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Land, Gender und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in Guatemala

Fijáte 320 vom 20. Okt. 2004, Artikel 1, Seite 1

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Land, Gender und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in Guatemala

reits seit 20, 25 Jahren dort tätig waren und noch nie irgendeine Dienstleistung noch Erstattung für ihre Arbeit erhalten hatten. Es gab sogar Fälle, in denen die Arbeitenden seit einem Jahr keinen Lohn bekommen hatten. Sie schlugen vor, ihnen die Ländereien als Teil ihrer Gehälter zu überlassen. An anderen Orten gab es Fincas, auf denen einige Felder nicht genutzt wurden. Und die, die eher ausserhalb lagen, wurden von den BäuerInnen besetzt, um sie für den Eigengebrauch zu bepflanzen. Es gibt also eine gewisse Kraft der CONIC, es gibt eine Kraft der BäuerInnenvereinigung VGCNOCNF, es gibt eine Kraft der Organisationen von indigenen Bäuerinnen, die versuchen, den Landbesitz als Thema auf den Diskussionstisch des Staates zu bringen. Dennoch gibt die Regierung keine Antwort darauf. Diese vertritt derzeit den Standpunkt: ,,Den einzigen Ausweg, den wir haben, sind der Landfond VGFONTIERRANF und VGCONTIERRANF, die Kommission, die versucht, die VGLandkonflikteNF zu lösen. Die einzige Option, die FONTIERRA den BäuerInnen bislang bot, war, dass diese Land kaufen konnten. Land in schlechtem Zustand, Felder, auf denen VGBaumwolleNF oder VGKaffeeNF angepflanzt worden war. Die VGKaffeekriseNF hat ihrerzeit dazu beigetragen, die prekäre Situation der BäuerInnen zu verschärfen. Der Kaffeepreis begann zu fallen. Sie alle wissen, dass die zentralamerikanischen Länder Kaffee- und VGBananenländerNF sind. Seit Jahrhunderten blieb uns nichts anderes übrig, als diese Früchte anzupflanzen. Als der Kaffeepreis auf dem internationalen Markt fiel, konnte Guatemala nicht überleben. 5% des Bruttoinlandprodukts bestanden aus Einnahmen der VGKaffeeproduktionNF und die sind verloren. Vietnam ist in den internationalen Kaffeemarkt eingestiegen. Ich beschuldige Vietnam nicht. Wir haben es einfach mit den Strategien des riesigen Weltmarktes, der Preise und Produkte zu tun. Wenn schon in Guatemala ein äusserst niedriger Kaffeepreis im Gegenzug von Sklavenarbeit und dem Nichtzahlen von Löhnen erreicht wurde, wie muss man sich erst die Arbeit in Vietnam vorstellen? Ich denke, dass die Arbeitssituation dort noch schwieriger sein muss, um auf dem Weltmarkt ein noch günstigeres Produkt anbieten zu können. In Guatemala haben diese Umstände zu einer realen Ernährungskrise geführt. Ende 2002 gab es allein im Departement San Marcos 120'000 Familien, die an Hunger litten. In diesem Departement lagen die meisten Kaffeefincas und die meisten Fincas, die geschlossen wurden. Diese 120'000 Familien erhielten keinerlei Hilfe von der Regierung. Es waren die Landpastorale und andere Organisationen, die versuchten, die prekäre Situation zu lindern. Und diese Unterstützung hält immer noch an. Im Jahre 2002 gingen 66'000 Arbeitsplätze verloren. Im folgenden Jahr waren es schon 176'000, also rund 100'000 mehr. Ähnlich problematisch sah es mit den Gehältern aus. Der offizielle Lohn betrug 28 Quetzales täglich, also etwa US-$ 3,50. Aber der reale Lohn auf den Fincas betrug zwischen US-$ 1,80 und 2,20 für eine sechsköpfige Familie. Das war unmöglich, dass eine Familie damit leben konnte. Ebenso war es unmöglich, von den Leuten zu fordern, die Fincas nicht zu besetzen. Das war eine Alternative, ein Ausweg. Zum Schluss möchte ich nun die drei Fallstudien vorstellen, die ich begleitet habe. Die erste Studie wurde in El Paraíso erhoben. Dieser Ort liegt in San Marcos und ist Teil der Marquensischen Dachorganisation Madre Tierra. Das ist ein interessanter Fall. Hier leben BäuerInnen, die seit Generationen organisiert sind. Sie haben wirklich auf die Unterzeichnung der VGFriedensverträgeNF gewartet und haben sich viel von dem sozioökonomischen Abkommen versprochen. Als diese Vereinbarung firmiert war, sagten sie: ,,Jetzt ist der Moment gekommen, in dem wir auf legale Weise Land bekommen können und nicht mehr auf gewalttätigem Wege." Zuallererst schafften sie es, die Marquensische Dachorganisation zu gründen, denn sie suchten eine Art Schirm, eine departamentale Koordinationsstelle, die ihnen als Dach diene. Nachdem diese formiert war, gingen sie in ihre Gemeinden und begannen, jede einzelne von diesen zu organisieren. Die Leute aus El Paraíso, ein Ortsteil der Departementshauptstadt von San Marcos, handelten einen Kredit bei FONTIERRA über die 7 Mio. aus, die die Finca kostete. Doch interessanterweise liessen sie es nicht zu, dass der Landfond bestimmte, welche Finca sie bekommen sollten. Sie holten drei, vier bis zu fünf Angebote ein, und als sie sich für eine Finca entschieden hatten, die ihres Erachtens die beste der Verfügbaren auf dem Markt war, liessen sie sich auf die Verhandlung ein. Und sie haben eine gute Finca gekauft. Sie kauften eine Finca in Catarina San Marcos, zwanzig Minuten von der Grenze zwischen Guatemala und Mexiko entfernt. Seitdem sind sie vereint. Sie haben eine sehr interessante interne Organisation mit sechzehn eigenen Kommissionen. Und sie haben ein sehr dynamisches Team von Frauen. Zu Beginn kamen unterstützende Organisationen, die den Frauen vorschlugen, Hühner zu züchten. Daraufhin meinten die Frauen: ,,Einverstanden, wir werden Hühner züchten, aber bloss für sechs Monate. Denn die Hühner bringen uns keinen Gewinn, das ist nicht rentabel. Wir wollen einen viel grösseren Kredit, der es uns ermöglicht, Vieh zu kaufen. Denn die Kühe werden sich

rentieren." Sie schafften es also, sich nicht einfach in diese Gender- und Geschlechterrollen-Schemata einordnen zu lassen und das zu machen, was am wenigsten kostet. Und es geht diesen Frauen ziemlich gut. Sie produzieren am Tag mehr als 100 Liter Milch, die sie kollektiv vermarkten. Das Dorf hatte keine Brükke über einen der Flüsse, der auf dem Weg zur Finca liegt. Also konstruierten sie selbst diese Brücke. Sie hatten beim Staat diesbezüglich angefragt, doch dieser hatte ihnen nicht geholfen. 55´000 Quetzales (ca. US-$ 6´875,-, die Red.) hat sie diese Brücke gekostet. Und sie haben es geschafft, sie zu bauen. Das ist eines der besten Beispiele. Aber es ist auch eine Falle, denn es scheint so, dass der Markt es doch erlaubt, dass die BäuerInnen einfach eine Finca kaufen und aus der Armut herauskommen können. Auf der einen Seite stimmt das. Auf der anderen Seite ist dieser Erfolg sehr stark auf die interne Organisation dieser Gemeinde zurückzuführen. Es sind 120 Mam-Familien und 40 Familien aus anderen Regionen Guatemalas, die sich ihnen angeschlossen haben. Sie haben es geschafft, sich intern zusammenzutun und voranzukommen. Der zweite Fall ist der der Finca Tlán in Retalhuleu. Auf dieser Finca wurde zu erreichen versucht, dass 85 Familien ihre Arbeitsrechte ausgezahlt würden. Es lag nicht an dem Arbeitgeber, der ihnen bereits die Finca als Zahlung ihrer Lohnzusatzleistungen angeboten hatte. Doch als dieser starb, wurde ihnen die Finca dennoch nicht überlassen. Stattdessen begannen die Familien einen Gerichtsprozess, um sie zu erwerben. Das zog sich über fünf Jahre. Schliesslich wurde ihnen die Finca zugesprochen, doch der Staat intervenierte und behauptete: ,,Wenn ihr die Finca haben wollt, müsst ihr sie kaufen. Da führt kein Weg dran vorbei. Wir können euch eure Lohnzusatzleistungen für diese Finca nicht gewähren. Das geht nicht!" Und sie akzeptieren es, die Finca zu kaufen, eine ausgelaugte Finca in schlechtem Zustand. Doch sie sind dort und kämpfen. Sie versuchen weiterzukommen und pflanzen Sesam und Mais an. Mais, um die Ernährung zu sichern und den Sesam zur Vermarktung. Und die Frauen sind ebenfalls organisiert und züchten in kleinem Umfang Tiere. Wenn die Klimaepochen günstig und die Ernten gut sind, kommen sie voran, wenn das Wetter schlecht ist, verlieren sie alles. Sie sind also sehr vom Verlauf des Jahres abhängig, vom Klima, den Ernten, den Preisen. Sie hatten kleinere interne Organisationsprobleme, aber es geht ihnen nicht so schlecht. Sie haben Schritt für Schritt die Schulden bezahlt. Der letzte Fall ist der in Nueva Castela, vielleicht ist es international der bekannteste, denn die Mam-Frauen ha-

ben sich dem VGMilitärNF auf der Plaza Central in der Hauptstadt entgegengestellt, sie wurden geschlagen, beschimpft, verletzt. Sie forderten die Rückerstattung einer Finca von 1910, die ihnen der damalige Präsident von Guatemala übereignet hatte. Doch danach wurde sie ihnen nicht überlassen. Also forderten die Frauen die Übergabe dieser Finca. Und der Staat sagte auch in diesem Fall: ,,Der einzige Weg besteht darin, dass ihr die Finca kauft. Wir können sie euch nicht einfach so geben." Und sie akzeptieren den Kauf, aber nicht den der Finca, die ihnen 1910 vom Präsidenten zugesprochen worden war, sondern sie kauften eine, die im allerschlechtesten Zustand ist. Hier war Baumwolle angepflanzt worden. Dieser Landerwerb hatte zur Folge, dass sich die Organisation gespalten hat. Gespalten in Bezug auf die Frage ob der Form der Legalität der Finca. 60% der BäuerInnen hatten sich entschieden, dass sie Individualtitel haben wollten. 40% dagegen wollten kollektive Besitztitel. Dies brachte die Gemeinde gegeneinander auf. Dann kam auch noch der Hurrikan ,,VGMitchNF" und zerstört all ihre Ernten. Sie verlieren alles und können noch nicht einmal die wenigen ausstehenden Kredite zurückzahlen. Ein Viertel der Gemeinde emigrierte in die VGVereinigten StaatenNF als eine Form, die Krise zu meistern. Die übrigen sind zurückgeblieben und kämpften weiter. Als sie die Individualtitel erhielten, verkauften die, die es konnten ihren Anteil, und verliessen den Ort, denn sie konnten die Felder nicht erhalten, die nährstoffarm und unfruchtbar sind. Zusätzlich bestanden die internen Problemen in der Gemeinde weiter fort. Diejenigen BäuerInnen mit kollektivem Landtitel blieben und führen den Kampf fort in einer Gemeinde ohne die minimalen Dienstleistungen. Das ist der schlimmste Fall trotz aller politischen Kämpfe, die ausgetragen worden sind. Wir sehen an diesen drei Fällen, dass der einzige Weg zum Landbesitz für die BäuerInnenorganisationen in Lateinamerika über den Markt läuft. Egal, um was für einen spezifischen Fall es sich jeweils handelt. Zwei der Fälle entsprachen nicht den Bedingungen des Marktes. In El Paraíso schon, die beiden

anderen aber nicht. Es gibt also eine Reihe interner Probleme in Guatemala. Solange die Besonderheiten der einzelnen Fälle nicht analysiert werden, wird die Stabilität des Landes nur schwer zu erreichen sein. Ich glaube, wir sind mit einem grossen Problem konfrontiert. Während ich mit den ländlichen Gemeinden gearbeitet habe, habe ich sie gefragt, was sie von der VGAgrarreformNF halten. Die Mehrheit sieht die Sache folgendermassen: Die Agrarreform ist notwendig, aber sie wird das Problem nicht lösen. Die BäuerInnen sehen die Agrarreform als Teil einer viel umfassenderen ländlichen Entwicklung. Ich glaube also, dass hier eine Möglichkeit des Engagements besteht. Eine Möglichkeit der Begleitung, der Analyse und der Schaffung einer Perspektive für die ländlichen Gebiete. Eine Agrarreform allein wird nicht funktionieren. Doch als Teil einer ländlichen Entwicklung, die die Aspekte Gender, Ethnie, Klasse und auch die Rolle des Staates umfasst, könnte eine Alternative sein. Vielen Dank."


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