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Von Opfern sexueller Gewalt zu Akteurinnen der Veränderung

Fijáte 335 vom 25. Mai 2005, Artikel 1, Seite 1

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Von Opfern sexueller Gewalt zu Akteurinnen der Veränderung

Die andere Schwierigkeit ist, das Thema überhaupt zu lancieren. Hier in Guatemala wird ein Prozess gegen Vergewaltiger während des bewaffneten Konflikts wohl ein Ding der Unmöglichkeit sein. Wenn schon, müssten wir an den VGInteramerikanischen MenschenrechtsgerichtshofNF gelangen. Frage: Oft waren dies ja Massenvergewaltigungen. Kennen denn die Frauen ihre Vergewaltiger überhaupt? Y. A.: Zum Teil schon, und zwar sehr gut. In einigen Fällen war es der Nachbar, der Zivilpatrouillist war und heute wieder der Nachbar ist. Das macht es für die Frauen natürlich sehr schwierig, eine Anklage zu erheben. Das andere Problem ist, dass viele Frauen ihren Ehemännern verschwiegen haben, dass sie vergewaltigt wurden. Dies jetzt, nach so vielen Jahren öffentlich zu sagen, würde neben allem anderen auch die Beziehung zu ihren Männern unter Umständen stark verändern. Der Vorteil des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs gegenüber der nationalen Justiz ist, dass er auch Kollektivklagen akzeptiert. Zwar muss jede Frau ihre persönliche Zeuginnenaussage machen, aber verurteilt werden am Schluss nicht einzelne Personen, sondern der guatemaltekische Staat als oberste Instanz. Die einzelnen Täter bleiben im Schutz der Straflosigkeit anonym. Als politisches Ziel ist uns dennoch mehr an einer Verurteilung des Staates gelegen, während für den Heilungsprozess der Frauen unter Umständen die individuelle Verurteilung ihrer Vergewaltiger wichtiger ist. Aber, wie gesagt, bis zu möglichen Prozessen wird es noch eine Weile dauern. Frage: Ist die Kategorie ,,Opfer sexueller Gewalt" ein Kriterium, um vom Nationalen Entschädigungsprogramm (VGPNRNF) berücksichtigt zu werden? Y. A.: Ja, wir sind drin im PNR. Wobei es uns nicht so sehr um eine materielle Entschädigung geht, sondern vielmehr darum, dass Thema überhaupt einzubringen. Zu Beginn hatten wir grosse Bedenken, weil ja VGRosalina TuyucNF die Koordinatorin des PNR ist und aus der Witwenorganisation VGCONAVIGUANF kommt. Und ausgerechnet CONAVIGUA hat abgewinkt, als wir sie um eine Zusammenarbeit anfragten, mit der Begrün-

dung, sie wollten sich nicht auf das Thema indigene Frau und Sexualität einlassen. Innerhalb des PNR haben wir eine Art Beraterinnenrolle eingenommen und damit erreicht, dass das Thema sexuelle Gewalt gegen Frauen während des bewaffneten Konflikts nicht irgendwo als Anhängsel herumschwirrt, sondern dass es als ein Querschnittsthema in allen Bereiche aufgenommen wurde. Frage: Wie tretet ihr in Kontakt mit eurer Zielgruppe, den Frauen, die während des Kriegs vergewaltigt wurden? Y. A.: Einerseits haben wir die Daten aus dem REMHI und der CEH. Zum anderen haben wir über die UNAMG und die ECAP Zugang zu den Frauen, mit denen diese beiden Organisationen arbeiten. Oft nehmen wir zuerst Kontakt auf mit lideresas, also mit Frauen, die in ihren Gemeinden oder Dörfern eine gewisse Autorität besitzen. Sie leiten uns dann an die Frauen weiter. Und es ist erstaunlich, ohne dass gross darüber gesprochen würde, wissen die Frauen sehr wohl, wer alles (noch) während des Krieges vergewaltigt wurde. Und so kommen wir von der einen zur anderen. Im Moment sind wir daran, die Selbsthilfegruppen zu gründen und sogenannte Multiplikatorinnen auszubilden, welche die Selbsthilfegruppen anleiten. Vorläufig schauen wir auch, dass an den Treffen auch eine Psychologin teilnimmt. Die Treffen sind jeweils recht kurz, eineinhalb oder zwei Stunden. Einerseits,

um sanft an das Thema heranzugehen und andererseits, weil sich die Frauen so lange relativ problemlos von ihren Familien freimachen können, ohne viel erklären zu müssen. Du musst bedenken, wir bieten nichts an im Gegenzug zur Teilnahme an den Selbsthilfegruppen. Die Frauen kommen aus eigenem Antrieb und nicht, weil wir ihnen Baumaterialien oder Kochkurse anbieten. Frage: Du bist selber Ladina, die meisten der Frauen, mit denen ihr arbeitet sind Indígenas. Wie ist die Zusammenarbeit, wirst du als Ladina und Städterin akzeptiert? Reicht das gemeinsame Schicksal, Opfer gewesen zu sein, um ein Vertrauen oder eine gemeinsame Identität aufzubauen? Y. A.: Zuerst dachte ich das, doch es ist nicht so. Zwar teilen wir dieses Schicksal, aber ich, wohl nicht zuletzt, weil ich Städterin und Ladina bin, bin ich anders damit umgegangen als es in den Möglichkeiten vieler Indígenas liegt. Wir haben in unserem Team eine Frau indigener Herkunft. Und bereits mit ihr mussten und müssen wir immer wieder Konzepte und Ansichtsweisen diskutieren und aushandeln. Das ist nicht immer einfach, sie hat uns auch schon VGRassismusNF und Pater- bzw. Maternalismus vorgeworfen, aber ich denke, wir müssen uns dieser Diskussion stellen, denn wenn wir es nicht schaffen, innerhalb der Gruppe eine Kohärenz herzustellen,

müssen wir gar nicht erst damit beginnen, gegen aussen zu arbeiten. Frage: Und wie steht es um die Idee eines Tribunals, die ursprünglich dem Projekt voranging? Y. A.: An dieser Idee arbeiten wir nach wie vor. Es soll ein Tribunal auf lateinamerikanischer Ebene sein, an dem auch Frauen aus VGPeruNF, VGKolumbienNF, VGEl SalvadorNF und VGMexikoNF teilnehmen, die mit sexueller Gewalt in Kriegskontexten konfrontiert waren oder sind. Ich hoffe, dass ein solches Tribunal im Jahr 2007 oder 2008 Realität sein wird. Herzlichen Dank für das Gespräch!


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