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"Gott hat Adam und Eva geschaffen, nicht Adam und Esteban" Sexuelle Vielfalt in Guatemala

Fijáte 422 vom 05. November 2008, Artikel 1, Seite 1

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"Gott hat Adam und Eva geschaffen, nicht Adam und Esteban" Sexuelle Vielfalt in Guatemala

Vor allem im Fall der Schwulen ging es nebst dem Outing auch um die medizinische Betreuung von Menschen mit HIV/AIDS. Gemäss Jorge López von OASIS gibt es in Guatemala rund 61'000 Personen, die wissentlich HIV-positiv sind, 12'000 davon benötigen dringend eine antiretrovirale Therapie, 6000 davon haben Zugang dazu. Rund die Hälfte dieser Therapien wird durch Projekte der internationalen Kooperation ermöglicht, der Rest läuft über das guatemaltekische Krankenversicherungswesen oder über das VGGesundheitsministeriumNF.

López kritisiert die Regierungspolitik in Sachen HIV-Prävention und Behandlung von AIDS. Angesichts der Tatsache, dass rund 20% der Schwulen und 4,5% der SexarbeiterInnen HIV-positiv sind, im Vergleich zu 0,3% der Gesamtbevölkerung, würde doch der grösste Teil der Unterstützung auf den letztgenannten Sektor konzentriert. Er sei absolut damit einverstanden, dass HIV-positive schwangere Frauen und ihre zukünftigen Kinder versorgt würden, aber die Augen gänzlich vor dem Thema HIV und Homosexualität zu verschliessen, sähe er als eine Zeitbombe, erklärt López. Auch wenn eine sogenannte Feminisierung der Krankheit zu beobachten sei, müsse unbedingt und vor allem auch unter der indigenen Bevölkerung sowohl über Homosexualität wie auch über HIV aufgeklärt werden.

Als Ladino aus dem mehrheitlich indigenen VGQuetzaltenangoNF stammend weiss López, wovon er spricht. Er selber sei von seiner Familie gezwungen worden, um den Schein zu wahren, ein paar Jahre mit einer Frau zusammenzuleben, die von seiner Homosexualität wusste. Das definitive Outing habe bedeutet, dass er von Xela weg und in die Hauptstand gezogen sei. Ähnliches erzählt er von den beiden jungen indigenen Mitarbeitern bei OASIS. Das Thema Sexualität sei unter der indigenen Bevölkerung generell ein Tabu, von sexueller Vielfalt zu sprechen entsprechend schwierig und heikel. Nichtsdestotrotz existiere sie ebenso wie die Promiskuität - auch unter der indigenen Bevölkerung.

Die Arbeit von OASIS ist vielseitig und sehr eindrücklich. Da alle Mitarbeitenden sich zur LGBT-Gemeinde zählen, sind sie auch "Betroffene" und identifizieren sich entsprechend mit ihrer Arbeit. Zulma erklärte, wie schwierig es anfänglich gewesen sei, die SexarbeiterInnen zu organisieren, da unter ihnen auch eine gewisse Konkurrenz herrsche.

Auch sei VGRassismusNF ein Hindernis bei der Organisierung der SexarbeiterInnen. Ein Grossteil vor allem der transsexuellen SexarbeiterInnen seien AusländerInnen, die sich wegen der Diskriminierung gezwungen sahen, ihre Herkunftsorte zu verlassen. Entsprechend schwierig sei es auch, eine Konstanz zu erhalten, denn für die meisten sei Guatemala nur eine Zwischenstation auf dem Weg in den vermeintlich toleranteren Norden.

Die Arbeit von OASIS besteht einerseits in der rechtlichen, aber auch in der medizinischen Beratung. Die Organisation hat ein eigenes Labor, wo HIV-Tests durchgeführt werden. Jorge López, ausgebildeter Informatiker, hat sich zum Fachmann in Sachen HIV/AIDS sowie anderer sexuell übertragbaren Krankheiten entwickelt, übernimmt aber auch seelsorgerische Aufgaben, denn oft werden erkrankte Personen bis in den Tod gepflegt und begleitet. Er kümmert sich auch um die Mittelbeschaffung und stellt einen Rückgang der Gelder (auch der internationalen Zusammenarbeit) sogar für die medizinischen Projekte fest, seit die Organisation vermehrt auch politische Lobbyarbeit macht.

Seit ein paar Jahren organisiert OASIS jedes Jahr im Juni anlässlich des Christopher Street Day ein "Desfile de Diversidad Sexual", ähnlich den hiesigen Gay-Parades. Da unklar war, wie die Bevölkerung darauf reagieren würde, erbaten sie sich im ersten Jahr den Schutz anderer Menschenrechtsorganisationen. Dieser wurde ihnen zwar gewährt, doch spricht Jorge López davon, dass sie mit ihrem Thema schräg in der Menschenrechtslandschaft stünden - MenschenrechtsaktivistInnen seien auch bloss ein Abbild der restlichen Bevölkerung und nicht vor Sexismus und Homophobie gefeit. Überhaupt kritisiert er an der guatemaltekischen Menschenrechtsbewegung, dass sie sehr sektoriell sei und sich nur für die Belange ihrer jeweiligen Zielgruppe (Indígenas, Frauen, Kinder, Opfer des Krieges etc.) einsetze. Das sektorielle Denken der Menschenrechtsbewegung scheint auch hierzulande weit verbreitet zu sein, denn wie sonst ist es zu erklären, dass die Guatemala-Solidaritäts-Szene mit Ausnahme der organisierenden Peace Brigades praktisch vollständig durch Abwesenheit glänzte?

Verschiedentlich sind auch MitarbeiterInnen von OASIS bedroht oder gar ermordet worden. Am 17. Dezember 2005 wurden den beiden als Prostituierte arbeitenden OASIS-Mitglieder und Transvestiten Zulma Robles und Rahel Paulina Marrot laut Augenzeugen von Polizisten in den Kopf geschossen. Paulina wurde getötet, Zulma überlebte schwer verletzt. Da Zulma als einzige Zeugin des Angriffs bereit war, eine Aussage zu machen, war sie weiteren Angriffen seitens der Täter ausgesetzt mit dem Ziel, sie einzuschüchtern, was jedoch nicht gelang. Sowohl sie wie auch andere Mitglieder von OASIS werden regelmässig von Peace Brigades International begleitet, und nicht zuletzt dient auch die Europareise dazu, die Organisation, ihre Arbeit und ihre Mitglieder bekannt zu machen - und dadurch internationale Aufmerksamkeit zu wecken.


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