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consultas populares - zwischen Anerkennung und Recht

Fijáte 413 vom 02. Juli 2008, Artikel 1, Seite 1

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Frage: Und trotzdem wird in Guatemala versucht, mit Volksbefragungen über Minen- oder andere Ressourcenausbeutungsprojekte zu entscheiden …

R.Y.: Grundsätzlich ist es natürlich richtig, dass die Bevölkerung zu ihrer Meinung befragt wird. Was ich jedoch für den Partizipationsprozess schwierig finde ist, dass es bloss ein JA oder NEIN gibt bei diesen Befragungen. Das "Es könnte auch anders gehen" bleibt somit auf der Strecke. Die Volksbefragungen müssten vielmehr als ein Aushandlungsprozess verstanden werden. Sie könnten eine Gelegenheit sein, die unterschiedlichen Entwicklungsmodelle zu diskutieren, die der Staat und die indigene Bevölkerung haben. Bei den Volksbefragungen müsste ausgehandelt werden können, unter welchen Bedingungen sich die betroffene Bevölkerung auf ein Projekt einlassen könnte und welche Art von Entwicklungsprojekten sie benötigt.

Jetzt gibt es bloss diese JA / NEIN Abstimmungen, die keinen Diskussions- und Verhandlungsprozess zulassen. Ausserdem finden sie immer erst statt, wenn es schon zu spät ist. Eigentlich - und das schreibt die ILO-Konvention 169 auch so vor - müssen die Befragungen durchgeführt werden, bevor der Staat irgendwelche legislativen oder administrativen Schritte unternimmt.

Frage: In einem Land wie Guatemala mit einer indigenen Mehrheit, betreffen ja fast alle Gesetze diese Bevölkerung. Müssten nun sämtliche Gesetze einer Konsultation unterzogen werden, bevor sie rechtsgültig sind?

R.Y.: Es gibt konkrete Entscheide, die eine bestimmte Bevölkerungsgruppe betreffen. Diese müssen einer Volksbefragung unterzogen werden. Was die allgemeinen Gesetze betrifft, gibt es zwei Möglichkeiten: entweder man legt sie zur Abstimmung vor oder man sorgt dafür, dass es eine adäquate Vertretung der indigenen Bevölkerung im Kongress gibt, wo die Gesetze verabschiedet werden.

Frage: Welche legalen Möglichkeiten können ausgeschöpft werden, wenn der Staat seiner Verpflichtung nicht nachkommt, die indigene Bevölkerung zu konsultieren?

R.Y.: Es gibt die Möglichkeit, beim VGVerfassungsgerichtNF Rekurs einzureichen. Respektiert der Staat den Entscheid des Verfassungsgerichts nicht, hat die betroffene Bevölkerung die Möglichkeit, den Fall zuerst vor die VGInteramerikanische MenschenrechtskommissionNF zu bringen und danach vor das Interamerikanische Menschenrechtsgericht. Sie kann aber auch Klage bei der ILO direkt einreichen, die das dann in ihren Berichten festhält und die Staaten rügt.

Frage: Das würde also bedeuten, dass in Guatemala rückwirkend Rekurs eingereicht werden könnte gegen alle Minenlizenzen, die seit 1997 erteilt wurden?

R.Y.: Theoretisch ja. Wobei das in Guatemala so eine Sache ist mit den Rekursen. Sie haben einen eher schlechten Ruf, denn sie werden vornehmlich von den Anwälten der VGMilitärsNF benutzt, um diese vor Menschenrechtsklagen zu schützen und die Prozesse hinauszuzögern. Aber eigentlich liegt ein grosses Potential in diesem Rechtsmittel, vor allem auch um Kollektivrechte einzufordern.

Frage: Die Regierung erklärte die Resultate von fünf Volksbefragungen in Huehuetenango als ungültig, weil die Bevölkerung nicht termingerecht reagiert hatte, nachdem die Lizenz erteilt wurde …

R.Y.: Die Frage ist doch, ob die Regierung die Bevölkerung befragt hat, bevor die Lizenz erteilt wurde. Wenn nicht, hat sie die ILO-Konvention 169 verletzt, und die Betroffenen können einen Einspruch einreichen.

Die ILO-Konvention ist ein international verbindliches Regelwerk, das in Guatemala über der VGVerfassungNF steht. Es gilt für sie auch das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, das Guatemala ebenfalls unterzeichnet hat. In Artikel 27 dieser Übereinkunft heisst es, dass kein Staat sich auf seine Verfassung berufen darf, um ein internationales Abkommen nicht einhalten zu müssen.

Frage: Es wird immer wieder darüber diskutiert und gestritten, welches die richtigen Mechanismen sind, um eine Volksbefragung durchzuführen. Gibt es hier allgemeingültige Kriterien?

R.Y.: Es soll der Bevölkerung überlassen sein zu entscheiden, wie sie eine Befragung durchführen will. Jede Gemeinde hat da ihre eigenen internen und erprobten Mechanismen, um Diskussionen zu führen und einen Konsens zu finden. Ein anderer Streitpunkt ist, wer die Berechtigung hat, eine Befragung einzuberufen. Auch hier ist es nicht an der Regierung oder am Minenunternehmen zu entscheiden, wer die repräsentative Institution einer Gemeinde ist. Es kann irgendeine von der Gemeinde akzeptierte Autorität sein, die eine consulta einberuft und durchführt.

Frage: Irgendwie hat man das Gefühl, dass sich die guatemaltekische Regierung sehr schwer tut mit diesen Volksbefragungen.

R.Y.: Guatemala kommt nicht darum herum, sich auf irgendeine Weise mit der Frage der Lizenzen und der Mitsprache der betroffenen Bevölkerung zu beschäftigen.

Man sollte aufhören, die Konsultationen als etwas Negatives zu verurteilen. Sie tragen nicht zu zusätzlichen sozialen Konflikten bei wie das immer behauptet wird, sondern sind im Gegenteil ein Mittel, um solche in den Griff zu bekommen oder zu verhindern. Es muss bloss eine adäquate Form gefunden werden, sie durchzuführen. Dann würden viele der Befragungen auch nicht in einem dermassen vehementen NEIN enden, sondern vielmehr mit einem JA, ABER … unter diesen und jenen Bedingungen, die der indigenen Bevölkerung ein würdevolles Leben und eine würdevolle Entwicklung erlaubt.


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