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Wachsendes Genderbewusstsein unter Männern: Modeerscheinung oder echte Veränderung?

Fijáte 273 vom 27. Nov. 2002, Artikel 1, Seite 1

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Wachsendes Genderbewusstsein unter Männern: Modeerscheinung oder echte Veränderung?

Durch meine Arbeit mit Männer- und gemischten Gruppen versuche ich, Menschen einem Konzept zu verpflichten, das Genderarbeit genauso mit Männerentwicklung als auch mit Frauenentwicklung verbindet. Um Sexismus zu bekämpfen, braucht es Männer wie Frauen. Bis dies auch guatemaltekische Männer realisieren und verinnerlichen, werden sie weiter handeln, denken, Macht ausüben und Geschlechterrollen zuweisen wie seit jeher, auch wenn sie neuerdings auf den Sprachgebrauch achten.

Widerstand gegen Veränderung

Trotz ersten Schritten in Richtung sozialer Umgestaltung, fordert die neuerliche Verlagerung des guatemaltekischen Männerdiskurses keine fundamentale Veränderung des patriarchalen Models. Sogar diejenigen Guatemalteken, die für die Partizipation von Frauen einstehen, haben Mühe mit den autonomen Frauenorganisationen. Sie bevorzugen traditionelle Modelle, in denen weibliche Partizipation abhängig ist von der Erlaubnis, Bevormundung und Kontrolle von Männern.

Wenn guatemaltekische Frauen sich organisieren, um Geschlechterrollen zu diskutieren und zu verändern, grummeln sie etwa: "Frauen wollen jetzt alles alleine entscheiden". "Diese Frauen sind einfach gegen Männer". "Frauen drehen die Tortilla um (stellen alles auf den Kopf) und wollen Männer unterdrücken".

Die patriarchale Gesellschaft, die uns formt (und verformt) stellt ideologische Mechanismen zur Verfügung, die es den Guatemalteken leicht machen, sich der Herausforderung zu verweigern. Kulturelle Muster sind derart verwurzelt, dass es offenbar schwierig ist, die eigene Verantwortung für das Fortbestehen von Sexismus wahrzunehmen. Oft machen Männer die Frauen dafür verantwortlich, indem sie ermüdende Rechtfertigungen heranziehen: "Meine Mutter/Tante/Grossmutter hat mich gelehrt, ein Sexist zu sein". "Es ist ihre eigene Schuld, dass sie vergewaltigt wurde."

Über die Jahre ist mir aufgefallen, dass sich der Widerstand guatemaltekischer Männer gegen Gleichstellung nach sozialen Schichten und Schulbildung unterscheidet. Ärmere Männer mit wenig Schulbildung sind anfänglich oft resistent gegen Geschlechterthemen. Dennoch öffnen sie sich recht schnell für neue Ideen und Analysen, da sie einsehen, dass die Unterdrückung der Frauen ihrer eigenen Unterdrückung als Mitglieder der unteren Schicht gleicht.

Mit steigender Schulbildung wächst die Möglichkeit, Macht über andere auszuüben. Daraus folgt, dass Männer mit höherem Bildungsniveau sich leidenschaftlicher für ihren privilegierten Status einsetzen und sich jedem Wandel verweigern. Anderseits wollen sie aber auf dem Weg zur Gleichberechtigung auch nicht rückständig oder unkultiviert wirken. Somit leisten gebildete Männer oft Lippenbekenntnisse an die Idee der Frauenrechte, rechtfertigen aber gerne ihre Abneigung für weibliche Gleichstellung mit Verallgemeinerungen, über die sie gerne lange und eloquent argumentieren. Ihre Argumente sind oft biologistischer Art: "Frauen sind emotional, sensibel und subjektiv" behaupten sie. "Wir Männer sind objektiv und rational." Sie zeigen sich gerne paternalistisch und bestehen darauf, dass Frauen "zu ihrem eigenen Schutz" besser zu Hause bleiben.

Laut meinen Erfahrungen müssen sich Männergruppen erst mit organisierten Frauen und verschiedenen Denkmodellen auseinandersetzen, um Mut zu fassen, ihr eigenes Verhalten nachhaltig zu verändern.

Werkzeuge für eine Veränderungen

Ein guter Ansatz, dem Sexismus in Guatemala zu Leibe zu rücken, sehe ich in der Anerkennung, Reflexion, Analyse und Umsetzung der Maya-Weltsicht. Laut Theorie, Moral und ästhetischen wie philosophischen Prinzipien basiert diese Weltsicht auf Dualität, gegenseitiger Ergänzung und Gleichgewicht. Diese Perspektive wertschätzt und fördert den Respekt für Unterschiede und definiert Beziehungen (unter Menschen, wie auch zwischen Mensch und anderen Lebewesen) mit Begriffen von Gleichheit und Harmonie, statt mit Überlegenheit und Dominanz. Der Mayabegriff für Göttlichkeit, "Mutter-Vater", reflektiert die Idee von männlich/weiblicher Ergänzung. Dies zeigt sich auch in der Verehrung von Mayapriesterinnen und weibliche Führerinnen in traditionellen Indígenastrukturen. Männern und Frauen aus Indígenaregionen fällt die Diskussion, Vorstellung und Umgestaltung von Geschlechtergleichgewicht und die Gleichstellung daher leichter als anderen GuatemaltekInnen.

Ein weiterer Raum für Veränderung findet sich in Männerkollektiven. Guatemaltekische Männer treffen sich dort, um ihr Leben und ihre Erfahrungen zu diskutieren. Sie fragen sich, was es bedeutet, ein Mann zu sein, wie die Gesellschaft Männer prägt, wer unsere Vorbilder für Männlichkeit sind, was wir durch Machoverhalten gewinnen und verlieren und wer unter den Konsequenzen unseres Sexismus leidet. Selbsthilfegruppen können mithelfen, den eigenen machismo zu 'verlernen', um wahrhaftig verantwortungsvoll, respektvoll und gewaltfrei zu werden und sich dem Aufbau gleichberechtigter Beziehungen zwischen Männern und Frauen zu verpflichten.

Überwinden der Ängste

Sobald sich Männer mit Gleichberechtigung konfrontieren, stossen sie auf viele Herausforderungen und Ängste. In Diskussionsgruppen finden sie ein Umfeld, das ihre Zurückhaltungen und Ängste vor der wachsenden Selbstbestimmung der Frauen ernst nimmt. Die Angst, Macht und Kontrolle zu verlieren, trifft uns hart und lähmt uns zuweilen. So auch die Angst mehr Verantwortung für Haushaltsaufgaben und VGKinderarbeitNF zu übernehmen. Wir befürchten, dass unabhängige Frauen weder auf unsere ökonomische, noch auf unsern psychologische Unterstützung angewiesen sind, dass unsere Kumpels uns für den "Verlust an Männlichkeit" und wegen scheinbarer Schwäche kritisieren. Wir haben sogar Angst, unsere Eifersucht aufzugeben, so unangenehm sie auch ist. Denn auch sie ist ein Pfeiler im System, das uns Vorherrschaft sichert.

Hinter männlicher Abneigung gegen Genderfragen lauert auch noch eine andere Angst, Erich Fromm nennt sie "Angst vor der Freiheit". Für Männer bedeutet der Wandel vom machismo zu Gleichberechtigung nicht nur Verlust von Macht und Privilegien, sondern er befreit uns auch aus den Ketten eines restriktiven, gewalttätigen und emotional unterdrückerischen Modells von Männlichkeit.

Langsam dämmert es guatemaltekischen Männern, dass machismo nicht nur Rollenbilder und die Entwicklung von Frauen einschränkt, sondern auch die eigene. Indem wir auf Gewalt gegen Frauen zurückgreifen, reduzieren wir uns auf rohe Gewalt und Instinkte, bar jeglichen Intellekts, Respekts und Urteilsfähigkeit, welche gewissenhafte Menschen charakterisieren.

Was aber geschieht, wenn guatemaltekische Männer den machismo zurückweisen? Wenn wir nicht mehr durch festgefahrene kulturelle Normen eingeschränkt werden, die uns vorschreiben, wie wir sein und uns verhalten sollen, werden wir anfangen, unsere Gefühle und Emotionen freier auszudrücken. Wir werden auch Eifersucht und Besitzdenken aufgeben, welche erfreuliche und gegenseitig erfüllende Beziehungen mit unseren PartnerInnen verhindern. Indem wir die Aufgaben und Lasten, die traditionell von Frauen getragen werden, teilen, werden wir den Frauen in unserer Umgebung näher kommen. Wenn wir unsere compañeras, Schwestern und Töchtern unterstützen, sich im Beruf und in akademischen, politischen und sozialen Gebieten zu entwickeln, bereichern wir damit die ganze Familie und das ganze Land.


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