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¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Das heilige Opfer

Fijáte 407 vom 09. April 2008, Artikel 7, Seite 6

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¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Das heilige Opfer

Man könnte dieses einzigartige Vermögen der heiligen Opfer, die unterschiedlichsten Leute anzusprechen, als wundersam bezeichnen: Niemand sonst kann das. Im Gegensatz dazu sticht die geringe soziale Wirkung dieser Anlässe ins Auge. Wie ist es möglich, dass sie auf derart grosse Akzeptanz stossen und trotzdem so wenig dazu beitragen, die sozialen Zustände, die die Mehrheit quälen, zu ändern? Warum nehmen sich die heiligen Opfer nicht den unzähligen Opfern unserer Geschichte und tagtäglichen Gegenwart an? Welche Erklärung gibt es für dieses Phänomen?

Die üblichste und von den Kirchen offiziell vertretene Antwort lautet, dass das Drama von Golgatha das Drama der Sünde als Beleidigung Gottes ist. Jesus wurde für unsere Sünden geopfert, ähnlich, wie die vielen Lämmer im Tempel Jerusalems während des Pessach-Festes geopfert wurden. Dem liegt die Vorstellung Jahwes als des grausamen Gottes des Alten Testaments zugrunde, die auch in anderen Religionen vorkommt: Der Zorn Gottes über die Sünden der Menschheit wird mit möglichst heiligen Opfern besänftigt.

Diese Interpretation stützt sich auf eine biblische Tradition, die den Schwerpunkt auf Kulthandlungen setzt: Das menschliche Leben wird als Gottesdienst verstanden, und die Sünde muss durch Opfer, darunter der Tod, wieder gutgemacht werden.

Dem steht eine andere Tradition gegenüber, der Jesus sich zugehörig gefühlt hat: die Tradition der Propheten. Hier ist die Gerechtigkeit der wahre Gottesdienst, wer Unrecht begeht, beleidigt Gott, der in den Opfern gegenwärtig ist. Die Propheten wurden von den Mächtigen verfolgt, z.T. bis zu ihrem Tod. So erging es auch Jesus. In der Tradition der Propheten ist die Auferstehung nicht so sehr eine philosophische Frage über das Jenseits, sondern vielmehr das wunderbare Eingreifen Gottes zugunsten der umgebrachten Unschuldigen, ein Akt der Gerechtigkeit, der die Vorhersagen der Herrschenden vereitelt. Die prophetische Tradition enthält einen klaren soziopolitischen Bezugspunkt.

Auf die zuvor gestellte Frage gibt es verschiedene Antworten. Die am weitesten verbreitete ist, dass in unseren Gesellschaften, die auf Herrschaft und Beherrschung basieren, die Figur eines Gottes/Patriarchen dazu dient, das gesamte soziale System zu legitimieren. Dieser Gott rechtfertigt die Herrschaft der einen über die anderen und führt die Schuld als Abweichung des Protestes und des Widerstandes ein.

In diesen Gesellschaften wird das Opfer Jesus sakralisiert und des soziopolitischen Charakters beraubt, der seinem Menschsein innewohnte. Damit verweist er nicht länger auf irgendeine soziopolitische Bedingung. Im Gegenteil: Der gerechte Zorn der Leute über die Gewalt wird sublimiert und durch die Sünden in Schuld verwandelt - eine Schuld so unendlich wie Gott selbst, da sie gegen Gott gerichtet ist, und die den Tod Jesu notwendig werden liess für die Vergebung. So wird der Zorn der Opfer auf den Unterdrücker gegen sie selbst gewendet, aus Zornigen werden Schuldige.

Dies ist der vorherrschende religiöse Diskurs in der Karwoche, der es ermöglicht, dass diese Feste derart viele Leute aus den unterschiedlichsten sozialen Verhältnissen zusammenbringen; der keinen Raum lässt, in dem wir zusammen mit den heiligen Opfern auch die Opfer unserer Geschichte verehren könnten; der es zulässt, dass alles weitergeht, wie bisher: Dass die Herrschenden weiterhin herrschen und die Beherrschten sich mit ihren "Sünden" auseinandersetzen, anstatt das System zu hinterfragen.

Vielen Dank an Yvonne Joos für die Übersetzung!


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