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Internationale Zusammenarbeit: Medizin oder Droge?

Fijáte 315 vom 28. Juli 2004, Artikel 1, Seite 1

Internationale Zusammenarbeit: Medizin oder Droge?

Die Vereinigten Staaten und Guatemala haben eine enge wirtschaftliche Beziehung miteinander. Die USA sind das Land, mit dem Guatemala den meisten Handel betreibt (40% der Importe kommen aus den USA und 36% der Exporte gehen dorthin). Zusätzlich versucht der nördliche Nachbar, diese Beziehung zu intensivieren. Das Programm 2004 - 2008 der USAID für Guatemala zielt auf mehr Transparenz in der guatemaltekischen Regierung ab, auf die wirtschaftliche Expansion und auf Investitionen in den Bereichen VGGesundheitNF und Bildung. Für diesen neuen Fünfjahresplan stehen 192.2 Mio. US-$ zur Verfügung. Im Vergleich zu anderen Ausgaben der US-Regierung ist der Beitrag von USAID an Guatemala gering. Im Jahr 2002 z.B. vergab die US-Regierung 848 Mio. US-$ an Subventionen an die VGViehzuchtNF-Industrie im eigenen Land, was 24 US-$ pro Kuh ausmachte (es gab zu dieser Zeit 35 Mio. Kühe in den USA). Im Gegensatz dazu kollaborierte USAID im selben Jahr mit 3.6 US-$ pro guatemaltekischer/m BürgerIn. ...und was hat's bewirkt? Zwischen 1996 und 2002 sind gemäss Angaben des SEGEPLAN internationale Entwicklungshilfegelder in Höhe von 1.33 Milliarden US-$ nach Guatemala geflossen. Bezüglich des Impact, also der Wirkung, den dieser Geldfluss hatte, kann laut Juan Alberto Fuentes Knight vom UNDP, welches viele dieser, vor allem aus Europa stammenden Gelder verwaltet, jedoch noch keine Aussage gemacht werden. Sicher habe es Erfolge gegeben, ebenso wie Misserfolge, doch was von beidem überwiege, könne er noch nicht sagen, weil noch keine abschliessende Evaluation vorliege. Als positiv stuft Fuentes Knight die durchgeführten Dialog-Projekte ein, deren Ziel es war, verschiedene Sektoren zusammen zu bringen, ebenso wie die Programme zur Umsetzung der Friedensabkommen. Dieser Prozess könne jedoch noch lange nicht als abgeschlossen betrachtet werden, fügt der UNDP-Vertreter an. Auch die Entwicklungsberichte des UNDP seien erfolgreich gewesen, hätten sie doch zu einer Demokratisierung des Zugangs zu Information beigetragen. Vor allem soziale Organisationen hätten viel von diesen Berichten profitiert, einerseits wegen der Analysen und Statistiken, die sie enthalten, andererseits aber auch, weil die Berichte heikle Themen aufnehmen, wie zum Beispiel die VGLandfrageNF oder die Steuerreform. Botschafterin Maria Leissner ihrerseits nennt als einen der Erfolge der schwedischen Entwicklungszusammenarbeit mit Guatemala die Demontage des Präsidialen Generalstabs (VGEMPNF) sowie die Schaffung des Sekretariats für administrative Angelegenheiten (VGSAASNF). "Dies ist sicher ein wichtiger symbolischer Beitrag zur Transformation eines Militärstaats in einen demokratischen Staat", bekräftigt die schwedische Diplomatin. Laut Mario Godínez von der Volksorganisation CEIBANF war das Ziel der Entwicklungszusammenarbeit in den Jahren 1996 bis 2002 die "Befriedung des Landes", was - und damit ist er sich mit Leissner einig - auch erfolgreich gelungen ist. Unvorhergesehene Fehler Ein grosser Teil des Geldes floss in die institutionelle Stärkung des Staates, wie Leissner erklärt. "Unsere Idee war, die Professionalisierung voranzutreiben und die demokratischen Institutionen des Staates zu stärken, was konkret bedeutet, in die Ausbildung des Personals zu investieren". Wenn es jedoch zu einem Führungs- oder Regierungswechsel kommt, werden die mit den Geldern der internationalen Zusammenarbeit ausgebildeten Staatsfunktionäre entlassen und durch neue ersetzt, womit das Geld mehr oder weniger zum Fenster hinaus geworfen ist. "Es ist ein Irrtum unsererseits zu denken, man könne in eine staatliche Bürokratie investieren, in der alle vier Jahre die guten Leute teilweise oder gänzlich ausgewechselt werden. Dies ist nicht das spezifische Verhalten einer einzelnen Partei, es ist vielmehr ein kulturelles Problem", erklärt Maria Leissner. Godínez hingegen sieht den grössten Fehler der Geberländer darin, dass häufig Geld geschüttet wird, ohne dass ein Dialag mit den Empfängerorganisationen stattfindet, weder vor, während noch nach der Durchführung eines Projekts. "Es muss das gegenseitige Gespräch gesucht werden, Geld darf für den Geber kein Mittel der Macht sein", so Godínez. Seit dem Jahr 2000 habe der Dialog zwischen Geber- und Empfängerorganisationen abgenommen. "Die internationale Zusammenarbeit ist immer enger mit der Handelsliberalisierung verknüpft. Die Programme wollen nicht mehr bloss stabilisieren, sie

arbeiten direkt in Funktion des neoliberalen Modelles", erklärt Godínez. Auch Fuentes Knight bestätigt das Problem, dass die internationale Kooperation in den 80er- und Anfang der 90er Jahre zu stark mit einem wirtschaftlichen Wirtschaftsmodell verhängt war, welches auf Stabilisierung, wirtschaftliche Öffnung und VGPrivatisierungNF setzte. "Das hatte negative Auswirkungen und man hat es sich zu einfach gemacht, indem man glaubte, dies würde automatisch zu Entwicklung führen". Auf der anderen Seite gibt es auch eine historische Dimension. Gemäss Godínez von CEIBA geht es bei der Entwicklungshilfe auch um die Frage der Wiedergutmachung. "Die Vereinigten Staaten und Europa sind noch weit davon entfernt, all das Geld zu bezahlen, das sie unserem Land als Wiedergutmachung zahlen müssten." Medizin oder Droge? Auf die Frage, ob Entwicklungshilfe ein Land schwäche oder stärke, meint UNDP-Vertreter Fuentes Knight, er sehe die internationale Zusammenarbeit vielmehr als ein "Vitamin", eine zusätzliche Stärkung einer nationalen Anstrengung, sie könne jedoch nie die Lösung des Problems sein. "Es kommt auf den Gesundheitszustand des Landes an", meint Fuentes Knight philosophisch. Sicher gebe es Länder, in denen die Entwicklungshilfe zu einer Droge verkommen sei, in afrikanischen Ländern wie z.B. Sierra Leone, wo im Jahr 2001 die Entwicklungshilfegelder 45% des Bruttoinlandprodukts ausmachten. In Guatemala könne es nie soweit kommen, meint Fuentes Knight, weil es in diesem Land ein "gewissen Mass an Würde" gebe. Das Urteil von Godínez zum Thema fällt klar und deutlich aus: "Wenn die Entwicklungshilfe nicht sorgfältig auf das nationale Geschehen abgestimmt ist, ist sie nicht nur Droge, sondern pures Gift." Je mehr desto besser? Die Zahl der nationalen Nichtregierungsorganisationen (NRO) ist in Guatemala während der 90er Jahre ins unermessliche angewachsen, speziell aber nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen 1996. Diese NRO haben sich fast ausschliesslich aus Geldern der internationalen Zusammenarbeit fiananziert. 2002 existierten offiziell 420 NRO, davon wurden rund 50%, nämlich 233, in den 90ern gegründet. Diese Angaben sind laut Abel Girón von der Vereinigung der Entwicklungsorganisationen ohne

Gewähr, da es in diesem Sektor sehr viel Informalitäten gebe und der Bereich "NRO" unterschiedlich weit gefasst werde. Doch auch Girón bestätigt, dass viele dieser NRO von Entwicklungshilfegeldern abhängig seien und die grosse Herausforderung für sie darin bestehe, selbsttragend zu werden. Eine der Hauptkritiken bezüglich der Finanzierung dieser NRO ist, dass sie oft das Ziel mit den Mitteln verwechseln. Die Finanzierung muss ein Mittel der Organisation sein, um ein spezifisches Ziel zu erreichen. Für viele NRO ist aber die Mittelbeschaffung unterdessen zum Selbstzweck geworden und das Ziel, mit dem die Organization ursprünglich gegründet wurde, rückt immer mehr in den Hintergrund. "Was ist das Ziel, an Geld zu kommen oder die Arbeit zu machen?", fragt sich VGWilson RomeroNF, Führungsmitglied der VGURNGNF. "Oft sind die NRO wie Fähnchen im Wind und richten sich danach, woher das Geld kommt." Damit verlieren NRO auch ihre Glaubwürdigkeit innerhalb der Bevölkerung, sie wenden sich ab von den Prinzipien, die sie in den 70er- und 80er Jahren prägten: Menschenliebe und Solidarität. "In den 70er Jahren," so Romero, "war das Geld willkommen aber nicht notwendig, denn Freiwilligenarbeit war das Normalste der Welt. Heute gibt es Leute, die an keiner Sitzung mehr teilnehmen, wenn keine Spesengelder bezahlt werden." Kooperation = VGAufstandsbekämpfungNF? In seinem Buch "Ist eine andere Welt möglich?" (09/2003) kommt der Schriftsteller und Akademiker Mario Roberto Morales zu dem Schluss, dass "die politischen Eliten der Geberländer ihre VGEntwicklungspolitikNF entsprechend ihrer internen Bedürfisse und Interessen gestalten, mit dem Ziel, hier wie dort mögliche Unruheherde zu löschen und soziale Proteste zu verhindern, die aufgrund ihrer eigenen, neoliberalen Politik entstehen könnten." In seinem Buch bezeichnet Morales die internationale Zusammenarbeit als "aufstandsbekämpfend". Ob das nun so stimmt oder nicht, Tatsache ist, dass mit der Konvertierung der "Linken" zu "NRO-istInnen" (und der entsprechenden finanziellen Abhängigkeit) gesagt werden kann, dass der Staat die einst progressivsten Kräfte "unter Kontrolle" hat. Mit anderen Worten, diese Linken wurden gekauft, und ihr ganzes politisches und emanzipatorisches Potential wird jetzt über die NRO kanalisiert, mit dem Ergebnis, dass auch sie eine mehr stabilisierende denn transformierende Wirkung haben. In der Praxis sieht Mario Godínez von CEIBA einer der Gründe für diese Entwicklung darin, dass es nach dem Ende des bewaffneten Konflikts keine wirkliche Wiedereingliederung gab und viele, der VGGuerillaNF nahestehenden Linken sich in die Organisationen der Zivilgesellschaft einklinkten. Wilson Romero spricht eine noch deutlichere Sprache: "Wir haben als URNG bis zur Unterzeichnung der Friedensabkommen finanzielle Unterstützung bekommen, am Tag nach der Unterzeichnung war es damit plötzlich vorbei. Dabei befanden wir uns in einer emminent wichtigen Phase." Der Grund: "Wir gründeten eine politische Partei und die Geberländer dürfen sich nicht in die interne Politik eines Landes einmischen, indem sie eine Partei unterstützen." Dies hatte zur Folge, dass viele GenossInnen oder SympathisantInnen der URNG sich in die Welt der NRO begaben, auf der Suche nach Arbeit und einem Einkommen, denn jeder und jede musste plötzlich selber schauen, wie sie oder er überlebte. "Heute sind wir soweit, dass sich viele Leute von den politischen Prinzipien der URNG abgewendet haben und sich mit der Ideologie ihrer NRO identifizieren." So wendete sich ein wichtiger Teil der politisch denkenden Bevölkerung von der Politik als Mittel des Kampfes ab und versucht, über ihre sozialen Organisationen politischen Einfluss auszuüben. "Meiner Meinung nach ist das ein Irrtum, weil es zu einer Vermischung der Rollen einer sozialen Organisation und einer politischen Partei führt", kritisiert Romero. Laut Godínez ist diese Abwendung eine Folge des Frustes über die politischen Parteien. "Die Parteien sind eine Art Institutionen, sind konjunkturelle Erscheinungen, einzig auf die Wahlen orientiert, und flössen der Bevölkerung keinerlei Vertrauen ein. Demgegenüber sind die Organisationen der Zivilgesellschaft dauerhafter, auf ein längerfristiges Ziel hin orientiert." Ein weiteres Problem der NRO wird von Fachleuten als "Atomisierung des Sektors" beschrieben. Gemeint ist damit, dass die NRO nicht in der Lage sind, sich über ihre eigenen Interessen hinweg als eine gemeinsame Kraft zu artikulieren. Eine Ausnahme hierbei ist der gemeinsam erarbeitete Vorschlag bezüglich des Steuerabkommens. Die Vielfältigkeit der einzelnen NRO, aber auch die Abgrenzung gegenüber anderen Organisationen hat

zur Folge, dass die NRO nicht als eine geeinte Kraft auftreten können. Dies hat Doppelspurigkeit und entsprechend finanzielle Kosten zur Folge. "Alle Sektoren führen ihren eigenen Kampf: Die BäuerInnen-Bewegung für sich allein, die BewohnerInnen der Armenviertel für sich allein, die LehrerInnen für sich allein. Zwar gibt es gemeinsame Sitzungen und Erklärungen, aber einen gemeinsamen Kampf gibt es nicht", erklärt Romero. Er sieht einen klaren Zusammenhang zwischen der finanziellen Abhängigkeit von der Internationalen Gemeinschaft und der Zunahme und gleichzeitigen Zersplitterung der NROSzene. Die Frage ist, wieweit die Internationale Zusammenarbeit diese Atomisierung geradezu gefördert hat? "Dies ist schwierig zu sagen. Sicher gibt es Fälle, bei denen internationales Geld eine Einheit erzeugen konnte, in anderen Beispielen hat dieses Geld sicher zu einer Spaltung geführt." Für Romero sind die NRO nicht gerade das "Opium der Linken" doch müsse man sich ernsthaft fragen, ob sie nicht ein Ersatz für politisches Handeln seien. Und noch etwas bissiger ausgedrückt: "Ich schliesse nicht aus, dass es sich ein wichtiger Sektor im NRO-Bereich bequem macht. Man hat fixe Arbeitszeiten, abends um sechs ist Feierabend, das Wochenende ist frei, das Einkommen gesichert, und wenn der Geldgeber als Bedingung stellt, dass man sich nicht in Politik einmischt, ist man auch dazu gerne bereit."


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