Wahlen in Guatemala - haben wirklich alle gewonnen?
Fijáte 395 vom 10. Oktober 2007, Artikel 1, Seite 1
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Wahlen in Guatemala - haben wirklich alle gewonnen?
"Alle gewinnen" oder "Alle haben gewonnen", hiess es nach dem inhaltlich langweiligen aber von Gewalt überschatteten Wahlkampf in Guatemala. Wer wollte auch anderes behaupten, nachdem so viel Geld und leere Versprechen in den Wahlkampf gesteckt wurden? Im folgenden Text, der auf Artikeln von Andrés Cabañas und aus Die vermeintlichen GewinnerEs gewann Es gewann Es gewann die Regierungspartei GANA, mit ihrem überraschend auf Platz drei gelandeten Kandidaten Es heisst gar, dass die Demokratie gewonnen habe, obwohl mit 3'621'852 Personen bloss 60.46% der stimmberechtigten BürgerInnen und 28.45% der Gesamtbevölkerung an die Urnen gingen. Álvaro Colom erzielte 926'244 Stimmen, was 15% der im Wahlregister Eingetragenen und 7% der Gesamtbevölkerung entspricht. Eine Demokratie der Unzufriedenen und Minderheiten. Die eigentlichen GewinnerWirklich gewonnen haben jedoch diejenigen, die ihren Sieg nicht an die grosse Glocke hängen: In erster Linie der guatemaltekische Sicherheitsapparat ( An zweiter Stelle haben die · Die wirtschaftliche Kontrolle durch Investitionen, die Verschuldung Guatemalas und die die USA bevorzugenden · Eine extreme Schwächung des Staates und seiner Institutionen, was die Abhängigkeit US-amerikanischen Goodwill und -"Experten" verstärkt. · Das Aufoktroyieren der Nordamerikanischen Sicherheitsagenda ( · Die Unterwerfung der guatemaltekischen Aussenpolitik, bis hin zur Entsendung guatemaltekischer Soldaten in den · Die Förderung eines Zweiparteiensystems, wobei die beiden stärksten Parteien eine quasi identische Strategie verfolgen und die revolutionäre Linke und die systemkritischen sozialen Kräfte marginalisiert bleiben. In diesem Kontext und in der aktuellen Situation hat die vermeintlich sozialdemokratische UNE viel mehr Gemeinsamkeiten mit den US-amerikanischen Demokraten als mit den europäischen Sozialdemokratien. Der fundamentale Militarismus der Patriotischen Partei hingegen repräsentiert die Visionen der US-Republikaner. · Das Ende der Säkularisierung und des laizistischen Staates durch die Allianz Oligarchie/Militär/religiöser Fundamentalismus, unabhängig davon, ob dieser nun Ein Guatemala, das den US-amerikanischen Interessen dient, bildet eine geographisch und politisch strategische und wichtige Grenze gegen Süden. Es unterscheidet sich vom Rest Zentralamerikas und bietet ein Gegengewicht zur erstarkten Linken in Die versteckten GewinnerGewonnen haben aber auch der ehemalige Präsident Álvaro Arzú hat seine Position als Bürgermeister in den vergangenen Jahren dazu genutzt, eine "kleine Regierung" aufzubauen, die auf lokaler Ebene die Funktionen der nationalen Regierung übernommen hat. Mit einer unionistischen Mehrheit im Stadtrat und ohne eine Opposition, die eine reale Gefahr für den Arzú-Clan bildet, ist die Möglichkeit gross, dass sein Sohn Roberto, gleichzeitig die mächtigste Figur innerhalb der Grupo Buena, früher oder später von seinem Vater das Bürgermeisteramt übernimmt - und es ist offensichtlich, dass er dies anstrebt. Nach oben |
Bürgermeister der Hauptstadt gewesen zu sein ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Präsidentschaft in Guatemala, womit die historische Macht der Familie Arzú konsolidiert würde. Aktuell sind acht der vierzehn Stadtratsitze von Gesinnungsgenossen Arzús besetzt, in der kommenden Regierungszeit 2008 - 2012 werden es elf sein. Mit einem Gemeindebudget von 860 Mio. Quetzales (ca. 110 Mio. US-$) und der Mehrheit im Stadtparlament stärkt Arzú seine Position als eine Schlüsselperson im nationalen politischen Spektrum. Sowohl Álvaro Colom wie Otto Pérez Molina versuchten für die zweite Wahlrunde eine Allianz mit ihm einzugehen, aber schliesslich entschied Arzú, dass er keinen von beiden unterstützen werde. Wie kommt es, dass Arzú seine Machtposition aufrechterhalten kann, obwohl er nicht in der Lage war, die dringendsten Probleme der Hauptstadt befriedigend anzugehen? Dazu gehört z.B. der defizitäre öffentliche Verkehr, die katastrophale Situation der mitten in der Stadt gelegenen Müllhalde, der chronische Wassermangel, und das aufgrund unzureichender Unterhaltsarbeiten des Abwassersystems in sich eingestürzte "Loch" im San Antonio-Quartier in der Zone 6 (siehe ¡Fijáte! 380 und 381). All dies vermag offensichtlich nicht, am Lack des Bürgermeisters zu kratzen. Die Arzú-Dynastie ist Nachfolgerin baskischer 1982 gewann Álvaro Arzú zum ersten Mal, damals für die Christdemokratische Partei, das Bürgermeisteramt der Hauptstadt, akzeptierte es aber nicht aus Protest gegen den sich durch einen Staatsstreich an die Macht geputschten Der Durchbruch gelang ihm dann 1995 und im ersten Jahr seiner Präsidentschaft wurden die Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die Entführung der Zementbaronin Olga Die Soziologin und Politologin Marta Elena Casaús Arzú (!) fasst das Wirken des Arzú-Clans folgendermassen zusammen: "Ein historisch hegemonialer Block, der nie wirklich von der Macht verdrängt wurde oder abgetreten wäre, sondern der sich wiederverwertet und unter unterschiedlicher Tarnung, aber demokratisch gewählt, immer wieder in wichtige Regierungspositionen gelangt. Er repräsentiert eine neue Form von Unternehmern und stärkt damit die Macht der oligarchischen Familiendynastien." Gemäss Casaús Arzú bekommen diese Familien seit neuestem auch die Unterstützung der neupfingstlerischen, evangelikalen Gruppen, was ihnen dazu dient, klassenunabhängige Beziehungen zu knüpfen und Hegemonie und Macht zu bewahren. Diese Verbindungen entstehen zum Teil durch familienübergreifende Heiraten, und den Traditionen entsprechend ist die Pflege dieser Kontakte vornehmlich die Aufgabe der Frauen aus dem Arzú-Clan. Mit dem über jahrzehntelangen und sorgfältigen Weben dieser feinmaschigen politischen Struktur beweist der Arzú-Clan, dass sein politisches Projekt nicht darauf abzielt, einen Präsidentschafts-Kometen über das politische Firmament zu jagen, um danach wieder im Nichts abzutauchen, so wie andere, kurzlebige Parteien dies tun. Vielmehr geht es ihm darum, die Macht nicht nur auf der politischen, sondern auch auf der wirtschaftlichen Ebene aufrechtzuerhalten, und zu den jeweils opportunen Gelegenheiten an den richtigen Polit-Fäden zu ziehen. Die nächsten vier Jahre einer wohl bemerkt schwierigen Regierungszeit wird den Arzús dazu dienen, ihre Macht im Hintergrund weiter auf- und auszubauen. Gewonnen also! |
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