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Guatemala - religiöse Vielfalt oder Irrwege?

von Theresa Denger

Evangelikale Sekten - der neue Weg zum Heil?
Katholizismus in Comalapa - das geringere Übel oder die wahre Alternative?
Katholiken und evangelikale Sekten in Comalapa - Toleranz oder Ausschweigen?
Ein anderes Gesicht des Katholizismus

Weißt Du, das ist nämlich so: Jesus hat in Wirklichkeit Traubensaft getrunken, und deshalb trinken wir im Gegensatz zu euch Katholiken auch keinen Alkohol. Und was ich dich schon immer mal fragen wollte: Warum betest du eigentlich Götzen an? Wenn du diese Hexereien weiter treibst, kommst du bestimmt nicht in den Himmel! Und dann tanzt du auch noch!

Evangelikale Sekten - der neue Weg zum Heil?

Äußerst selten wird die Meinung über die Anderen so offen ausgesprochen wie von Keila (Name geändert), einer Indígenafrau aus dem Bauerndorf Comalapa (Department Chimaltenango) in Guatemala. Die Traubensafttheorie ist nur ein Beispiel evangelikaler Bibelauslegung, mit der Alkoholkonsum und andere Genussmittel verteufelt werden. In einem historisch-kritischen Versuch belehrt der 16jährige Edvin (Name geändert): Das, was für die Menschen zur Zeit Jesu der Wein war, ist heute für uns die Coca Cola. Trotz aller religiösen Unwissenheit: auf eine Weise hat Edvin Recht: Denn wie die Coca Cola sind auch die vielen evangelikalen Sekten ein Importprodukt aus den USA.
Auf die Invasion des Katholizismus mit der "Entdeckung Amerikas" folgte Jahrhunderte später die Invasion der Sekten aus dem Norden des Kontinents. Seit dem Erdbeben im Jahr 1976 wurde Guatemala, besonders das Department Chimaltenango, von nordamerikanischen Predigern überströmt. Bis heute hat die Mission aus dem Norden einen großen Erfolg zu verzeichnen: Allein in Comalapa wurden 27 Kirchen aus dem Boden gestampft; ihre großen Versammlungsräume kontrastieren mit manch ärmlicher Familienhütte.

Esmirna (Smyrna) ist eine der Kirchen. 1987 wurde sie von dem Bruder des späteren Pastors gegründet. Sie entstand aus Bibelstunden für Kinder, die zur Gottesfurcht erzogen werden sollten. Schnell wurden auch Jugendliche und Erwachsene zum "wahren Glauben" bekehrt. Ihre Zahl ist bis heute auf 200 gestiegen. Ob die Gemeindemitglieder wohl wissen, dass ihre Kirche der Central American Mission aus Dallas (Texas) untersteht, deren Mitglieder im amerikanischen Bürgerkrieg für die Sklavenhaltung kämpften?

Bis zu seiner Bekehrung im Jahr 1976 war der spätere evangelikale Pastor Ernesto García (Name geändert) nach seinen eigenen Worten ein katholischer Säufer. Glücklicherweise habe er den Katholizismus überwunden. Seitdem habe er nie wieder einen Tropfen angerührt. Im Mittelpunkt dieser anderen Religion, wie er den Katholizismus bezeichnet, stünden von Sünden gezeichnete Bräuche, wie Prozessionen und Feste, in denen anstatt Gott Heilige angebetet würden. Dazu würde noch geraucht, getrunken und getanzt.

Den einen ist der Tanz verboten, die anderen betreiben ihn mit Vorliebe: Jahrmärkte werden so zu Katholikentagen. In Cojol, dem Nachbarort Comalapas wird Maria als Dorfpatronin verehrt: Und einen Applaus für Maria! brüllt der Amateur aus Leibeskräften ins Mikrofon. Vom Alkohol ist jedoch keine Spur zu sehen. Beim Anblick der sich des Lebens freuenden Katholiken schüttelt jeder evangelikal Rechtgläubige verständnislos den Kopf. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die übrig gebliebenen Katholiken Jesus Christus erkennen und sich auf den wahren Weg begeben, prophezeit Pastor Ernesto.
Ein hilfreicher Wegbereiter sei das Erdbeben 1976 gewesen. Für das Erdbeben bin ich Gott dankbar, bekennt er, so haben wir endlich verstanden, wie mächtig, ja wie allmächtig unser Gott ist. Er kann schaffen und zunichte machen. So geschah es auch mit all den Götzenbildern in der katholischen Kirche. Denn wer andere Götter anbetet, wird selbst zerstört werden. Gott sei Dank haben viele Menschen in dieser Zeit verstanden, dass nicht die Götzen (Heiligen), sondern einzig und allein Jesus Christus der Retter ist. Das Erdbeben kostete in Comalapa 3000 Menschen das Leben. Die Vertröstung auf das Jenseits fiel inmitten der Trümmer auf fruchtbaren Boden: einer nach dem anderen bekannte sich zum neuen Leben unter dem Evangelium und grenzte sich von katholischen Nachbarn, Kollegen, Eltern und Geschwistern ab. Mein Bruder hatte seit seiner Bekehrung kein Wort mehr mit mir gesprochen, erzählt Maria (Name geändert) unter Tränen bei seiner Beerdigung.

Katholizismus in Comalapa - das geringere Übel oder die wahre Alternative?

Hier sehen Sie einen weißen Umschlag. Es ist ja schon seit einiger Zeit bekannt, dass wir ein neues Pfarrhaus brauchen. Und damit das klar ist, wir reden hier nicht von einem Quetzal, sondern ab fünf Quetzales aufwärts. Nun gut, wenn Sie uns einen Quetzal geben, dann haben wir verstanden: dann wollen Sie uns hier in Comalapa wohl nicht. Also noch mal, ich empfehle Ihnen, 5 Quetzales, das ist ja wohl das mindeste. Gehet hin in Frieden.
Auf diese Worte des Kaplans gehen sie nach draußen, Männer, Frauen, Kinder, mit gesenktem Blick, voll Ehrfurcht und Unterwürfigkeit. Einige von ihnen ohne Schuhe. Kritik äußern sie nicht. Man glaubt und gehorcht, denn man ist Sünder und der Priester erscheint vielen wie ein Übervater. Sie setzen alles daran, so oft wie möglich zur Messe zu gehen, denn "Beichte, Gebet und Kommunion sind die wichtigsten Dinge im Leben eines Katholiken. Bei all den Dingen, denen ihr Tag für Tag nachgeht, werdet Ihr wohl noch zwei Stunden in der Woche für den lieben Gott übrig haben", hören sie von der Kanzel. Doch auch die Praxis solle man nicht außen vor lassen, denn als guter Katholik müsse man schließlich auch handeln. So solle sich jeder darum bemühen, einen weiteren Menschen zum katholischen Tisch Gottes zu führen. Die beiden Priester Comalapas gehören zum Opus Dei, einer höchst konservativen Geheimorganisation innerhalb der katholischen Kirche.

Doch wie steht die Geistlichkeit Comalapas zu den Dingen, die sich außerhalb der Kirchenmauern abspielen?
In den 80er Jahren, während des Bürgerkriegs, verübte das Militär in Comalapa Massaker an der Zivilbevölkerung. Über tausend Menschen wurden grausam getötet und in Massengräbern verscharrt. Heute werden die Toten mit Hilfe der Witwenorganisation CONAVIGUA exhumiert; die Hinterbliebenen suchen auf dem geheimen Friedhof ihre Verwandten. Der Pfarrer Eleobardo schiebt die Verantwortung für die Ausgrabung und die Begleitung der Hinterbliebenen den Obrigkeiten zu: Diese Art von Ausgrabungen finden im ganzen Land statt, sind also ein nationales Phänomen und somit eine nationale Verantwortung. Das könnte doch auch von Bischöfen gemacht werden. Seine Schwester ist anderer Meinung: sie leitet CONAVIGUA.

Als Führungsfigur des Indígena-Volkes steht sie oft in der Zeitung, wie einige Male bei der Teilnahme an Mayazeremonien am Ort des Massakers in Comalapa. Mit Kerzen, Weihrauch und Blumen wird der Opfer gedacht und nach vielen Jahren der Übergang ihrer Seelen ins Göttliche gefeiert.
Ihr Verhalten kann Eleobardo nicht verstehen: Es tut mir in der Seele weh, mit anzusehen, wie Rosalina ihren Glauben verliert. In diesen Heidenbräuchen ersetzen sie Brot und Wein mit geopferten Tieren und betrinken sich mit Schnaps. In der harschen Verurteilung der Praktizierung der Maya-Kosmovision als Bedrohung des christlichen Glaubens sind sich Priester und evangelikaler Pastor einig. Die Mayazeremonie sei Hexerei und ein Zurückfallen in längst überholte Bräuche aus einer Zeit, in der die Menschen das Evangelium noch nicht kannten. Daher rät Ernesto García: Betet, denn nur das Gebet führt zum Heil. Haltet euch bloß von fremden Göttern und der Politik fern.

Katholiken und evangelikale Sekten in Comalapa - Toleranz oder Ausschweigen?

Von beiden Seiten des christlichen Spektrums heißt es, man respektiere und toleriere sich gegenseitig. Dies gelinge, indem man das heikle Thema Religion nicht anspräche, um unangenehme Auseinandersetzungen zu vermeiden. Schweigen ist eben sicherer als Reden, religiöser Monolog sicherer als Dialog.
Ernesto García hat noch nie einen Fuß in eine andere evangelikale Kirche gesetzt. Padre Eleobardo hat anscheinend keinen Kontakt zu Pfarrern, die nicht Mitglieder des Opus Dei sind. So berichtet Padre Rigoberto aus Nebaj (Quiché), er habe mit seinem Mitbruder Eleobardo noch nie über die Arbeit gesprochen.

Ein anderes Gesicht des Katholizismus

Mayazeremonie
Mit Kerzen in den heiligen Farben bittet eine junge Indígena um den Segen Gottes und der Vorfahren.
Foto: Judith Schönsteiner

Der dynamische Rigoberto schläft nicht viel, denn außer der Seelsorge fühlt er sich für die politische Emanzipation seiner Gemeindemitglieder verantwortlich: in Versammlungen klärt er die Menschen über nationale und internationale Politik auf. Wer könnte sich schon eine Tageszeitung leisten? Im Radioprogramm seiner Gemeinde spricht er täglich Sendungen zu Themen wie Landwirtschaft, Gesundheit und Bildung. So erreicht er 84 abgelegene Dörfer. Außerdem kümmert er sich um die finanzielle Unterstützung von Schülern, die sich die teueren Einschreibungs- und Schulgebühren, Materialien und die obligatorische Schuluniform nicht leisten können.

Beide gehören als katholische Priester derselben Weltkirche an. Und beide sind in einem Land der religiösen Vielfalt geboren. Doch im Gegensatz zu Padre Eleobardo hat sich Padre Rigoberto den Bezug zu den kulturellen Wurzeln seines Landes bewahrt. Er nimmt an Mayazeremonien teil und feierte einmal auf Einladung eine Messe an einem für die Maya heiligen Ort. Was Padre Eleobardo als "Synkretismus" abwertet, bezeichnet Padre Rigoberto als "Inkulturation": Es geht ihm um die Einpflanzung des Evangeliums in die indigene Kultur. "Gott Vater und Gott Mutter, Herz des Himmels und der Erde" manifestiert sich für die Maya in den Elementen der Natur und im Erbe der Ahnen. Diese Symbolik wird in Gebet und christlichem Gottesdienst aufgenommen. So wird das Christentum durch die Werte der Kosmovision, wie Respekt vor der Mutter Natur, bereichert. Gleichzeitig bringt das Evangelium die Befreiungsbotschaft zu den Unterdrückten in einer ungerechten Gesellschaft.

Die Achtung vor den kulturellen Traditionen nicht-abendländischer Völker machte sich die katholische Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) zu eigen.

Guatemala ist ein Land, reich an vielfältiger Spiritualität. Damit sich diese Vielfalt nicht in Irrwegen verliert, tut religiöser Dialog Not. Doch wie kann ein religiöser Dialog stattfinden, wenn es an religiöser Bildung fehlt?



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