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Käufliche Gesundheit

Fijáte 293 vom 10. Sept. 2003, Artikel 1, Seite 1

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Käufliche Gesundheit

schlafen auf dem nackten Fussboden und bekommen nicht ausreichend Nahrung, weil auch die Mütter unterernährt sind. Solche Verhältnisse schwächen die Widerstandskraft des Körpers und fördern die Ausbreitung von Infektionen. Versorgung bei Krankheit ist in Guatemala ein Recht, das eher für die Zahlungsfähigen reserviert ist. Statistisch gesehen kommt ein Arzt/eine Ärztin auf tausend Menschen. Da jedoch die meisten ÄrztInnen in der Hauptstadt arbeiten, gibt es in vielen ländlichen Regionen nicht eineN einzigeN ausgebildeteN MedizinerIn, geschweige denn ein Gesundheitszentrum. Ob eine Privatisierung des Gesundheitssystems diese Situation verbessern würde? Jorge Labareda, Direktor des konservativen Sozialforschungszentrums VGCIENNF, argumentiert, dass es ohne Bezahlung keine Konkurrenz geben werde: "Und ohne Konkurrenz kann kein effizientes Gesu ndheitssystem entstehen. Deshalb halten wir es nicht für ein Problem, wenn auch im öffentlichen Sektor Profite gemacht werden, solange die Angebote vernünftig sind." Der Liberalisierungsprozess und der Rückzug des Staates aus sozialen Bereichen scheint unaufhaltbar. Einen weiteren Schub bekommt diese Entwicklung durch die Verhandlungen über das General Agreement on Trade and Services, GATS. Das Abkommen wird im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutiert, obwohl das GATS weitreichende Konsequenzen für Menschen in allen Ländern haben wird, ob sie nun in VGDeutschlandNF leben, in den VGUSANF, in Ägypten oder in Guatemala. Ähnlich wie bei Maschinen und anderen Waren sollen künftig auch Dienstleistungen frei gehandelt werden können. So wird ein riesiger Markt entstehen. Der Direktor des Büros der VGWeltbankNF in Guatemala, Eduardo Somensato, erhofft sich von dem GATS-Abkommen positive Entwicklungsimpulse für die armen Länder der Welt. "Die öffentliche Verwaltung bringt nicht zwangsläufig die besten Voraussetzungen mit, um ein Gesundheitswesen zu managen. Wir glauben, es wäre viel effizienter, diese Aufgaben mit Verträgen und Konzessionen an die Privatwirtschaft zu übergeben. Natürlich kostet das Geld. Jede Gesellschaft muss für ihre Dienstleistungen zahlen. Die Frage ist, ob direkt bezahlt werden soll oder indirekt über Steuern. Für Einzelpersonen mag es teurer sein, einen privaten Dienstleister aufzusuchen. Aber das muss nicht unbedingt schlecht sein. Wer mehr bezahlt, bekommt einen besseren Service, einen besseren Zugang und letztlich eine bessere Gesundheit." KritikerInnen der Privatisierungswelle weisen darauf hin, dass die meisten Menschen in Lateinamerika nicht genug Geld haben, um für ihre Gesundheitsversorgung zu zahlen. Der Politologe Omero Fuentes spricht von einer Ausgrenzung der Bevölkerungsmehrheit: "Die soziale Vision der Weltbank ist an Schreibtischen entstanden. Das Denken dieser Leute hat nichts mit der Realität unseres Landes zu tun. Sie entwickeln Rezepte, die vielleicht in einem

reichen Land wie Deutschland funktionieren könnten. Aber in Mittelamerika ist die Situation eine völlig andere. Trotzdem drängt die Weltbank unsere Regierungen in Richtung dieser Rezepte. Sie sagt: `Ihr bekommt nur dann einen hundert Millionen Dollar Kredit, wenn ihr diesen und jenen Bereich eures Gesundheitswesens reformiert.'" Der Reformbedarf im Gesundheitswesen ist offensichtlich, ob in Deutschland, in Guatemala oder in den meisten anderen Ländern der Welt. Doch überall dort, wo der Solidargedanke durch Privatisierungskonzepte in den Hintergrund gerückt wurde, sind die Kosten für die Gesundheitsversorgung gestiegen. In VGChileNF zum Beispiel, dem lateinamerikanischen Musterland der LiberalisiererInnen, richtet sich die Versorgung heute vorwiegend nach dem Geldbeutel. In den USA, dem einzigen Land der Welt, in dem noch nie in grossem Stil ein Umverteilungssystem im Gesundheitssektor etabliert wurde, ist die Versorgung so teuer wie nirgendwo sonst. Demgegenüber müssen sich die meisten Menschen in armen Ländern wie Guatemala mit einer Gesundheitsversorgung auf niedrigstem Niveau begnügen, wenn überhaupt. Vor dem Hospital Roosevelt in Guatemala-Stadt vergeht kein Tag, ohne dass sich eine Schlange wartender Kranker bildet. Einige haben Glück und bekommen ihre notwendige Behandlung. Für andere wird es zu spät sein. Kranke Menschen in Guatemala müssen geduldig sein. Wer nicht bezahlen kann, wartet oder stirbt.


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