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Wahlen in Guatemala - haben wirklich alle gewonnen?

Fijáte 395 vom 10. Oktober 2007, Artikel 1, Seite 1

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Wahlen in Guatemala - haben wirklich alle gewonnen?

Bürgermeister der Hauptstadt gewesen zu sein ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Präsidentschaft in Guatemala, womit die historische Macht der Familie Arzú konsolidiert würde.

Aktuell sind acht der vierzehn Stadtratsitze von Gesinnungsgenossen Arzús besetzt, in der kommenden Regierungszeit 2008 - 2012 werden es elf sein. Mit einem Gemeindebudget von 860 Mio. Quetzales (ca. 110 Mio. US-$) und der Mehrheit im Stadtparlament stärkt Arzú seine Position als eine Schlüsselperson im nationalen politischen Spektrum.

Sowohl Álvaro Colom wie Otto Pérez Molina versuchten für die zweite Wahlrunde eine Allianz mit ihm einzugehen, aber schliesslich entschied Arzú, dass er keinen von beiden unterstützen werde.

Wie kommt es, dass Arzú seine Machtposition aufrechterhalten kann, obwohl er nicht in der Lage war, die dringendsten Probleme der Hauptstadt befriedigend anzugehen? Dazu gehört z.B. der defizitäre öffentliche Verkehr, die katastrophale Situation der mitten in der Stadt gelegenen Müllhalde, der chronische Wassermangel, und das aufgrund unzureichender Unterhaltsarbeiten des Abwassersystems in sich eingestürzte "Loch" im San Antonio-Quartier in der Zone 6 (siehe ¡Fijáte! 380 und 381).

All dies vermag offensichtlich nicht, am Lack des Bürgermeisters zu kratzen.

Die Arzú-Dynastie ist Nachfolgerin baskischer VGImmigrantInnenNF und spielte seit jeher eine wichtige Rolle in der politischen und wirtschaftlichen Geschichte Guatemalas. Anfang des 20. Jahrhunderts nahmen zwei Brüder der Familie Arzú-Cobos am Kampf gegen die Diktatur von Manuel Estrada Cabrera teil. Einer dieser Brüder, Manuel Cobos Batres, Onkel von Alvaro Arzú, gründete im Jahr 1920 die erste Unionista-Partei, während sein Neffe Álvaro seine Politkarriere als aktives Mitglied der Anfang der 60er Jahre gegründeten ultrarechten Nationalen Befreiungsbewegung (VGMLNNF - die "Partei der organisierten Gewalt"), begann.

1982 gewann Álvaro Arzú zum ersten Mal, damals für die Christdemokratische Partei, das Bürgermeisteramt der Hauptstadt, akzeptierte es aber nicht aus Protest gegen den sich durch einen Staatsstreich an die Macht geputschten VGEfraín Ríos MonttNF. Drei Jahre später, 1985, gewann er nochmals, diesmal als Kandidat eines BürgerInnenkomitees und nahm das Amt an. 1989 gründete Arzú die VGPartei des Nationalen FortschrittsNF (PAN) und nahm an den VGPräsidentschaftswahlenNF teil, mit dem prominenten VGZuckerbaronNF, Industriellen und Financier Fraterno VGVila als Vizepräsidentschaftskandidaten.

Der Durchbruch gelang ihm dann 1995 und im ersten Jahr seiner Präsidentschaft wurden die VGFriedensabkommenNF mit der VGGuerillaNF VGURNGNF unterzeichnet. Zu seinen engen Regierungsmitarbeitern gehörte unter anderem der auf Mitte Januar 2008 abtretende aktuelle Präsident VGOscar BergerNF und der damalige Chef des militärischen VGGeheimdienstesNF (VGEMPNF), Marco Tulio Contreras Espinosa.

Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die Entführung der Zementbaronin Olga VGNovellaNF und die Ermordung von Erzbischof VGJuan GerardiNF, beides bis heute nicht wirklich aufgeklärte Ereignisse, die während Arzús Regierungszeit "geschahen" und in denen der Geheimdienst eine je unterschiedliche, aber wichtige Rolle spielte.

Die Soziologin und Politologin Marta Elena Casaús Arzú (!) fasst das Wirken des Arzú-Clans folgendermassen zusammen: "Ein historisch hegemonialer Block, der nie wirklich von der Macht verdrängt wurde oder abgetreten wäre, sondern der sich wiederverwertet und unter unterschiedlicher Tarnung, aber demokratisch gewählt, immer wieder in wichtige Regierungspositionen gelangt. Er repräsentiert eine neue Form von Unternehmern und stärkt damit die Macht der oligarchischen Familiendynastien." Gemäss Casaús Arzú bekommen diese Familien seit neuestem auch die Unterstützung der neupfingstlerischen, evangelikalen Gruppen, was ihnen dazu dient, klassenunabhängige Beziehungen zu knüpfen und Hegemonie und Macht zu bewahren. Diese Verbindungen entstehen zum Teil durch familienübergreifende Heiraten, und den Traditionen entsprechend ist die Pflege dieser Kontakte vornehmlich die Aufgabe der Frauen aus dem Arzú-Clan.

Mit dem über jahrzehntelangen und sorgfältigen Weben dieser feinmaschigen politischen Struktur beweist der Arzú-Clan, dass sein politisches Projekt nicht darauf abzielt, einen Präsidentschafts-Kometen über das politische Firmament zu jagen, um danach wieder im Nichts abzutauchen, so wie andere, kurzlebige Parteien dies tun. Vielmehr geht es ihm darum, die Macht nicht nur auf der politischen, sondern auch auf der wirtschaftlichen Ebene aufrechtzuerhalten, und zu den jeweils opportunen Gelegenheiten an den richtigen Polit-Fäden zu ziehen.

Die nächsten vier Jahre einer wohl bemerkt schwierigen Regierungszeit wird den Arzús dazu dienen, ihre Macht im Hintergrund weiter auf- und auszubauen.

Gewonnen also!


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