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Guatemala, 10 Jahre danach... Den Staat neu gründen

Fijáte 370 vom 18. Oktober 2006, Artikel 1, Seite 1

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Guatemala, 10 Jahre danach... Den Staat neu gründen

Frage: Im Jahr 2005 wurde endlich das Rahmengesetz unterzeichnet, das die Friedensabkommen zu einer Staatsangelegenheit machte und den Nationalen Rat für die Umsetzung der Friedensabkommen (VGCNAP) ins Leben rief. Gibt dies den Friedensabkommen neuen Impuls?

C.G.: Ich denke, das war eine rein formale Angelegenheit, einer dieser quantitativen Schachzüge, der problemlos gemacht werden konnte, weil die URNG kein Gegenüber ist, das in der Lage wäre, für den Aufbau eines wirklichen Friedens zu kämpfen. Über die Abkommen zu sprechen ist eine Routineangelegenheit geworden, man bezieht sich auf sie, wenn es nötig ist: Die einen ein bisschen häufiger, die anderen etwas weniger. Die Abkommen sind zu einem Teil der Geschichte geworden, aber ohne dass man sich ihnen wirklich verpflichtet fühlte.

Frage: Diese zehn Jahre der Nicht-Umsetzung haben zu Enttäuschungen geführt, vor allem wenn wir die damaligen Hoffnungen mit dem real Erreichten vergleichen. Drei Regierungen zogen seit der Unterzeichnung der Friedensabkommen durchs Land, nächstes Jahr wird eine neue gewählt, die voraussichtlich auch keine Antworten auf die sozialen Probleme Guatemalas hat. Sind die Friedensabkommen tatsächlich noch wichtig auf der nationalen Agenda und bilden sie ein nützliches Instrument, um soziale Veränderungen zu erreichen?

C.G.: Davon bin ich absolut überzeugt. Wichtig ist dabei aber, dass man bei der Anwendung und Umsetzung dieser Abkommen auch die Entwicklungen mit einbezieht, die sich seit 1996 ergeben haben, zum Beispiel das Problem der VGKorruptionNF. Ich will damit nicht sagen, dass es vor 1996 keine Korruption gegeben hätte, aber seither ist sie angewachsen. Andere Themen sind das VGorganisierte VerbrechenNF, der VGDrogenhandelNF, die Alltagsgewalt, die parallelen Strukturen, welche die Institutionen schwächen und den Staat unterwandern.

Jetzt geht es darum, eine nationale und soziale Plattform zu erarbeiten, die die Veränderungen seit 1996 mit einbezieht. Die Friedensabkommen sind dafür eine Basis, aber der ganze Prozess muss als etwas Integrales und Eigenständiges angesehen werden. Es geht darum, die Republik neu zu gründen, den Staat neu zu gründen, das Land und die guatemaltekische Nation neu zu gründen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Guatemala eine multiethnische, mehrsprachige und kulturell vielfältige Nation ist.

Frage: Diese Neugründung bedeutet eine tief greifende VGVerfassungsreformNF. Ginge das nicht viel weiter als die Friedensabkommen?

C.G.: Das wäre eigentlich in den Friedensabkommen alles vorhanden, sie sehen Verfassungsänderungen vor, die einfach nie durchgesetzt wurden, weil sich die Regierung und die politischen Parteien dagegen gestellt haben. Klar geht es nicht darum, die Abkommen so wie sie damals unterzeichnet wurden, wortwörtlich umzusetzen, sondern die Probleme und Widersprüche, die in den vergangenen zehn Jahren aufgetaucht sind, müssen bei einer heutigen Umsetzung der Abkommen selbstverständlich berücksichtigt werden.

Der Staat steht heute kurz vor dem Kollaps. Seine Institutionen sind weder handlungsfähig noch effizient. Der Staat muss von Grund auf neu aufgebaut werden und es muss ein neuer institutioneller Rahmen geschaffen werden. Geschieht dies nicht, sehe ich durchaus die Gefahr, dass es zu einem sozialen Aufstand kommt.

Frage: Mit welcher Strategie muss heute an den Friedensaufbau herangegangen werden?

C.G.: Organisation, Bewusstseinsarbeit, Mobilisierung und Kampf, das sind die wichtigsten Komponenten einer solchen Strategie. Die sozialen Sektoren, die BäuerInnen, die VGGewerkschaftenNF, die indigenen Völker müssen sich die Friedensabkommen zu eigen machen und sie in eine Plattform umwandeln, die als Grundlage für soziale nationale Veränderungen dienen kann.

Es braucht neue Akteure, neue Köpfe, neue Ideen und vor allem eine breitere Unterstützung für Visionen, die über den Konsumrausch und die VGFreihandelsabkommenNF hinausgehen. Es müssen Konzepte entwickelt werden, um die Probleme anzugehen, die in den Strukturen Guatemalas verankert sind.

Es gibt legitime und wertvolle Alternativen, die versuchen, an den Fundamenten der Ausbeutung, der Unterdrückung, der VGDiskriminierungNF, des Ausschlusses, der Privilegien, der Korruption und des Wahlverhaltens, mit dem in diesem Land alle vier Jahre nichts verändert wird, rütteln.

Da ist es, wo wir ansetzen müssen.


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