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"Eine auferzwungene Furcht, die mich verfolgt"

Fijáte 199 vom 1. Dezember 1999, Artikel 1, Seite 1

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"Eine auferzwungene Furcht, die mich verfolgt"

Damals hatte der Krieg schon einen Großteil des Landes erfaßt. Die Strecke zwischen Momostenango und der Hauptstadt war schrecklich. Wie in einem Alptraum waren alle Fahrgäste einander unbekannt. Niemand redete während der Fahrt. Man wußte nicht, wer neben einem saß, und selbst wenn man es wußte, schwieg man aus Vorsicht. Schweigen bedeutete eine Minute länger zu leben.

Neben der Straße spielten sich entsetzliche Szenen ab. Einmal sahen wir in einem Straßengraben zwanzig Leichen, nackt, mit tiefen Wunden, die von Machetehieben stammten. Ein andermal tauchte ein Hund aus einer Senke auf, in der Schnauze den Arm eines Menschen.

Oft konnte ich nachts nicht schlafen. Tagsüber fühlte ich mich manchmal sicherer, wenn der Himmel bedeckt war, denn ich fürchtete mich vor dem eigenen Schatten. Dabei stimmt es nicht, daß mir Angst zuvor unbekannt war. Ich wußte um sie, im kulturellen Sinn. In unserer Kultur gibt es das Gespenst. Dieses Etwas, von dem wir wissen, daß es da ist, unsichtbar, mit einem lebt. Dessen Gegenwart uns einen Schauer über den Rücken jagt oder uns, mittels seiner energetischen Kräfte, Herzklopfen verursacht. Doch angesichts des realen Terrors, den wir erlebten, erbleichten unsere Gespenster.

Der Krieg hinterließ Narben in den Gesichtern der Überlebenden in der Provinz. Ihr Lächeln wurde gemordet. Sie altern, weil sie den Dolch des Schmerzes im Herzen tragen. Die andern, viele, leben nur noch in unserer Erinnerung.

Da war der Gedanke, weit weg zu gehen, aber wohin? Viele brachen auf, schafften es, über die Grenze in das Nachbarland zu entkommen, nach VGMexikoNF. Wir anderen konnten das nicht, wir beschlossen, uns unter den Leuten zu verstecken. So kam es, daß ich in die Stadt zurückkehrte und Arbeiter wurde. Ich begann in Fabriken zu arbeiten. Die Behandlung dort unterscheidet sich kaum von der, die die Landarbeiter in den Latifundien an der Küste erfahren: Unrecht und Ausbeutung.

Überall spürte man die Gegenwart von Terror und Haß. Der Krieg dauerte. Es war 1980.

In all dieser Zeit waren die Bücher meine Freunde. Ich begriff, daß Lesen ein Akt der Demut ist. Wer ein Buch liest, ist nach der Lektüre verwandelt.

Es war damals schwer zu leben. Mein Gesicht wurde rauh vom Salz der Tränen.

Ich fing an, Gedichte zu schreiben, in denen ich das Bedürfnis spürte, in meine Kindheit zurückzufinden. Sie wiederzugewinnen, besser gesagt: ich versuche in jedem Text, diese Kindheit zu gewinnen, die mir versagt geblieben war. Ich versuche auch, jenes Dorf wiederzugewinnen, das ich vom einen Ende zum andern ablief, um Botendienste zu erledigen, oder aus reiner Lust am Gehen, unter der Sonne oder im Regen. Ich versuche auch, die Jahre meiner Jugend wiederzubekommen, die in der Arbeit verwelkt sind.

Manchmal werde ich gefragt: Wie fühlt sich ein Mensch, der nicht Kind war? Hungrig, antworte ich. Deshalb liebe ich meine Erinnerungen. So ist die Armut, sie zwingt einen, sich schon als Kind erwachsen zu fühlen, und man versteht den Unterschied erst, wenn die Kräfte einen vor Sonnenuntergang verlassen.

Ich schreibe in erster Person, denn ich bin niemand, um namens der anderen zu sprechen. Und ich bin tief bewegt, wenn meine eigenen Leute zu mir kommen, um mir zu sagen, daß sie sich in meinem bescheidenen Schaffen aufgehoben fühlen.

Die Ablehnung und VGDiskriminierungNF, die ich von einigen Intellektuellen meines Landes erfahren habe, hat mich nicht entmutigt, ich habe sie als Ansporn genommen.

Mir ist klar, daß meine Dichtung weder in der guatemaltekischen Literatur noch in der Welt eine Revolution darstellt. Aber ich bin auch kein Pilz, der von einem Tag auf den andern aus der Erde sprießt. Ich spreche und schreibe ohne Groll und ohne Bitterkeit. Was ich mache, mach ich mit dem Herzen.

Auf Deutsch sind von Humberto Ak'abal zwei Gedichtbände erschienen:

"Trommel aus Stein" (übersetzt von Erich Hakl, Unionsverlag 1998)

"Blätter und Mond" (übersetzt von Juana und Tobias Burghardt, Edition 350 im Verlag der VGKooperativeNF Dürnau, ebenfalls 1998)


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