guatemala.de > Guatemalagruppe Nürnberg e. V. > Fijate
Fijáte
 

Guatemala, 10 Jahre danach... Die Beteiligung der Frauen am Friedensaufbau in Guatemala

Fijáte 374 vom 13. Dezember 2006, Artikel 1, Seite 1

PDF Original-PDF 374 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 --- Nächstes Fijáte

Guatemala, 10 Jahre danach... Die Beteiligung der Frauen am Friedensaufbau in Guatemala

III. Der Kampf um Gerechtigkeit für Frauen

Mit dem Friedensschluss erhielten Frauen auch vermehrt Zugang zur Justiz, zu Wiedergutmachungsprogrammen und waren beteiligt an der Aufarbeitung der Geschichte. Die VGWahrheitskommissionNF (CEH) zeigte die sozioökonomischen und politischen Gründe auf, die zum bewaffneten Konflikt führten, ebenso seine Auswirkungen. Sie schloss ihre Arbeit ab mit einer Liste von Empfehlungen, die sie als grundlegend für den Aufbau des Friedens sah, z.B. die Bewahrung des historischen Gedächtnisses oder die Würdigung und Entschädigung der Opfer.

Die Wahrheitskommission brachte eine Dimension des Krieges ans Licht, über die man sehr wenig weiss und noch weniger wird darüber gesprochen: Die sexuelle Gewalt gegen Frauen, die als ein Teil der VGAufstandsbekämpfungNF systematisch und massiv durch Angehörige der verschiedenen staatlichen Sicherheitsapparate ausgeübt wurde. Vergewaltigung wurde zu einer regelrechten Kriegswaffe gegen die Bevölkerung. Zu den Scheusslichkeiten, die den Frauen zugefügt wurden, gehören öffentliche und mehrfache Massenvergewaltigungen, die Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane, öffentliches Ausstellen von verstümmelten weiblichen Körpern, die Vergewaltigung schwangerer Frauen und die Tötung ihrer Föten, über Jahre dauernde sexuelle Ausbeutung und Versklavung der Frauen in VGKasernenNF oder in öffentlichen, vom VGMilitärNF besetzten Gebäuden in den Gemeinden. All dies hinterliess nicht ausradierbare Spuren bei den Frauen und in den Dorfgemeinschaften: Schuldgefühle, Scham, fehlendes Selbstvertrauen und körperliche Krankheiten. Ganz zu schweigen von den sozialen Konsequenzen. Bis heute erleiden Frauen, die vergewaltigt wurden, sozialen Ausschluss und Ablehnung, sowohl von der Gemeinde wie auch von ihren Familien. Obwohl die Wahrheitskommission in ihrem Bericht all dies erwähnte, gab sie dazu keinerlei Empfehlungen ab. Auch Organisationen, die gegen die VGStraflosigkeitNF kämpfen, berücksichtigen in ihrer Arbeit diese Art von Verbrechen viel zu wenig.

Um dem Schweigen etwas entgegenzusetzen, hat sich die Vereinigung "Akteurinnen des Wandels - der Kampf der Frauen um Gerechtigkeit" gegründet. Ziel der Organisation ist die Unterstützung von Veränderungsprozessen bei Frauen, die während des Krieges sexuelle Gewalt erlitten haben. Wir sind uns bewusst, dass die patriarchale Unterdrückung in Form von sexueller Gewalt ein soziales Problem ist, das weit über den Krieg hinausgeht. Sie ist eine Realität, die sich aber in Kriegskontexten verschärft.

Die Vereinigung der "Akteurinnen" besteht aus der Unión Nacional de Mujeres Guatemaltecas UNAMG, (die dieser Tage für ihre Arbeit den mit 100'000 Dollar dotierten Gruber-Preis erhielt, die Red., siehe separater Artikel), und dem Equipo de Estudios Comunitarios y Acción Psicosocial VGECAPNF. Ihre Arbeitsbereiche sind die psychosoziale Begleitung, die Bewusstseinsarbeit, die Aufarbeitung der Geschichte, die politische Beteiligung und die ökonomische und moralische Entschädigung der Frauen, die im Krieg vergewaltigt wurden - kurz, das Empowerment dieser Frauen.

Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist das brutalste Mittel, um das System der geschlechtsspezifischen Unterdrückung aufrechtzuerhalten. Während des bewaffneten Konflikts waren die Vergewaltigungen von Frauen Teil des VGGenozidNF, denn die meisten der betroffenen Frauen waren Indígenas.

Die Vergangenheit ist eng mit der Gegenwart verbunden. Der Friedensschluss und die Nachkriegszeit haben den Frauen keine Sicherheit gebracht. Im Gegenteil, in den letzten Jahren hat die gezielte Ermordung von Frauen extrem zugenommen. Die VGmexikanischeNF Feministin und Ethnologin Marcela Lagarde hat dafür den Begriff des VGFeminizidNF eingeführt. Die Gewalt gegen Frauen während und nach dem Krieg hat ähnliche Ursachen, die in erster Linie in den ungleichen Machtverhältnissen zwischen Männern und Frauen liegen. Diese Ungleichheiten verstärken sich in einem Kontext der Straflosigkeit, zunehmender Delinquenz und allgemeiner Unsicherheit, wie sie in Guatemala anzutreffen sind.

Um die Friedensagenda voranzutreiben, braucht es in erster Linie eine Stärkung der organisierten Frauen und ein Sichtbarmachen ihrer Forderungen und Vorschläge. Ebenso wichtig ist es, Allianzen mit anderen sozialen und politischen AkteurInnen einzugehen, die an den in den Friedensabkommen enthaltenen Veränderungen interessiert sind. Es braucht eine soziale und politisch bewusst agierende Linke, die sich dafür stark macht, dass die Friedensabkommen auf die politische Agenda aller staatlichen Institutionen gesetzt werden.

Für uns Frauen bedeutet das Knüpfen solcher Allianzen einen doppelten Aufwand. Einerseits beteiligen wir uns am gemeinsamen Kampf um soziale Veränderungen und gleichzeitig müssen wir innerhalb der gemischten Organisationen, wo wir als Frauen ebenfalls diskriminiert werden, um unsere Rechte und unsere Anerkennung kämpfen. Es geht deshalb im Endeffekt darum, die drei grossen Unterdrückungssysteme abzuschaffen, die die guatemaltekische Gesellschaft ausmachen und beherrschen: die ungerechten wirtschaftlichen Strukturen und deren Auswirkungen wie Armut und extreme Armut, die ethnische Unterdrückung und den VGRassismusNF gegen die indigene Bevölkerung sowie die Geschlechterunterdrückung.


PDF Original-PDF 374 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 --- Nächstes Fijáte