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Modernes guatemaltekisches Filmschaffen

Fijáte 417 vom 27. August 2008, Artikel 1, Seite 1

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Modernes guatemaltekisches Filmschaffen

J.H.C.: Ich zeige ein aktuelles Bild der guatemaltekischen Jugend. Die Jungs reden miteinander, aber sie reden über nichts. Sie sprechen, aber sie sagen nichts. Es läuft nichts, aber gleichzeitig geschieht vieles. Die Langeweile. Ich versuche darzustellen, dass die Gewalt in Guatemala nicht nur krimineller Art ist, sondern dass auch die Ignoranz dem Anderen gegenüber eine Form von Gewalt ist. Die Art, wie wir sprechen, kann gewalttätig sein. Im Film kommen dreihundert Mal die Begriffe "cerote" (Scheisskerl), "pisado" (Dreckstück) und "hijo de puta" (Hurensohn) vor. Die Begriffe werden völlig grundlos gebraucht, und das ist im höchsten Masse gewalttätig. So zu sprechen, ist alltäglich, und wir empfinden es als eine normale Umgangsform. - Mein Wunsch wäre, dass dieser Film den Dialog und die Diskussion fördern würde.

Frage: Wurde der Film in Guatemala schon gezeigt?

J.H.C.: Ich hoffe, dass er ab Ende Oktober läuft. Die Erwartungen sind gross und ich habe etwas Angst, denn er wird sicher sehr kritisch betrachtet werden. Er wird einerseits in den Kinos gezeigt, aber ich habe auch eine mündliche Abmachung mit der Regierung, die mich unterstützt hat, damit ich nach Europa zur Fertigstellung des Filmes reisen konnte. Ich habe meine Bereitschaft erklärt, bei den Vorführungen anwesend zu sein und über den Film zu sprechen. Wir haben das bereits gemacht mit Jugendlichen, die an Projekten der "Soros-Foundation" und von "Save the Children" teilnehmen und es gab sehr interessante Diskussionen.

Frage: Wie konntest du den Film finanzieren?

J.H.C.: Ich verwendete u.a. das Geld eines Preises, den ich gewann. Dann erhielt ich Unterstützung eben von "Soros" und "Save the Children", sowie andere Förderbeiträge. Ausserdem spendeten 30 guatemaltekische KünstlerInnen ihre Werke, die wir versteigerten, womit weitere rund 20'000 US-$ zusammen gekommen sind. Die Nachproduktion finanzierte ich mit einem Preis, den ich beim Filmfestival in San Sebastian gewann, wo ich den Film als work-in-progress zeigte.

Frage: Bedeutet diese grosszügige Unterstützung seitens guatemaltekischer KünstlerInnen, dass es eine Szene moderner KünstlerInnen gibt, die sich kennt, die zusammenarbeitet, die sich gegenseitig unterstützt?

J.H.C.: Als ich mit dem Film begann, überlegte ich mir, wer die entsprechende Sensibilität hat, mich zu unterstützen. Ein guatemaltekischer Unternehmer sicher nicht. So landete ich schnell bei den KünsterInnen, denn sie wissen, was künstlerisches Schaffen in Guatemala bedeutet. Normalerweise geht es den bildenden KünsterInnen am besten, denn auch wenn sie kein Geld haben, können sie Unterstützung leisten in Form einer Skulptur oder eines Bildes, das verkauft werden kann. Von den dreissig kannte ich ursprünglich nur drei, den anderen habe ich mein Projekt vorgestellt, bin drangeblieben, habe gestupft und gebohrt und sie schliesslich überzeugen können.

Frage: Wann können wir den ersten guatemaltekischen Film erwarten, der von einem oder einer Indígena gemacht wurde?

J.H.C.: Diesbezüglich bin ich pessimistisch. Was in Guatemala fehlt, ist Information. Wenn es schon für einen Ladino schwierig ist, einen Film zu realisieren, ist es für eineN Indígena fast unmöglich. Guatemala besteht aus zwei Welten: die Hauptstadt und das Landesinnere, und da haben wir dann noch den Unterschied zwischen dem westlichen Hochland und den östlichen Landesteilen. Während der Regierung von VGAlfonso PortilloNF gab es ja diesen Versuch eines indigenen Fernsehkanals. Das ist eine wunderbare Idee, kann aber unmöglich funktionieren, wenn von der Regierung nicht gleichzeitig Geld zur Verfügung gestellt wird, um den Sender auch zu betreiben. Das Projekt war deshalb von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Frage: Auch dein Film ist sehr auf das Leben in der Hauptstadt bezogen, und es wird schwierig sein, ihn ins Landesinnere zu "exportieren".

J.H.C.: Ich weiss nicht. Der Film ist sehr hauptstädtisch, weil ich ehrlich sein und das erzählen wollte, was ich kenne, und das ist nun mal das Leben in der Hauptstadt. In Guatemala gibt es viele Themen, die filmisch bearbeitet werden könnten, aber ich glaube, man merkt, wenn jemand einen Film macht über etwas, das er oder sie nicht wirklich kennt. Ich will keinen sozialen Tourismus machen mit einem Film, sondern das erzählen, was ich kenne.

Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass sich die Leute im Landesinnern, die Indígenas, mit dem Ende meines Filmes identifizieren können. Mit dem Thema der Straflosigkeit, dem Rassismus der Ladinos gegenüber den Indígenas. Es gibt diese Szene im Film, wo die indigene Frau die Jugendlichen auf VGQuichéNF anfleht, ihr nichts anzutun. Sie spricht ins Leere, weil die Jungs sie nicht verstehen können oder wollen - eine Situation, die alle Indígenas kennen. Auch das Thema der Straflosigkeit, das mit keinem Wort direkt benannt wird - aber ich bin sicher, dass es bei dieser Szene bei allen Leuten "Klick" machen wird. Wenn ich "alle" sage, meine ich sowohl die Ladinos mit ihrem Rassismus wie auch die Indígenas, die z.B. mit den VGLynchmordenNF etwas ganz ähnliches machen.

Frage: Hast du schon ein nächstes Projekt?

J.H.C.: Mein nächster Spielfilm wird über die VGExhumierungenNF in Comalapa sein. Es geht um einen Ladino, der mit diesen Exhumierungen zu tun hat. Die Hälfte des Films wird in VGSpanischNF gesprochen sein, die andere Hälfte in VGKaqchiquel. Auch dieser Film geht von meinen eigenen Erfahrungen aus, denn ich habe einen Teil der Exhumierungen in Comalapa dokumentiert. Es wird aber noch eine Weile dauern, denn im Moment bin ich erst am Schreiben des Drehbuches.

Viel Erfolg und herzlichen Dank für das Gespräch!


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