrund eines Unfalls, einer chronischen Krankheit oder von Geburt an, wodurch eine oder mehrere so genannte "normale" Aktivitäten beeinträchtigt sind. Diese Behinderung kann dauerhaft oder vorübergehend sein." Im folgenden Interview erzählt Arleti Maribel Colom, Psychologin der AGPD, von den Schwierigkeiten und Erfolgen ihrer Arbeit mit Menschen, die als Folge einer Kriegsverletzung heute mit einer Behinderung leben. Frage: Weshalb arbeiten Sie für die AGPD? Arleti Maribel Colom: Ich arbeite als Psychologin der AGPD in den Regionen Ixcán (Primavera, Victoria 20 de Enero) und in Alta Verapaz (Xamán, Fray de Nueva Libertad). Ich habe diese Arbeit gewählt, weil ich gerne mit Menschen zusammen arbeite, speziell mit den Leuten auf dem Land.
   Es ist wichtig, diese andere Realität unseres Landes zu kennen, sie selber zu erleben und mit den Leuten zu teilen. Wenn ich in die Gemeinden gehe, lebe ich mit den Leuten zusammen, ich esse, was sie essen und schlafe dort, wo sie schlafen. Es ist völlig anders, als mit Menschen hier in der Stadt zu arbeiten. Frage: Vor zwei Jahren hat man mir erzählt, dass es sehr schwierig ist, eine Psychologin oder einen Psychologen zu finden, der unter diesen Bedingungen (viele Reisen aufs Land und verhältnismässig schlechte Entlohnung) arbeitet. Weshalb machen Sie es trotzdem? A.M.C.: Es ist tatsächlich nicht ganz einfach. Ich lebe quasi aus dem Rucksack. Wenn ich losziehe, habe ich alles mit dabei, was ich für die nächsten zwei Wochen brauche, inklusive Toilettenpapier, denn das ist oft schwierig zu bekommen. Die Transportmittel auf dem Lande sind sehr einfach. Wenn es keinen Bus gibt, mache ich Autostopp, fahre mit Lastwagen oder Pickups mit, setze mich auf Pferde oder Maultiere oder gehe zu Fuss. Dafür ist die Arbeit in den Gemeinden sehr vielfältig. Ich arbeite mit Gruppen, mache Einzelberatungen, oder, wenn es gewünscht ist, gebe ich auch einen Workshop zu irgendeinem Thema. Wenn ich in den Gemeinden bin, bin ich ganz und gar für die Leute da, es gibt keinen Stundenplan, keinen Feierabend und kein Wochenende. Aber ich liebe diese Art von Arbeit! Was die Bezahlung betrifft: Ich kann mit dem leben, was ich hier verdiene. Diese Art von Arbeit, zu diesen Bedingungen, kann ich machen, weil ich allein stehend bin, also keine familiären Verpflichtungen habe. Sonst wäre es viel schwieriger. Frage: Wie sieht der Arbeitstag einer Psychologin auf dem Lande aus? A.M.C.: Wie gesagt, es gibt keine fixe Struktur. Oft wünschen die Leute, dass ich früh am Morgen komme oder am Abend.
   Ich stehe den Leuten den ganzen Tag zur Verfügung und sie können zu mir kommen, wann immer sie wollen, um über etwas zu sprechen oder einen Rat einzuholen. Das heisst, ich versuche, so früh wie möglich schlafen zu gehen und stehe mit der Familie auf, bei der ich untergebracht bin, oft schon um halb sechs Uhr morgens. Ich bin die meiste Zeit in den Gemeinden, hier ins Büro komme ich nur, um Berichte zu schreiben und die Arbeit zu koordinieren. Im letzten Jahr habe ich auch hier in der Stadt Beratungen gemacht, aber das war oft schwierig, weil die Leute dann hierher reisen mussten und oft die Termine nicht einhalten konnten. Frage: Sie haben erwähnt, dass sie sowohl mit Gruppen wie auch in Einzelgesprächen arbeiten. Wie wird entschieden, wer in den Genuss einer Therapie kommt? A.M.C.: Wenn ich in einer Gemeinde zu arbeiten beginne, verschaffe ich mir zuerst einen Überblick über die strukturelle Situation in der Gemeinde und mache eine psychologische Diagnose mit den Leuten. Dazu benutze ich den Baum-Test von Karl Koch. Diesen Test mache ich auch

Fijáte 306 (24.03.04) PDF 1. Artikel
   "Nicht nur die Waren, sondern auch die Menschen sollen am Wettbewerb teilhaben"
   In Zentralamerika zwingt die soziopolitische und wirtschaftliche Situation täglich Tausende von Personen zur Migration. Gleichzeitig entwickeln Mexiko und die Vereinigten Staaten eine repressive Migrationspolitik mit u.a. schärferen Kontrollen an den militarisierten Grenzübergängen zu Wasser und zu Land. Diese Situation macht die Grenzen zu einem Alptraum für viele MigrantInnen, die kein Geld haben, um einen Schlepper zu bezahlen oder die Grenzwächter zu bestechen. Der guatemaltekische Grenzort Tecún Umán ist eine Art Flaschenhals, durch den alle Menschen aus Süd- und Zentralamerika auf dem Weg in den Norden müssen. Seit 1996 betreibt die katholische Kirche in Tecún Umán die Casa del Migrante, eine Art Oase für MigrantInnen, ein Ort, an dem sie auf dem anstrengenden Weg in den Norden für einige Tage ausruhen können und eine menschenwürdige Behandlung und Betreuung erfahren. Im Folgenden spricht Padre Ademar Barilli, Gründer und Leiter der Casa del Migrante von Tecún Umán über die Arbeit des Hauses und seine Vorstellung einer gerechten Migrationspolitik. Frage: Welche Unterstützung bietet die Casa del Migrante? Padre Ademar Barilli: Wir helfen den MigrantInnen in allem, was sie brauchen. Die Leute, die hierher kommen, sind die ärmsten unter den MigrantInnen. MigrantInnen, die Geld haben, um einen Schlepper zu bezahlen, übernachten direkt in den hospedajes, wo sie den Kontakt mit dem Schlepper aufnehmen können. Die Menschen, die zu uns kommen, brauchen in erster Linie etwas zu essen, frische Kleider, einen Ort, wo sie vor Überfällen sicher schlafen können. Wir bieten drei Mahlzeiten täglich, geben den Leuten etwas zum Anziehen, beraten sie juristisch, falls das nötig und gewünscht ist. Wir klären die MigrantInnen auch über ihre Rechte auf, über die Menschenrechte, die sie haben, auch wenn sie illegal in einem anderen Land sind.
   Wir bieten ihnen medizinische Grundversorgung, wir haben eine kleine Klinik und einen Arzt. All dies ist gratis. Monatlich kommen durchschnittlich 1´050 Personen in die Casa del Migrante, davon sind 80% Männer. Wir arbeiten auch mit den sog. Teilzeit-MigrantInnen, den Personen, die ­ meist aus Guatemala stammend ­ für ein paar Monate auf die Fincas in Mexiko zum Arbeiten gehen. Bei ihnen geht es vor allem um die juristische Unterstützung. Wir helfen ihnen beim Einfordern ihrer Löhne und im Kampf um humane Arbeitsbedingungen. Frage: Handelt es sich bei den BesucherInnen der Casa del Migrante um deportierte MigrantInnen? A.B.: Das ist unterschiedlich. Die einen kommen zum ersten Mal, andere machen den zweiten, dritten oder vierten Versuch. Mit der Politik des Plan Sur werden die in Mexiko gefassten Leute an die guatemaltekische Südgrenze zu Honduras oder El Salvador deportiert. Doch die meisten gehen nicht nach Hause zurück sondern unternehmen sofort wieder die Reise in den Norden. Unterwegs erfahren sie von anderen MigrantInnen von der Casa del Migrante hier in Tecún Umán und sie kommen hierher, weil sie wissen, dass es ein sicherer Ort ist, wo sie Unterkunft und Hilfe erhalten. Frage: Und von hier aus dann ein neuer Versuch Richtung Norden? A.B.: Für Menschen, die kein Geld haben, ist die Casa del Migrante ein Ort, von dem aus sie ihre Reise in den Norden neu planen und organisieren können. Es ist ein Ort, wo sie Leute wiedersehen oder kennen lernen können, mit denen sie Erfahrungen austauschen und neue Pläne schmieden können. Es ist auch ein Ort, wo sie ausruhen und sich erholen können, bevor sie den nächsten Versuch wagen. Frage: Das klingt alles sehr ruhig und friedlich. Kennt man in der Casa del Migrante keine Hektik, diese Mischung von Gewalt, Kriminalität, (Drogen-)Handel und Misstrauen, die in den Strassen von Tecún Umán überall spürbar ist? A.B.:
   Wir haben mittlerweile genug Erfahrung, um die Leute einschätzen zu können und zu merken, wer sich als Migrant hier einschleicht, aber in Wirklichkeit ein Schlepper ist. Es gab noch keinen Schlepper, der es geschafft hätte, länger als zwei Tage unbemerkt hier zu sein. Es ist sehr einfach zu unterscheiden, wer MigrantIn ist und wer nicht. Die Art, sich zu kleiden, das Benehmen, etc. etc.. Wir hatten tatsächlich noch nie Gewaltprobleme hier in der Casa del Migrante. Frage: Sie arbeiten auch auf politischer Ebene, sind z.B. Mitglied der Mesa de Migración (MENAMIG). Wie sieht diese politische Arbeit aus? A.B.: Wir arbeiten nicht nur auf der humanitären Schiene, sondern wollen auch politisch Einfluss ausüben.

Fijáte 305 (10.03.04) PDF 1. Artikel
   "Im Valle de Siria ist es nicht der Glaube, der Berge versetzt"
   Am 19. Februar haben BewohnerInnen von San Miguel Ixtahuacán und Sipacapa in San Marcos, Guatemala, unterstützt von Umwelt-, Indígena-, Frauen- und BäuerInnenorganisationen gegen die Anwesenheit des transnationalen Goldminenbetreibers Glamis Gold in ihren Gemeinden protestiert. Die Tätigkeiten von Glamis Gold in diesen Gemeinden ist noch im Anfangsstadium. Um sich eine Vorstellung machen zu können, wie ihre Landschaft und ihr Leben in ein paar Jahren aussehen könnten, haben die GuatemaltekInnen eine Reise ins Nachbarland Honduras gemacht, wo Glamis Gold schon seit Jahren tätig ist. Der guatemaltekische Schriftsteller Rodrigo Rey Rosa hat sie auf dieser Reise begleitet und den folgenden Reisebericht verfasst. Am Tag, als der Brunnen auf seiner kleinen Finca endgültig austrocknete, wusste Don Santos Maldonado, dass sein relativ ruhiges Leben als einer der ältesten und respektiertesten Bauern im Valle de Siria zu Ende war. Bevor er ganz resignierte, schickte er einen seiner Söhne in den Brunnenschacht hinunter, um nachzuschauen, ob nicht vielleicht etwas an der Zuleitung kaputt sei. Doch in dem 20 Meter tiefen Loch war nichts als Sand und Schlamm. Obwohl es schwer zu glauben war für Don Santos, der in seinem langen Leben noch nie davon gehört hatte, dass die Brunnen des Tales sich zur Regenzeit leerten, wusste er sofort, dass der Grund für diese unheilvolle Begebenheit in der intensiven und absurden Tätigkeit eines Bergbauunternehmens liegt, das seit einiger Zeit im Tal tätig ist. Es begann mit einer Umsiedlung im grossen Stil, durch die sich das Bergbauprojekt San Martín de Entre Mares (im Besitz der kanadischen Firma Glamis Gold) die Berge des Valle de Cobre sowie eine grosse Ebene am westlichen Talende aneignete.
   Die vormaligen BesitzerInnen dieses von Buschwerk bewachsenen Landes erhielten im Tausch dafür Ländereien, für die es, wie sie ­ zu spät ­ herausfanden, keine legalen Landtitel gab. Als nächstes wurden riesige Mengen von Sand aus dem Río Playa gebaggert. Dieser Fluss durchquert das ganze Tal und versorgt die Gemeinden mit Trinkwasser. Etwas später begannen die Bohrungen für eine Reihe tiefer Auffangbecken. Die BewohnerInnen des Tales begriffen zu spät, dass der Sand aus dem Río Playa dafür genutzt wurde, die von den Bergen herunterstürzenden Bäche aufzufangen bzw. umzuleiten und dass die Auffangbecken dazu dienten, alles Wasser der Region zu sammeln. Sie wussten nicht, dass für die moderne Goldgewinnung ("Hydrometallurgie") enorme Mengen an Wasser gebraucht werden, und zwar 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr, so lange, bis alles Gold im Tal abgebaut sein wird. Dies war erst der Beginn einer neuen Ära, die sich für den Grossteil der Bevölkerung mit widersprüchlichen Vorzeichen äusserte. Die Minentätigkeit befand sich zu diesem Zeitpunkt immer noch in der Explorationsphase. Später kam der Kahlschlag der roten Hügel und unmittelbar danach begann deren Sprengung mit Dynamit und die "Behandlung" der Erde, wodurch das Leben der Menschen im Tal eine weitere brüske und irreversible Wendung nahm, die sich in einer Zunahme von Gesundheitsproblemen und Armut ausdrückte. Der Berg San Martín, der sich vor drei Jahren noch 900 m über dem Meeresspiegel erhob, erreicht heute noch eine Höhe von knapp 600 m. Wenige Kilometer westlich des Berges, der im Verschwinden begriffen ist, steht die Verarbeitungsanlage der Mine. Hier, auf einem von Bulldozern eingeebneten Gelände, erhebt sich im selben Masse wie der natürliche Berg verschwindet, ein künstliches Gebirge aus mit Zyanid, einem Salz der Blausäure, imprägnierter, toter Erde.
   Eine Art Pyramide, ähnlich derjenigen von Teotihuacán, welche die Luft, das Wasser und die Erde des Tales dauerhaft kontaminiert. Ein Touristenbus mit getönten Scheiben arbeitet sich langsam auf dem engen Weg ins Tal hinein und lässt eine Wolke weissen Staubes hinter sich zurück. Er kreuzt einen alten Mann mit Strohhut, der auf einem Esel talauswärts reitet und weicht weiter vorne einer Karawane von weissen Lastern aus, die Container mit 60 Tonnen Zyanid-Tabletten zur Mine Entre Mares transportiert. Weiter vorne, etwa in der Mitte des breiten Tales, hält der Bus bei den ersten Häusern des Dorfes El Pedernal. Hier wartet eine Gruppe von etwa 20 Personen, darunter Frauen und Kinder, BewohnerInnen von El Pedernal, die die Tour ins Tal und zu den Installationen von Entre Mares begleitet. Diese Reise durch die Galerie des Horrors, welche der Minenabbau unter freiem Himmel darstellt, wurde nicht von einem Reisebüro organisiert. Der Bus, in Guatemala gemietet, hat keine gewöhnlichen TouristInnen an Bord. Unter den Passagieren befinden sich zwanzig BäuerInnen aus San Marcos, Chiquimula und Izabal ­ wo zur Zeit Minenprojekte im ähnlichen Stil wie das Projekt San Martín anlaufen ­ sowie ÖkoaktivistInnen, ein Vertreter von Caritas Honduras und ein Journalist. Das Ziel der Reise ist, die BäuerInnen aus Guatemala über mögliche Konsequenzen dieser Art modernen Bergbaus zu informieren. Konsequenzen, über welche die BewohnerInnen von El Pedernal nur zu gerne sprechen. Es scheint, dass das Erzählen sie etwas von ihrer Sorge erlöst: Sie erzählen angeregt von der Zerstörung ihrer Flüsse, der Schwierigkeiten, die die permanente Trockenheit mit sich bringt und vom Auftreten bisher unbekannter Krankheiten.

Fijáte 304 (25.02.04) PDF 1. Artikel
   Öl im Dschungel
   Nachspiel einer journalistischen Recherche
   Vor rund drei Jahren (¡Fijáte! 231/ 31. März 2001) veröffentlichten wir eine Reportage von Andreas Boueke über die Machenschaften der BASIC RESOURCES im Petén und Alta Verapaz. Was seither in den betroffenen Gemeinden geschehen ist und wie es seinem damaligen Informanten, dem Bauer und Hühnerzüchter Cristobal Peréz ergangen ist, beschreibt Boueke im folgenden Artikel. Wir danken dem Autor für die Abdruckerlaubnis des Artikels und des Interviews mit Menschenrechtsombudsmann Sergio Morales. Am 26. November 2000 explodierte für die einflussreiche Ölfirma BASIC RESOURCES eine publizistische Bombe. Die guatemaltekische Zeitung elPeriódico veröffentlichte auf ihrer Titelseite einen Bericht über verschmutzte Bohrlöcher in der Umgebung der Urwaldgemeinde Rubelsanto. Eine mehrseitige Fotoreportage deckte die Ausbreitung von Ölteppichen im Dschungel auf. Daraufhin berichteten auch europäische Medien über die Ölpest, die sich jahrelang unbemerkt ausgebreitet hatte. Verursacher dieser Verschmutzung waren Firmen wie Elf Aquitaine und Hispan Oil, die während der achtziger Jahre in Rubelsanto nach Öl gebohrt hatten. Doch als BASIC RESOURCES später die Förderungskonzessionen übernahm, musste sich die Firma vertraglich dazu verpflichten, alte Umweltbelastungen zu säubern. Aber die Jahre vergingen und niemand kümmerte sich um den giftigen Dreck. Die Bürokraten in dem zuständigen Ministerium für Energie und Minen drückten beide Augen zu. Das konnten sie sich leisten, weil die Ölindustrie und das Ministerium in Guatemala eng miteinander verquickt sind. Zum Beispiel ist die Leiterin der Umweltabteilung der grössten Ölfirma, Mireya Achila, die Schwester von Raul Achila Serrano, dem ehemaligen Energieminister und hoher Funktionär von SHELL.
   Der Onkel der beiden Geschwister, Jorge Serrano Elías, war einer der korruptesten Präsidenten (1991-1993) der kurzen demokratischen Geschichte Guatemalas. Solche familiären und ökonomischen Verstrickungen gehören zum politischen Alltag in Mittelamerika. So war es für BASIC RESOURCES ein leichtes, die Verschmutzung einfach zu ignorieren. Natürlich sind auch die Beziehungen zwischen den Geschäftsleuten der Medienlandschaft und den Ölmagnaten bestens. Zum Beispiel ist Antonio Minondo, der derzeitige guatemaltekische Geschäftsführer der grössten Ölfirma, Grossaktionär von Siglo XXI, einer der wichtigsten Tageszeitungen. In diesem Blatt also wird man vergeblich nach kritischen Berichten über die Ölindustrie suchen. Als die Redaktion der Zeitung elPeriódico den Mut aufbrachte, Fotos von Öllachen im Urwald zu veröffentlichen, reagierten die Verantwortlichen von BASIC RESOURCES hektisch und drastisch. Hunderte Arbeiter wurden eingestellt und Dutzende Maschinen in den Regenwald geschafft, um die Verschmutzung zu beseitigen. Die monatelang andauernden Aufräumarbeiten verschlangen Millionensummen. Nach Verhandlungen mit dem Energieministerium und einer deutlichen Verschärfung der Naturschutzkontrollen kam es zu personellen Veränderungen bis in die Geschäftsführung von BASIC RESOURCES. Wenig später verkaufte der US-amerikanische Energiekonzern ANADARKO PETROLEUM COOPERATION seine Mehrheitsanteile an dem Unternehmen. Heutiger Betreiber ist der französische Ölmulti PERENCO. Für die BewohnerInnen des Urwalddorfes Rubelsanto bedeuteten diese Ereignisse eine deutliche Verbesserung ihrer Lebenssituation. Ihr Grundwasser war seit über einem Jahrzehnt durch Öl verseucht worden. Die Menschen litten an Krankheiten und Mückenplagen, ihre landwirtschaftliche Produktion und die Tierwirtschaft waren beeinträchtigt. Nach der Säuberung verbesserte sich die Gesundheitslage deutlich.

Fijáte 303 (11.02.04) PDF 1. Artikel
   Revolutionäres Jubiläum
   Jorge Soto und Alba Estela Maldonado, die als KommandantInnen zu den Führungsgremien der ehemaligen Guerilla gehörten, sprachen anlässlich des 22. Jubiläums der offiziellen Gründung der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) am 07. Februar mit der Tageszeitung elPeriódico. Heute sitzen beide Interviewten im Kongress. Jorge Soto, als ,,Pablo Monsanto" ehemals Chef des Guerilla-Kaders Fuerzas Armadas Rebeldes (FAR), das inzwischen nicht mehr zur URNG gehört, kandidierte bei den Wahlen im November 2003 als erster auf der Nationalen Liste der Partei Allianz Neue Nation (ANN). Alba Estela Maldonado, alias ,,Kommandantin Lola" des Kaders Ejército de los Pobres (EGP) ist heutige Generalsekretärin der Partei URNG. Die Interviews, in denen beide in etwa die gleichen Fragen beantworten, erschienen in elPeriódico am 01. Februar 2004. Interview mit Jorge Soto Frage: Von wem und wo wurde die Gründungsurkunde der URNG unterzeichnet? Jorge Soto: In Nicaragua, Ende 1980. Dort wurde das Dokument unterschrieben. Anfangs nannte sie sich noch nicht URNG sondern nur "Revolutionäre Einheit", aber sie hatte noch keinen Namen. Frage: Was war der Grund, die vier Organisationen FAR, EGP, ORPA (Organización del Pueblo en Armas) und PGT (Partido Guatemalteco del Trabajo) in der URNG zusammenzulegen? J. S.: Um die Kräfte und Ressourcen zu vereinen, über die die vier Guerilla-Gruppierungen verfügten. Frage: War das die Antwort auf den Druck des sozialistischen Blocks, der seine Unterstützung, die er leistete, besser ordnen und organisieren musste? J. S.: Das lief anders. Ich hatte Rolando Morán, den höchsten Kommandante des EGP, seit 12 Jahren nicht mehr gesehen, als ich ihn zufällig in Guatemala-Stadt traf. Meine Frau und ich waren auf Wohnungssuche und wollten uns gerade eine ansehen: Wir klingelten, und er öffnete die Tür. Aber er erkannte mich nicht.
   Denn als er 1964 Guatemala verliess, war ich 19. Wir gingen wieder, und als ich kurz darauf zurückkam, sprach ich ihn an: "Haben Sie mich inzwischen erkannt?" Er blickte mich an und lud mich in die Wohnung ein. Ab dem Moment fingen wir an, uns zu treffen. Anfangs nahm die ORPA nicht daran teil. Aber bei einer Versammlung 1979 ermöglichten die Kubaner ein Treffen zwischen uns und der ORPA. Und Ende 1980 begaben wir uns auf Einladung der Sandinisten nach Nicaragua. Frage: Von Druck kann also keine Rede sein. J. S.: Die Kubaner sagten uns stets, dass es das Beste sei, sich zusammenzutun, um Hilfe zu erhalten. Aber das war kein Druck, weder von den Kubanern noch von den Sandinisten. Frage: Doch unter diesen Ermahnungen gab es ja dann doch nicht so viel Spielraum. J. S.: Das stimmt, aber es war dennoch kein Druck. Sie sagten nie: "Entweder schliesst ihr euch zusammen, oder wir ziehen die Hilfe zurück." Ausserdem erhielten wir nie wesentliche Hilfe von ihnen. Frage: Wie viele bewaffnete Menschen gab es zu den besten Zeiten der URNG wirklich? J. S.: In den besten Zeiten hatte die URNG etwa 6´ oder 7´000 Bewaffnete. Das war, als wir anfingen, Waffen von Nicaragua zu kaufen. Hätten wir beispielsweise 1982 über Waffen verfügt, hätten wir zwischen 20´ und 25´000 Leute ausrüsten können. Frage: Was war die militärische Hauptaktion der URNG? J. S.: Ich könnte Ihnen sagen, dass wir - zumindest in unserem Fall der FAR - eine wichtige Operation durchführten, in der wir praktisch eine komplette Kompanie vernichtet haben. Frage: Ich fragte Sie nach der grössten Aktion? J. S.: Es gab einige. Es ist bloss so, dass die URNG nie von der zeitlichen zur räumlichen Koordination überging. Einer der Ansätze war, die Kräfte der URNG zu konzentrieren, um überzeugendere Schläge auszuteilen. Dass sich zum Beispiel 2´000 Leute zusammenfinden, um eine Militärbasis einzunehmen.
   Aber das wurde nie realisiert. Frage: Die URNG war nie eine einheitliche Organisation im Feld. J. S.: Die Kommandantur einigte sich darauf, dass ein Feldzug auf nationaler Ebene durchzuführen sei. Daraufhin machte jede Organisation, was sie konnte, aber es gab nie einen Konsens. Es war immer eine sehr schwache Einheit. Es gab keine Einigungsebene.

Fijáte 302 (28.01.04) PDF 1. Artikel
   "Viele glauben, die Hebamme sei Allgemeingut "
   Im Departement Quetzaltenango gibt es rund 2000 traditionelle Hebammen. 600 davon sind in der Coordinadora Departamental de Comadronas Tradicionales de Quetzaltenango (CODECOT) zusammengeschlossen. Über die Ideologie und die Arbeit der CODECOT erzählen Maria Cecilia Escobar, Maria Ángela Sacor Acabal, Ignacia Chaj Tiu, Mitglieder des Vorstands der Organisation, im nachfolgenden Interview. Frage: Wann, wie und weshalb ist die Organisation entstanden? Maria Cecilia Escobar: Unsere Organisation erhielt am 13. September 2002 ihren legalen Status. Doch Ángela und ich arbeiten schon seit 2000 an diesem Projekt. Wir wollten die Hebammen der Regionen Mam und Quiché zu einem Treffen einladen. Dies war der Beginn von regelmässigen Zusammenkünften, und wir begannen schon bald, uns eine legale Organisationsstruktur zu überlegen. Wir stellten ein Organigramm auf, machten eine Zustandsanalyse und definierten die Themen, die wir bearbeiten wollten. Frage: Welches sind diese Themen? M.C.E.: Zum einen ist es die schlechte Behandlung, der wir als indigene Hebammen in den Krankenhäusern ausgesetzt sind. Dann die Nicht-Anerkennung unserer Arbeit, die Diskriminierung und Skepsis, mit der man uns im Gesundheitssektor generell begegnete. Ignacia Chaj Tiu.: Ein Teil unserer Arbeit ist die Bewusstseinsbildung unter den Hebammen. Sie sind es gewohnt, von einer Organisation finanziell unterstützt zu werden. Nun kommen wir, sprechen von "Organisation" und können ihnen nichts Materielles bieten. Es hat uns ziemlich viel Zeit und Überzeugungsarbeit gekostet, die Frauen zu organisieren. Maria Ángela Sacor Acabal: Maria Cecilia und ich haben vorher für eine Nichtregierungsorganisation gearbeitet. Als diese aber merkte, dass wir ausserhalb der Arbeit mit den Hebammen arbeiteten, setzten sie die Schere an und entliessen uns. M.A.S.A.:
   Es hat ihnen nicht gepasst, dass wir unsere eigene Organisation aufbauen wollten. Als wir beide dann draussen waren, haben sie einen Mann als Koordinator ihres Hebammenprojekts eingestellt. Diese NRO hat uns ausgesaugt bis zum Letzten, hat sich all unser Wissen angeeignet und damit sogar ein Buch geschrieben. In den Kursen, die wir mit den Hebammen durchführten, ging es in erster Linie um einen Erfahrungsaustausch und all dieses Wissen blieb bei der NRO. Heute basiert jener Koordinator seine Vorträge auf diesem Wissen. Was soll das: ein Mann, der dann auch noch Spanier ist, und der Vorträge hält über die Arbeit der Hebammen!? Die haben uns nur als ihre Studienobjekte gesehen! Diese Erfahrung hat uns darin bestärkt, mit unserer eigenen Organisation weiterzumachen. Wir hatten viele Hindernisse zu bewältigen, und manchmal waren wir auch verzweifelt, weil wir kein Geld hatten. Wir konnten nicht einmal die Transportkosten der Kolleginnen bezahlen, wenn sie zu unseren Sitzungen kamen. Das hatte bei vielen zur Folge, dass sie sich von der Gruppe zurückzogen. Doch wir haben auch Erfolge zu verzeichnen. Seit dem Jahr 2000 haben wir als Vertreterinnen der Hebammen versucht, Aktivitäten mit dem Krankenhaus hier in Quetzaltenango zu koordinieren, was anfänglich unmöglich erschien. Als ich dann als Vertreterin unserer Organisation zum ersten Mal zu einer Sitzung der Krankenhausleitung eingeladen wurde, fragte mich eine Ärztin, was ich dort verloren hätte dieselbe Frage stellte ich mir auch einen Moment lang. Zu Beginn der Kooperation wurde ich nicht akzeptiert in diesem Gremium, und beim kleinsten Problem hiess es gleich ,,die Hebammen hier, die Hebammen dort". Doch nach und nach habe ich mir Respekt verschaffen können. Eines Tages ging ich sogar so weit, sie zu einem Vergleich herauszufordern: Wenn ein Arzt und eine Hebamme eine Geburt begleiten, wer macht es besser?
   Die Hebamme macht alles allein, sie betreut das Kind, und sie betreut die Mutter. Der Arzt hingegen betreut nur die Mutter, für das Kind ist der Pädiater zuständig. Und wenn es eine Komplikation gibt, ist die Krankenschwester sofort mit einer Spritze zur Hand. Während dessen kümmert sich die Hebamme allein um alles. Dieses Beispiel hat sie richtiggehend beeindruckt. Sie sind mir danach mit mehr Vertrauen begegnet. Derweil sind wir auch im Departementsrat des Gesundheitswesens vertreten. Dort sind fast alle repräsentiert, inklusive das Militär. Auch dort hat die Zusammenarbeit mit Auseinandersetzungen und Problemen begonnen. Aber inzwischen haben wir es geschafft, und ich werde heute ernst genommen. Wir haben z.B. bei der Ausarbeitung der Richtlinien für das Monitoring des Krankenhauspersonals mitgeholfen. Auch das hat viele gestört, dass eine Hebamme eine Ärztin begutachtet und nicht umgekehrt. Frage: Das heisst also, dass Dank Ihrer Arbeit heute die Beziehung zu den ÄrztInnen besser ist? M.A.S.A.: Ja. Wir haben auch erreicht, dass allen Hebammen ein Namensschild gemacht wurde, mit dem sie sich gegenüber dem Krankenhauspersonal ausweisen können. Jetzt ist es ihnen möglich, zu jeder Zeit mit einer Patientin ins Hospital zu kommen und das Recht auf Behandlung zu haben.

Fijáte 301 (14.01.04) PDF 1. Artikel
   Der 28. Dezember 2003 in Jalapa - aus Wahlbeobachterinnensicht
   Auch die zweite Wahlrunde am 28. Dezember 2003 wurde unter anderem von internationalen BeobachterInnen begleitet. Wir danken Julia Trautsch herzlich für ihre Bereitschaft, uns mittels ihres Berichts auch in diese, der entscheidenden Runde des Präsidentschaftswahlkampfes in Guatemala einen "direkten" Einblick zu ermöglichen, der die "¡Fijáte!- Wahlbegleitung" (siehe ¡Fijáte! 297) abrundet. Zur Stichwahl standen Oscar Berger für das Bündnis GANA - Grosse Nationale Allianz - der diese Wahl für sich entscheiden konnte, und Álvaro Colom, Präsidentschaftskandidat für die Partei Nationale Einheit der Hoffnung. Wie bereits beim ersten Wahlgang am 9. November beobachtete ich als internationale Wahlbeobachterin mit meinem dänischen Kollegen Tomas die Wahl im Departement Jalapa, im vorwiegend von Ladin@s besiedelten Osten Guatemalas. Genau wie am 9.11. fuhren wir von Wahllokal zu Wahllokal in fünf der sieben Gemeinden des Departements. Wir kannten von der ersten Runde her schon unsere Route und konnten so relativ gelassen die Wahlbeobachtung durchführen. Unsere Aufgabe bestand darin, an einem Wahltisch mindestens eine halbe Stunde das Geschehen zu beobachten und pro Tisch einen Fragebogen auszufüllen. Wenn Zwischenfälle auftreten würden, sollten wir sie notieren und schwerwiegende Fälle an die UN-Mission für Guatemala MINUGUA weiterleiten. Im Unterschied zum ersten Wahlgang war die Stimmung diesmal jedoch recht entspannt. Die letzten Tage vor der Wahl wurde kaum noch Propaganda gemacht. Das lag sicherlich nicht nur an den Weihnachtsfeiertagen, sondern auch daran, dass nur noch zwei Kandidaten zur Wahl standen, Efraín Ríos Montt nicht mehr darunter war und nur eine einzige Wahl , die des Präsidenten, stattfand. Ausnahme stellten der vier Gemeinden dar, in denen die Kommunalwahlen wiederholt wurden, da die Wahlurnen abgebrannt wurden, bevor die Stimmen ausgezählt werden konnten.
   Um kurz vor sechs Uhr früh standen wir auf und fuhren mit César, unserem Fahrer, zum ersten Wahllokal in Jalapa, Departement Jalapa. Als wir dort ankamen standen vor dem Wahllokal nur etwa 20 WählerInnen, die gemächlich zu den Tischen gingen, wo sich beim letzten Mal 200-300 Campesin@s drängten und in das Wahllokal stürmten, sobald dieses um 7 Uhr öffnete. Nachdem die ersten zehn Wählenden an dem von uns beobachteten Tisch ihre Stimme abgegeben hatten, konnten die WahlhelferInnen bereits die erste Pause einlegen, da der Wahlprozess wesentlich schneller ging und viel weniger Andrang war. Bei der ersten Runde waren wir in den ersten beiden Wahllokalen von örtlichen Radiosendern interviewt worden. Diesmal hingegen waren nur wenige MedienvertreterInnen zu sehen und bis abends bei der Auszählung durften wir keine Interviews mehr geben. Als wir ins zweite Wahllokal in Jalapa kamen, war schon etwas mehr los, aber die Situation war ebenfalls nicht vergleichbar mit der ersten Runde. Besonders gross war der Unterschied zwischen erstem und zweitem Wahlgang in San Pedro Pinula, wo wir als nächstes hinfuhren. Die Wahltische der Wahlzentren befanden sich dort unter den Arkaden des Dorfplatzes. Am 9. November hatten die Schlangen der wartende Wahlwilligen den gesamten Platz ausgefüllt und ihn in ein Meer von weissen Hüten verwandelt. Diesmal war der Platz wie leergefegt. Die einzige Menschenansammlung, die zu sehen war, befand sich in und vor der Kirche, wo einige Taufen stattfanden. In San Pedro Pinula konnten am 9. 11. sehr viele Menschen nicht wählen. Im Büro des Obersten Wahlgerichts (TSE) wurde uns gesagt, dass allein an zwei Tischen mit jeweils 600 eingetragenen WählerInnen rund 300 Menschen, die diesem Tisch zugewiesen waren, nicht im Wahlregister auftauchten.
   In der ersten Wahlrunde wurde ihnen kurzerhand ein extra Tisch zugewiesen, an dem sie wählen konnten, wenn sie Zeit und Geduld hatten, um herauszufinden, ob sie irgendwo im Register der Gemeinde oder des Departments auftauchten. Auch diesmal gab es Probleme: An dem zweiten Tisch, den wir beobachteten, konnten 31 Personen nicht ihre Stimme abgeben, obwohl sie die entsprechende Tischnummer in ihrem Identitätsausweis stehen hatten. Gegen 12 Uhr fuhren wir weiter nach San Luis Jilotepeque. Auf dem Weg dorthin fiel uns auf, dass sehr viele Menschen am Strassenrand standen, die auf Transportmittel zu warten schienen. In San Luis angekommen, drängten wir uns durch den Markt zum Wahllokal durch. Als wir hereinkamen, war ausser den WahlhelferInnen und ein paar gelangweilten WahlbeobachterInnen der nationalen Wahlbegleitungsinitiative Mirador electoral keinE einzigeR WählerIn zu se-